Wirtschaftswissenschaftler Thorsten Lange
Die Baukrise stresst Mieter und Politiker

Thorsten Lange arbeitet als Analyst bei der DZ Bank. Foto: DZ Bank
In Deutschland bremsen kräftig gestiegene Finanzierungskosten den Wohnungsbau. Gleichzeitig steigt der Bedarf durch die hohe Zuwanderung. Hier sagen Thorsten Lange und Christoph Swonke von der DZ Bank, was der Staat tun kann.
Deutschlands größte Wohnungsgesellschaft Vonovia will im laufenden Jahr keine Neubauprojekte auflegen. Baukosten und Zinsen sind so stark gestiegen, dass für eine Neubauwohnung statt einer bislang veranschlagten Nettomiete von 12 Euro nun eher 20 Euro je Quadratmeter angesetzt werden müssten. Doch das können potenzielle Mieter nicht zahlen.
Wie Vonovia geht es vielen Wohnungsgesellschaften – auc...
Märkte bewegen Aktien, Zinsen, Politik. Und Menschen. Deshalb präsentieren wir dir hier die bedeutendsten Analysen und Thesen von Top-Ökonomen - gebündelt und übersichtlich. Führende Volkswirte und Unternehmensstrategen gehen den wichtigen wirtschaftlichen Entwicklungen clever und zuweilen kontrovers auf den Grund.
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Deutschlands größte Wohnungsgesellschaft Vonovia will im laufenden Jahr keine Neubauprojekte auflegen. Baukosten und Zinsen sind so stark gestiegen, dass für eine Neubauwohnung statt einer bislang veranschlagten Nettomiete von 12 Euro nun eher 20 Euro je Quadratmeter angesetzt werden müssten. Doch das können potenzielle Mieter nicht zahlen.
Wie Vonovia geht es vielen Wohnungsgesellschaften – auch mit kommunalem oder genossenschaftlichem Hintergrund. Sie würden hohe Verluste einfahren, wenn sie nun viel teurer bauen, aber keine entsprechend höheren Mieten durchsetzen wollen oder können.

Ohnehin steuern die Wohnungsgesellschaften auf erhebliche Belastungen zu. So sind bei anstehenden Anschlussfinanzierungen erheblich höhere Zinszahlungen als bisher zu leisten. Außerdem verteuert sich die Instandhaltung des Wohnungsbestands durch steigende Lohn- und Materialkosten.
Der Sanierungsbedarf ist hoch
Als dickster Brocken steht die energetische Sanierung der oft viele Jahrzehnte alten und entsprechend schlecht gedämmten Wohnungen in den Portfolios an. Das ist zur Senkung der hohen Treibhausgasemissionen von Gebäuden ebenso notwendig wie der Ausstieg aus Öl und Gas. Jeder zweite Haushalt heizt mit Gas, ein Viertel mit Öl. Doch die als Alternative präferierte Wärmepumpe ist teuer, eignet sich nicht für jedes Gebäude und ist in der benötigten Stückzahl aktuell auch nicht verfügbar.

Derzeit wird noch kräftig gebaut, weil begonnene sowie in der Planung weit fortgeschrittene Projekte meist zur Schadensbegrenzung nicht gestoppt werden. Doch als Folge der vielen nun auf Eis liegenden Wohnbauprojekte könnten die jährlichen Fertigstellungen von zuletzt rund 300.000 Wohnungen in Richtung von 200.000 Einheiten sinken – und damit das Neubauziel der Bundesregierung von 400.000 Einheiten gut halbieren. Für den Wohnungsmarkt sind das schlechte Nachrichten, denn aufgrund des hohen Wohnbedarfs wären spürbar steigende Neubauzahlen notwendig.
Die Lage auf dem Wohnungsmarkt war schon vorher – vor allem in Süddeutschland und den Stadtstaaten – angespannt. 2022 hat sie sich aber weiter verschärft, weil die Bevölkerung um über eine Million Menschen gewachsen ist. Ursachen sind die kriegsbedingte Flucht aus der Ukraine sowie eine wieder stärkere Migration aus anderen Ländern.
Die Baubranche fällt als Konjunkturmotor erst einmal aus
Die Wohnbau-Delle verschlechtert aber nicht nur die Angebotssituation auf dem Wohnungsmarkt, sie bremst auch die wirtschaftliche Erholung. Die Folgen reichen aber wohl bei weitem nicht an die Baukrise ab Mitte der 1990er Jahre heran. Damals sanken die jährlichen Fertigstellungen von 600.000 Wohnungen bis 2009 auf unter 160.000, während sich die Beschäftigtenzahl im Bauhauptgewerbe von 1995 bis 2005 auf rund 720.000 gut halbierte. Zugleich sank der Anteil der Bauinvestitionen am Bruttoinlandsprodukt von etwa 14 Prozent auf 9 Prozent.
Doch seit 2010 belebte sich der Wohnungsbau wieder und unterstützt seitdem die konjunkturelle Entwicklung. Der Anteil der Bauinvestitionen an der Wirtschaftsleistung kletterte bis Ende 2022 auf über 12 Prozent. Durch den beschleunigten Wohnbau legten die Wohnbauinvestitionen viel schneller zu als die für den öffentlichen und gewerblichen Bau. Als Folge stieg der Wohnanteil an den Bauinvestitionen von 56 Prozent auf 62 Prozent.
Die Beschäftigtenzahl im Bauhauptgewerbe nahm auch wieder zu, liegt aber mit knapp 930.000 weit unter dem Niveau der 1990er Jahre. Dafür ist der ausgeprägte Fachkräftemangel im Bau- und Ausbaubewerbe mitverantwortlich, weshalb hohe Fertigstellungszahlen kaum noch zu erreichen sind.

