Chancenreiches Investment-Ziel Indiens Fortschritt im Zeichen der Digitalisierung
Im November 2016, am selben Tag, an dem Donald Trump die US-Präsidentschaftswahlen gewann, kündigte die indische Regierung eine massive Demonetarisierung an, bei der die größten Geldscheine des Landes, die 80 Prozent des gesamten Bargelds ausmachen, aus dem Verkehr gezogen wurden. An jedem normalen Tag wäre dies auf den Titelseiten aller großen Finanzpublikationen zu lesen gewesen, doch die Wahl zum 45. Präsidenten der Vereinigten Staaten hatte verständlicherweise Vorrang.
Die Demonetarisierung, die zunächst zu enormen wirtschaftlichen Verwerfungen führte, war Teil der ehrgeizigen Bemühungen der Regierung, die Korruption zu bekämpfen, die Steuerhinterziehung einzudämmen und mehr Menschen in die formale Wirtschaft zu bringen. Sie war Teil einer umfassenden Strategie der Regierung von Premierminister Narendra Modi zur strukturellen Umgestaltung der indischen Wirtschaft. Modi hat seit seiner Wahl im Jahr 2014 Wirtschaftsreformen vorangetrieben, die darauf abzielen, ein unternehmensfreundliches Umfeld zu schaffen, im Verbund mit der Einführung einer nationalen Steuer auf Waren und Dienstleistungen. Damit wurde das komplizierte Steuergeflecht gestrafft und das verarbeitende Gewerbe und die Industrie in die formale Wirtschaft integriert. Außerdem überarbeitete die Modi-Regierung das Insolvenz- und Konkursrecht, was die Kapitalallokation und die Kreditkosten verbesserte.
Viele Marktteilnehmer haben die Zusammenhänge damals nicht erkannt, aber die Digitalisierung der indischen Wirtschaft unter dem Schlagwort IndiaStack war ein zentraler Bestandteil der strategischen Überlegungen der Regierung. Eine flächendeckende digitale öffentliche Infrastruktur wird enorme Auswirkungen auf Indiens Bevölkerung und Wirtschaft haben. Neue Investitionsmöglichkeiten werden entstehen.
Indiens digitale Evolution
Die Bedeutung von IndiaStack lässt sich am besten anhand eines Beispiels zeigen: Die 23-jährige Prema wurde in einem ländlichen indischen Dorf geboren und ist vor kurzem auf der Suche nach besseren Lebenschancen nach Mumbai gezogen. Doch ohne feste Adresse scheitert Prema schon an der ersten Hürde, wenn sie ein Bankkonto eröffnen will. Jetzt kommt IndiaStack ins Spiel:
- Identifizieren: Die erste Schicht von IndiaStack ist AADHAR, eine biometrische Identitätsdatenbank, die Premas Personalausweis mit ihren biometrischen Daten verknüpft, damit sie ein Bankkonto eröffnen kann und Finanzdienstleister „Know your customer“-Überprüfungen durchführen können.
- Zahlungsverkehr: Als Nächstes ermöglicht das Unified Payments Interface (UPI) bargeldlose Zahlungen, indem Premas ID-Nummer, Telefonnummer und Bankkonto mit einer Zahlungsadresse verknüpft werden. So kann sie ihr Gehalt auf elektronischem Wege erhalten. Außerdem kann sie damit Geld an ihre Eltern schicken oder auf dem örtlichen Markt einkaufen – alles über ihr Smartphone und ohne teure Zwischenhändler.
- Daten: Die letzte Ebene, DigiLocker und e-consent, ermöglicht es Prema, Kopien von Dokumenten wie akademischen Unterlagen, ihre Geburtsurkunde und ihren Führerschein zu speichern. Diese kann sie bei Arbeitgebern und bei Finanzdienstleistern vorweisen, um Kredite zu beantragen.
Die durchgeführten Reformen, in Kombination mit den demografischen Entwicklungen und den steigenden Einkommen in Indien, könnten eine tragende Säule für die zukünftige wirtschaftliche Entwicklung und das anhaltende Wachstum des Landes sein.
Indien ist das bevölkerungsreichste Land der Welt mit einem Durchschnittsalter von 29 Jahren (Quelle: Worldometer, 2023), hat vor kurzem die Einkommensschwelle von 2.000 US-Dollar BIP pro Kopf (Quelle: Citi Research, 2023) überschritten und verfügt über eine rasch wachsende Mittelschicht – die Zahl der Haushalte mit einem Jahreseinkommen von über 35.000 US-Dollar wird sich im kommenden Jahrzehnt voraussichtlich verfünffachen (Quelle: Jefferies, 2023, Grafik 1). Schätzungen zufolge (Quelle: World Economics, 2023) wird angenommen, dass über 40 Prozent der indischen Wirtschaft dem informellen Sektor zuzurechnen sind. Die Digitalisierung hat das Potenzial, viele Menschen in die formelle Wirtschaft zu bringen, indem sie zum Beispiel den Zugang zu Krediten erleichtert. Die Reformen haben auch die Kreditvergabe auf eine neue Basis gestellt und die Kreditvergabe gestrafft, was zu einer deutlichen Belebung des Kreditwachstums führen und den Finanzsektor und die Wirtschaft ankurbeln dürfte. Zugleich erlebt Indien eine beispiellose Expansion des Kleinanlegermarktes, wobei die Anzahl der Börsenteilnehmer von 62 Millionen auf schätzungsweise 300 Millionen ansteigen könnte – ein Anstieg um das Fünffache. (Quelle: Morgan Stanley, 2023).
Grafik 1: Indiens Einkommenspyramide wird sich in den nächsten zehn Jahren voraussichtlich umkehren
Infrastruktur und Produktion sind nach wie vor entscheidend
Indiens strukturelles Wachstum beschränkt sich nicht nur auf die Digitalisierung, die Bevölkerungszunahme und die Schaffung von Wohlstand. Die Regierung investiert in eindrucksvolle Infrastrukturprojekte und unterstützt die Entwicklung des verarbeitenden Gewerbes, um ausländische Direktinvestitionen anzuziehen und erhebliche Netzwerkeffekte in den Lieferketten in Gang zu setzen, während die Wirtschaft die Chancen ergreift, die sich durch die China+1-Diversifizierungsbemühungen multinationaler Unternehmen ergeben.