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Asien-Experten im Gespräch „Indien hat als einzige große Volkswirtschaft den Aufstieg im Geschäftsklima-Ranking geschafft“

Bau einer Autobahn in Mumbai
Bau einer Autobahn in Mumbai: Die prognostizierte Wachstumsrate Indiens für die nächsten fünf Jahre liegt bei 6,1 Prozent – und übertrifft damit die von China deutlich. | Foto: Imago Images / Hindustan Times

Marcus Weyerer: Indien hat bei den Anlegern derzeit einen Lauf. Der Aktienmarkt des Landes hat sich zwar von seinen Allzeithochs entfernt, ist allerdings weniger stark gefallen als die Aktienmärkte vieler anderer Schwellenländer und der entwickelten Länder. Die Aktienbewertungen scheinen jedoch auf der Grundlage der Unternehmensgewinne der letzten zwölf Monate hoch zu sein. Wie sehen Sie das Land derzeit im Großen und Ganzen?

Samir Sinha: Indiens strukturelle und fundamentale Story ist stark. Das Land koppelt sich von den jüngsten globalen Herausforderungen ab, was insbesondere bei den Bankenturbulenzen in den USA und Europa auffällig war. Die indischen Aktien haben sich seit der Bodenbildung im März erholt, liegen aber immer noch hinter dem breiten Schwellenmarkt-Universum zurück. Das beständige Wachstum, eine moderate Inflation, eine unterstützende Geldpolitik, die reformorientierte Regierung und ein starker Bankensektor geben jedoch Anlass zu Optimismus für die Zukunft.

Marcus Weyerer

Weyerer: Dazu einige IWF-Zahlen: Stand Juni 2023 liegen die Erwartungen für Indiens BIP-Wachstum im laufenden Jahr bei 5,9 Prozent, für die USA bei 1,1 Prozent, für China bei 5,2 Prozent und für Europa bei -5,2 Prozent. Die prognostizierte durchschnittliche Wachstumsrate Indiens für die nächsten fünf Jahre liegt bei 6,1 Prozent und übertrifft damit die von China deutlich.

Sie haben den Bankensektor erwähnt, der für das Wachstum in den Schwellenländern entscheidend ist. Könnten Sie einen Überblick über die Situation nach den Bankenproblemen geben, die wir im Frühjahr in Europa und den USA erlebt haben?

Sinha: Die indischen Banken sind sehr gut kapitalisiert und ihre Eigenkapitalquoten liegen deutlich über den aufsichtsrechtlichen Anforderungen, die tendenziell etwas konservativer sind als Basel III. Auch die Bilanzen der Banken sehen im Allgemeinen sehr gesund aus, weil das Kreditwachstum kräftig ist und notleidende Kredite keine Sorgen bereiten. Außerdem sind die Auslandsforderungen gegenüber indischen Banken deutlich geringer als beispielsweise in den USA oder in Großbritannien. Das begrenzt die Anfälligkeit des Landes für einige der globalen Unsicherheiten, die wir aktuell erleben.

Weyerer: Lassen Sie uns über die Aussichten sprechen. Wenn wir uns die indischen Einkaufsmanagerindizes ansehen, finde ich es beeindruckend, wie stabil sie sich seit ihrer starken Erholung nach der Pandemie gehalten haben. Sie haben seither kaum nachgegeben.

Samir Sinha

Sinha: Tatsächlich lag der indische Einkaufsmanagerindex für das Verarbeitende Gewerbe im Mai bei 58,7, während der Einkaufsmanagerindex für den Dienstleistungssektor bei über 60 lag; also jeweils über der Expansionsschwelle von 50. Während der Binnenkonsum stark zugenommen hat, sind die Input-Preise gesunken, was in Zukunft höhere Gewinnmargen und Erträge der Unternehmen bedeuten dürfte. Zugleich melden die indischen Unternehmen eine hohe Kapazitätsauslastung, was sie zu einem verstärkten Kapitaleinsatz zur Erweiterung ihrer Kapazitäten ermutigt.

Ein weiterer wichtiger Faktor ist die Verlagerung von Fertigungskapazitäten von China nach Indien. Daraus ergibt sich vordergründig nicht nur eine Diversifizierung der Lieferketten für westliche Unternehmen, sondern auch der gesuchte Zugang zum großen und wachsenden indischen Inlandsmarkt. Derweil räumt Indiens Regierung ausländischen Direktinvestitionen Priorität ein: Es werden steuerliche Anreize gewährt, die Qualifizierung der einheimischen Arbeitskräfte forciert und die Rahmenbedingungen für Unternehmen verbessert.