Allerdings entfällt der Löwenanteil des Wohnbauvolumens nicht auf den Neubau, sondern auf die Bestandssanierung. Vom 2020 erbrachten Wohnbauvolumen von annähernd einer Viertelbillion Euro betrafen lediglich 30 Prozent den Neubau. Der Löwenanteil von 70 Prozent wurde mit 20 Milliarden Euro für Instandhaltungen mit über 150 Milliarden Euro für Modernisierungen ausgegeben. Neben den altersbedingt anfallenden Sanierungen sind darin auch die energetisch motivierten Investitionen wie die Dämmung von Dach und Wänden, Isolierfenster, moderne Heiztechnik sowie Solarthermie und Photovoltaik enthalten.
Der Schaden durch die Baukrise trifft vor allem den Hochbau – aber nicht nur
Doch wie groß ist der tatsächliche Schaden? Das lässt sich nicht so einfach quantifizieren. Ein Ansatzpunkt ist der wegfallende Umsatz durch die nicht gebauten Wohnungen. Die Baukosten je Wohnung unterscheiden sich erheblich nach Gebäudeart.
Angesichts der seit 2021 rapide gestiegenen Baukosten müssen 2023 für Geschosswohnungen im Neubau geschätzte Baukosten von 175.000 Euro und für Wohnungen in Ein- und Zweifamilienhäusern eher 330.000 Euro veranschlagt werden. Die durchschnittlichen Baukosten über alle Typen stiegen auf rund 230.000 Euro. Geht die Zahl der Fertigstellungen im laufenden Jahr gegenüber 2022 um 30.000 Wohneinheiten zurück, entspräche das kumulierten Baukosten von etwa 7 Milliarden Euro.
Die Multiplikation der Baukosten mit der Anzahl der Wohnungen würde das Ausmaß aber wohl überzeichnen. Denn neben dem Rohbau, auf den grob etwa die Hälfte der Baukosten entfallen, sind auch Aufwendungen für den Innenausbau oder die Heizung enthalten. Durch den hohen Sanierungsbedarf ist es aber gut möglich, dass etwa bei Heizungen oder Innenausbau Umsatzrückgänge ausbleiben, weil ohnehin an der Kapazitätsgrenze gearbeitet wird.
Immobilienbesitzer zahlen höhere Preise für Sanierungen
Viele Hausbesitzer, die schon länger auf den Heizungsbauern, Dachdecker oder andere Handwerker warten, hoffen nun schneller zum Zuge zu kommen und sind oft auch bereit, die gestiegenen Preise für Sanierungsmaßnahmen zu zahlen. Insgesamt werden die Bauleistungen für Wohnen daher vermutlich nur moderat zurückgehen. Einbußen dürften sich vor allem auf den Hochbau sowie auf Erdarbeiten und Außenanlagen konzentrieren.
Von einer sinkenden Fertigstellungszahl sind allerdings auch baufremde Branchen betroffen. Schließlich wird in jede neu gebaute Wohnung eine Küche installiert. Zudem werden oft neue Möbel benötigt. Auch das Speditionsgewerbe ist betroffen, weil eine ganze Reihe von Umzügen wegfällt. Schließlich kann der Bezug eines Neubaus durch nachgelagerte Wohnungswechsel eine ganze Reihe von Folgeumzügen auslösen – die jeweils in einem gewissen Umfang Renovierungsbedarf und Anschaffungen wie Möbel oder Lampen nach sich ziehen.

