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in Märkte verstehen, Chancen nutzenLesedauer: 8 Minuten
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Ausblick zur Jahresmitte In welchen Assetklassen BlackRock jetzt die größten Chancen sieht

Rush Hour auf dem Times Square in New York
Rush Hour auf dem Times Square in New York: Die Fed dürfte sich mit einer höheren Inflation abfinden, sofern ihre Zinserhöhungen Wachstum und Beschäftigung beeinträchtigen – und sie unter Druck gerät, ihren Kurs zu ändern. | Foto: Imago Images / Geisser

Wir leben in einer Zeit, die so stark vom Angebot geprägt ist wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Große Ausgabenverschiebungen sowie Produktionsengpässe und nicht etwa eine übermäßige Nachfrage treiben die Inflation an. Diese Engpässe haben ihren Ursprung in der Pandemie und wurden vom Ukraine-Krieg und den Corona-Lockdowns in China noch verschärft. So hat der Krieg die Rohstoffpreise und mit ihnen die Inflation in die Höhe schnellen lassen.

Wichtige Zentralbanken erhöhen die Leitzinsen, um schnell zu einem neutralen Niveau zurückzukehren, das die Konjunktur weder stimuliert noch bremst. Die Fed hat weitergehende
Pläne und will die Zinsen weit in den restriktiven Bereich auf nahe 4 Prozent bis 2023 anheben. Das Problem dabei: Zinserhöhungen helfen kaum gegen den aktuellen Preisauftrieb. Die Fed und andere Zentralbanken stehen vor einer schwierigen Entscheidung: Sie können entweder versuchen, die Wirtschaft oder die Inflation zu stabilisieren – beides geht nicht.

Letztlich wird sich die Fed mit einer höheren Inflation abfinden, wenn sie sieht, wie ihre Zinserhöhungen auf Wachstum und Beschäftigung durchschlagen – und sie unter Druck gerät, ihren Kurs zu ändern. Erst einmal aber hat sie sich unseres Erachtens selbst in eine Ecke manövriert: Sie reagiert nur auf die Inflation und lässt wirtschaftliche Aspekte bisher außer Acht. Die Wirtschaft wird wohl spürbar Schaden nehmen und der Neustart zum Erliegen kommen, bevor die Zentralbank das Ruder herumreißt. Auch bleibt nicht genug Zeit, um auf neue Daten zu reagieren, die die Fed bremsen könnten. Es droht das Schlimmste aus beiden Welten: Eine anhaltend höhere Inflation und kurze Konjunkturzyklen.

Wenn das Makroumfeld von Produktionsengpässen geprägt ist, können die Zentralbanken Volatilität nicht verhindern. Da mal die Politik und mal die Wirtschaft die Prioritäten ihrer Geldpolitik bestimmen, werden sie diese Volatilität vermutlich noch verstärken. Auch wenn die Politik Vorrang hat, werden die Signale der Zentralbanken unserer Meinung nach weniger wirkungsvoll sein als in der Phase der Great Moderation von Mitte der 1980er-Jahre bis 2007.

Das Fazit: In einem Umfeld mit anhaltend höherer Inflation bevorzugen wir einen selektiven Ansatz in den Industrie- und Schwellenländern. Uns gefallen Energie- und Bergbauaktien, die in diesem Jahr bisher von guter Stimmung profitiert haben, sowie inflationsgeschützte Anleihen, um Portfolios gegen den steigenden Preisdruck zu schützen.

Industrieländeraktien

Aus taktischer Sicht stufen wir Aktien aus Industrieländern auf untergewichtet zurück, da sich der Konjunkturausblick eingetrübt hat und höhere Kosten die Gewinnmargen schmälern könnten. Mit der restriktiven Haltung der Zentralbanken in Industrieländern haben die regionalen Verwerfungen nachgelassen.

Wir erwarten Abwärtsrisiken, wenn die Notenbanken die Zinsen zu stark anheben. Zudem sehen wir keinen Auslöser für eine längere Hausse bei Industrieländeraktien und bevorzugen einen selektiven Ansatz mit Sektor- und Faktorengagements.

Zyklische und defensive Sektoren überdenken

Unseres Erachtens ist es an der Zeit, die bisherige Einteilung der Sektoren in „zyklisch“ und „defensiv“ und die Zuordnung zu diesen beiden Kategorien zu überdenken. Wir befinden uns in einem neuen Marktregime, gekennzeichnet durch steigende Zinsen, hohe Inflation und langsameres Wachstum. Das erfordert auch eine neue Sichtweise darauf, was defensiv ist und was nicht. So
mag der Technologiesektor etwa vor der Pandemie nicht als defensiv gegolten haben. Aber seine Tendenz zu Qualität und seine Rolle als Absicherung gegen Extremrisiken während der Corona-Pandemie haben dazu geführt, dass sich der Sektor in den vergangenen Jahren in Portfolios viel defensiver ausgewirkt hat.

Allerdings ist das defensive Profil des Tech-Sektors seit Jahresbeginn etwas ins Wanken geraten – hier wird deutlich, wie wichtig es ist, die Begriffe „zyklisch“ und „defensiv“ als dynamische und nicht als starre Kategorien zu betrachten. In diesem Jahr war bei den ETP-Kapitalflüssen eine Tendenz zu defensiven Sektoren zu beobachten: Trotz der Herausforderung durch steigende Zinsen folgten nach Angaben von Markit dem mit 17 Milliarden US-Dollar führenden Tech-Sektor ETPs auf Gesundheitswerte (12,1 Milliarden US-Dollar) und Versorger (5,1 Milliarden US-Dollar). Inzwischen spricht aus taktischer wie strategischer Sicht immer mehr dafür, Industriewerte als defensiven Sektor zu betrachten: Strukturelle Unterstützung geht von der Verlagerung und Relokalisierung von Lieferketten sowie von längerfristigen Trends wie der Automatisierung aus. Kurzfristiger betrachtet haben sich die Bewertungen von Industrieaktien weltweit vom MSCI World Index abgekoppelt, dem sie 2020 weitgehend gefolgt waren. Derzeit werden sie tiefer als der Gesamtmarkt und unter ihren Vor-Corona-Niveaus gehandelt.