Fondsmanager im Interview „In Europa findet man attraktive Anlagechancen“
Herr Denham, Herr Ney, warum haben Sie sich vor vier Jahren entschieden, einen auf Europa spezialisierten Fonds aufzulegen, obwohl der Kontinent bei internationalen Anlegern nicht gerade hoch im Kurs steht?
Mark Denham: Europa ist für viele außereuropäische Anleger mitunter schwer zu verstehen – das stimmt. Die Region umfasst zahlreiche Länder, die kulturell sehr unterschiedlich sind und eine heterogene Wachstumsdynamik aufweisen. Zudem können politische Unsicherheiten auftreten, wie etwa der Brexit gezeigt hat.
Das Wirtschaftswachstum in Europa ist insgesamt schwächer als in den USA oder Asien. Darüber hinaus belastet das geringe Zinsniveau die Anleiherenditen. Aus diesen Gründen ist die Region bei ausländischen Anlegern nicht sehr beliebt. Dies liegt jedoch eher an einem fehlenden Verständnis als an einer strikten Ablehnung.
Keith Ney: Genau, Mark. Es gibt zahlreiche Chancen in Europa; man muss sich allerdings intensiv mit der Region und den dortigen Unternehmen beschäftigen. In Europa sind viele führende Akteure im Gesundheits- und Luxusgütersektor sowie innovative Firmen in den Branchen Industrie, Technologie, Konsum und Finanzen ansässig. Der Carmignac Portfolio Patrimoine Europe wurde aufgelegt, um in diese Unternehmen mit attraktiven langfristigen Wachstumsaussichten zu investieren. In den vergangenen vier Jahren konnte sich unsere Strategie unter schwierigen realen Bedingungen beweisen, die dazu äußerst unterschiedlich waren. Eine Herausforderung stellen natürlich die sehr niedrigen Zinsen dar, aber auch der coronabedingte Kurseinbruch mit der folgenden rasanten globalen Erholung war ein echter Härtetest.
Was unterscheidet Ihren Ansatz von anderen Strategien?
Denham: Zunächst zeichnet sich unser Ansatz, wie bei allen anderen Fonds von Carmignac, durch eine aktives, auf Überzeugungen basierendes Management aus. Das bedeutet, dass wir nicht einfach einen Index nachbilden oder uns bei unseren Investitionen nach den Meinungen anderer Anleger richten. Im Gegenteil: Wir prüfen die Unternehmen, in die wir investieren, sorgfältig und wählen sie anhand präziser Kriterien aus. Dazu gehören verantwortungsbewusstes Wirtschaften, Wachstumsaussichten und ähnliches. Hierfür verfügen wir über umfangreiche Ressourcen und sind völlig unabhängig.
Im Gegensatz zu anderen auf Europa spezialisierten Fonds haben wir eine globale Sichtweise. Denn heute können sich Entwicklungen in Asien massiv auf die Wirtschaft in Europa auswirken, was beispielsweise der Mangel an Halbleitern zeigt. Für eine umfassende Analyse der Situation in Europa muss man auch verstehen, was im Rest der Welt passiert, und dies entsprechend berücksichtigen. Darüber hinaus ist es unser Ziel, Rendite und Nachhaltigkeit in Einklang zu bringen, was aus unserer Sicht sehr gut möglich ist.
Ney: Mark und ich ergänzen uns optimal. Außerdem sind wir seit vielen Jahren an den Finanzmärkten tätig – zusammen 53 Jahre. Wir haben also schon viele turbulente Marktphasen erlebt. All diese Erfahrungen waren in stürmischen Zeiten wie im vergangenen Jahr während der Gesundheitskrise äußerst hilfreich.
Entscheidend ist, sich in einem schwierigen Umfeld mit dem richtigen Ansatz abzuheben. Insofern ist Flexibilität der größte Vorteil des Fonds. Denn diese macht es möglich, sich bietende Gelegenheiten zu nutzen. Keine Position ist festgeschrieben, und wir können sowohl in Aktien als auch in Anleihen investieren. Dadurch können wir Positionen in Unternehmen eingehen, die auch in einem Umfeld schwächeren Wachstums aus unserer Sicht eine gute Performance erzielen werden. Deshalb gilt: Selektivität ist entscheidend!
Welche Anlagechancen gibt es in Europa?
Denham: Wir werden regelmäßig gefragt, ob 2022 das Jahr Europas wird, nachdem die Aktienmärkte in der Region seit mehreren Jahren im internationalen Vergleich unterdurchschnittlich abgeschnitten haben. Das ist schwer zu sagen. Die Wirtschaftsentwicklung in der Eurozone wird sich jedoch aller Voraussicht nach deutlich von der in den USA und Asien unterscheiden. Nachdem die Erholung bisher eher bescheiden ausgefallen ist, wird die Region voraussichtlich ein robusteres Wachstum zeigen. Ein Grund hierfür ist das Programm Next Generation EU der Europäischen Union, das die Wirtschaft in Schwung bringen und die Mitgliedstaaten bei der Energiewende und dem digitalen Wandel unterstützen soll.
Ney: Für Unternehmen ist das Umfeld angesichts der anziehenden Inflation und des sich weltweit voraussichtlich abschwächenden Wachstums nach wie vor schwierig. Unter diesen Bedingungen bevorzugen wir Unternehmen, deren Gewinne nicht so stark vom Wirtschaftswachstum abhängen und die sich auch in einem weniger günstigen konjunkturellen Umfeld gut entwickeln. Mehrere dieser Unternehmen konzentrieren sich auf langfristige Themen wie Digitalisierung, Innovation oder erneuerbare Energien. Es ist also möglich, trotz der Komplexität in Europa attraktive Anlagechancen zu finden, sofern man den richtigen Ansatz verfolgt. Man sollte Europa keinesfalls unterschätzen.