Erste Schritte sind gemacht, aber der Weg aus der Baukrise ist noch weit
Die Neubau-Delle ist unmittelbar durch den starken Anstieg der Bau- und Finanzierungskosten verursacht worden. Allerdings war das Bauen auch vorher schon teuer, etwa durch hohe bautechnische- und energetische Standards. Dazu kommen weitere Belastungen wie die Grunderwerbsteuer, eine Quersubventionierungen über frei finanzierte Wohnungen im sozialen Wohnungsbau oder die Mietregulierung, die nicht über die Kosten-, sondern über die Einnahmeseite auf der Wirtschaftlichkeit von Wohnbauvorhaben lastet. Dass die Immobiliennachfrage und der Neubau nicht schon früher merklich gedämpft wurden, verhinderte vor allem die „Zinsanomalie“.
Rückläufige und von 2019 bis 2021 negative Anleiherenditen gingen mit außergewöhnlich niedrigen Finanzierungskosten und einem Anlagenotstand bei vielen Investoren einher. Daher flossen trotz zunehmender Hemmnisse weiterhin hohe Mittel in den Wohnungsbau. Zudem hatten Mehrfamilienhäuser bei vielen Anlegern den Ruf einer vergleichsweise risikoarmen Anlageform, auch weil trotz Corona-bedingter Wirtschaftskrise Mietrückstände weitgehend ausgeblieben sind.
Die Politik verspricht zwar schon länger bezahlbare Wohnungen, aber die öffentliche Hand hat das Wohnen weiter verteuert. Ein Kostentreiber ist das Wirrwarr an Bauvorschriften mit allein 16 Landesbauordnungen, worüber schon lange geklagt wird. Dazu kommen die auf hohem Niveau noch ausgeweiteten Gebäudestandards sowie eine kräftig gestiegene Grunderwerbsteuer.
Grundsteuer engt Spielraum für höhere Mieten ein
Auch die Hebesätze für die Grundsteuer steigen unentwegt. Diese verteuert nicht den Bau, wird aber auf die Miete umgelegt und engt damit den Spielraum für höhere Nettomieten ein. Dass 2022 die Förderung für klimafreundliches Bauen weitgehend gestrichen wurde, hat die Lage zudem erschwert.
Ein Gegensteuern hat in Rathäusern und Ministerien bislang nicht eingesetzt. So wird das Bauen mit dem ab Januar 2023 als Gebäudestandard vorgegebenen Effizienzhaus 55 erneut etwas teurer. 2025 soll das Niveau mit dem Effizienzhaus 40 erneut verschärft werden. Auch die Steuern steigen weiter. In Hamburg und Sachsen wurden zum Jahreswechsel die Sätze für die Grunderwerbsteuer erhöht. Auch die Mietregulierung könnte noch ausgebaut werden. Zuletzt sind die bis vor kurzem noch geforderten Indexmieten in Verruf geraten.

Mit gut 190 Maßnahmen will das von der Bundesregierung initiierte Bündnis für bezahlbares
Wohnen den Wohnungsbau fördern und das Regierungsziel von 400.000 Wohnungen jährlich erreichen. Die Umsetzung dieser Maßnahmen, zu denen auch das modulare und serielle Bauen sowie die Harmonisierung von Bauvorschriften zählen, benötigt allerdings viel Zeit.
Zudem dürften auf den Baustellen erhebliche Effizienzpotenziale vorhanden sein. Bislang werden Gebäude in Deutschland meist individuell geplant und handwerklich gebaut, vom hohen Digitalisierungsgrad und industrieller Fertigung wie etwa in der Autoindustrie ist die mittelständisch geprägte Baubranche weit entfernt. Kostendruck und Fachkräftemangel werden den Weg dahin aber bereiten.
Der sich abzeichnende Rückgang beim Neubau in den kommenden Jahren kann so nicht verhindert werden. Dazu müsste die Lücke zwischen den tatsächlichen Baukosten neuer Wohnungen und dem über Mieteinnahmen finanzierbaren Teil geschlossen werden. Damit steuert der Wohnungsmarkt auf eine Krise zu und setzt die Regierung unter Zugzwang: Der Wohnbedarf wächst, nicht nur durch Geflüchtete oder Asylsuchende.
Ein wesentlicher Baustein der Fachkräftestrategie der Bundesregierung ist Zuwanderung, die aber die Verfügbarkeit von Wohnungen für die ausländischen Fachkräfte voraussetzt. Nach einer aktuellen Studie des Pestel-Instituts fehlen derzeit 700.000 Wohnungen.

Auf die Schnelle hilft wohl nur eine neu aufgelegte Wohnbauförderung. Beispiele gibt es bereits. Stuttgart „buttert“ 200 Millionen Euro bis 2025 in den Wohnbau, um das Neubauziel halten zu können. Auch der Hamburger Senat wurde schon aktiv und will den Erbpachtzins senken. Ein Ansatzpunkt auf Bundeslandebene ist aus unserer Sicht eine zumindest temporäre Reduzierung der Grunderwerbssteuer. Die Belebung des Wohnbaus könnte sich sogar zum Teil selbst finanzieren, weil durch die nicht gebauten Wohnungen Steuern in erheblicher Höhe ausbleiben.
Wieviel Geld letztlich notwendig ist, ist schwer zu beziffern. Fließen die Mittel zu großzügig, sinkt der Druck, das Bauen einfacher und effizienter, vor allem aber günstiger zu machen. Eine allzu üppige Bauförderung könnte aber auch an der Schuldenbremse scheitern. Hier können schnelle Fortschritte bei der Entschlackung der Bauvorschriften einen Beitrag leisten: Sie dämpfen die Baukosten und schonen so den Staatshaushalt.
Investoren stecken weniger Geld in Wohnungen
Im Wohnungsbau liegt derzeit vieles im Argen. Steigende Zinsen und die massive Verteuerung der Baukosten haben die Bauinvestitionen bereits im vergangenen Jahr massiv gedrückt. Daran wird sich angesichts der aufgelaufenen Belastungen im Prognosezeitraum vorerst wenig ändern. Höhere Zinsen dämpfen zwar auch die Ausrüstungsinvestitionen, die Bauinvestitionen sind davon aber deutlich stärker betroffen.
Im Jahr 2023 dürften die Bauinvestitionen im Gesamtjahr rückläufig sein. Der größte Teil des Rückgangs der Bauinvestitionen entfällt dabei auf den Bereich der Wohnungsbauinvestitionen. Die auch von der Politik angestoßenen Impulse für energetische Sanierungen, Heizungserneuerungen und den Ausbau der Photovoltaik dürften einen noch stärkeren Rückgang der Wohnungsbauinvestitionen abfedern. Der Rückgang im Wohnungsneubau kann dadurch jedoch nicht kompensiert werden.
Auch die Investitionen in Nichtwohnbauten dürften von den schwierigen Rahmenbedingungen weniger betroffen sein, auch wenn sie sich dem Abwärtstrend nicht ganz entziehen können. Bei den Ausrüstungen dürfte die Erholung dagegen etwas früher einsetzen, aber auch nur moderat ausfallen.
Alles in allem werden die Bauinvestitionen damit im Prognosezeitraum nach der langen Erfolgsgeschichte der vergangenen Jahre zu einem Belastungsfaktor für die Konjunktur. Zusammen mit den rückläufigen Konsumausgaben tragen sie dazu bei, dass das Bruttoinlandsprodukt in Deutschland im laufenden Jahr voraussichtlich um -0,2 Prozent gegenüber dem Vorjahr zurückgehen wird. Insgesamt werden die Bruttoanlageinvestitionen im Prognosezeitraum um 2,7 Prozent im laufenden Jahr sinken. Den größten Anteil daran haben die Bauinvestitionen mit einem Minus von knapp 6 Prozent gegenüber dem Vorjahr.

Angesichts des starken Zustroms von Flüchtlingen im vergangenen Jahr besteht zweifellos ein Bedarf an öffentlich gefördertem Wohnungsbau. Dies wird sowohl von den Kommunen als auch von den Ländern immer wieder gefordert. Derzeit ist jedoch nicht absehbar, dass die öffentliche Hand verstärkt Maßnahmen ergreifen wird, um das Regierungsziel von 400.000 neuen Wohnungen zu erreichen.
Die Baukrise lässt sich nicht verhindern, kann aber gemildert werden
Die Politik hat es sich in den vergangenen Jahren mit Blick auf den Wohnungsbau bequem gemacht und sich über hohe Steuereinnahmen gefreut, den Wähler mit Mietregulierung milde gestimmt und mühsame Projekte wie die Entschlackung der Bauvorschriften auf die lange Bank geschoben. Aber auch in der Immobilienwirtschaft fehlte dank hoher Anlegergelder und niedriger Finanzierungskosten der Druck, etwa die Digitalisierung oder das günstige Bauen voranzutreiben.
Umso mehr ist jetzt schnelles Handeln auf allen Seiten gefragt, damit aus der Bau-Delle keine anhaltende Wohnkrise erwächst. Dass Probleme auch rasch gelöst werden können, haben bereits die LNG-Terminals gezeigt. Beim Bauen sind die Ansatzpunkte bekannt und genug Anreize vorhanden: Springt der Bau schnell wieder an, ist das gut für Wohnungssuchende, Konjunktur, Steuereinnahmen und Immobilienwirtschaft.
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