Weyerer: In Bezug auf den letzten Punkt werden offenbar gute Fortschritte erzielt, zumindest laut der jüngsten Rangliste des Analyse- und Beratungshauses Economist Intelligence Unit zum Geschäftsklima. Im Vergleich zum Vorjahr hat Indien sich um sechs Plätze verbessert – und zählt damit zu den Volkswirtschaften, die die größten Sprünge nach oben gemacht haben. Indien ist übrigens, das muss in diesem Zusammenhang unterstrichen werden, die einzige große Volkswirtschaft, der zuletzt ein Aufstieg im Geschäftsklima-Ranking gelungen ist. Fortschritte zeigen sich dabei in den meisten Messgrößen. Zwei, die mir besonders wichtig erscheinen, sind die Affinität zum Technologieeinsatz und die Politik der Öffnung gegenüber ausländischen Investitionen. Gleichzeitig treibt die Regierung die Verhandlungen über Handelsabkommen in aller Welt voran.

Meine Frage: Wie dürfte sich all das auf Indiens Verarbeitendes Gewerbe auswirken?

Sinha: Die Bedeutung und der Anteil des Verarbeitenden Gewerbes am indischen BIP werden zunehmen. Wir erwarten zudem einen allmählichen Aufschwung der Produktion von Fertigprodukten in der Wertschöpfungskette, sodass das Verarbeitende Gewerbe in Bezug auf die Bruttowertschöpfung das Potenzial hat, in Zukunft einen deutlich höheren Beitrag zu leisten.

 

Weyerer: Heute ist der private Konsum eine der wichtigsten Triebfedern der indischen Wirtschaft und wird auch in Zukunft eine wichtige Rolle spielen. Wie schätzen Sie das Potenzial des Binnenmarkts ein?

Sinha: Es wird allgemein erwartet, dass die Nachfrage sowohl in den Städten und Ballungsgebieten als auch auf dem Land zunehmen wird. Bis 2030 dürfte sich die Größe des Einzelhandelsmarktes gegenüber 2018 etwa verdoppeln; damals erreichten die Einzelhandelsausgaben ihren vorläufigen Höhepunkt, um dann infolge der Pandemie einzubrechen. Der Konjunkturaufschwung wird seither hauptsächlich von den Städten getragen. Aber das Thema Kaufkraft und Konsum auf dem Land wird im kommenden Wahlzyklus ein wichtiger Schwerpunkt sein, denn die Landwirtschaft macht nach wie vor einen großen Teil der indischen Wirtschaft aus. Vor diesem Hintergrund hat die Regierung bereits Programme zur Unterstützung der Landwirte und der Landbevölkerung eingeleitet.

Weyerer: Lassen Sie uns in diesem Zusammenhang einen Blick auf die Lage von Staatshaushalt und Währung werfen. Im laufenden Jahr wurden die Haushaltsziele der Regierung bisher größtenteils erreicht, was unter anderem auf die guten Einnahmen aus der Mehrwertsteuer zurückzuführen ist. Außerdem sind die Devisenreserven seit dem Ende der Pandemie ermutigend gewachsen und befinden sich wieder in der Nähe ihrer Allzeithochs. Aber kann das so weitergehen?

Sinha: Wir gehen davon aus, dass sich die Mehrwertsteuereinnahmen im Einklang mit der allgemeinen Inlandsnachfrage weiter verbessern werden, was der Regierung bei der Haushaltskonsolidierung helfen dürfte. Das Leistungsbilanzdefizit ist ebenfalls zurückgegangen und dürfte sich bis 2024 weiter verringern, wodurch die Devisenreserven ebenfalls weiter zunehmen dürften, wie Indiens Notenbank erwartet. Und schließlich ist die Auslandsverschuldung Indiens mit lediglich rund 20 Prozent des BIP im Vergleich zu den Industrieländern niedrig.

Weyerer: Im Vergleich dazu liegt die Auslandsverschuldung in den USA bei rund 100 Prozent des BIP, in Deutschland bei 170 Prozent und in Italien bei 130 Prozent.

Der letzte Punkt, den ich ansprechen möchte, ist die Entwicklung der Zinssätze – insbesondere vor dem Hintergrund des Wetterphänomens El Niño, das regelmäßig die Lebensmittelpreise in die Höhe treibt, und der jüngsten Ölproduktionskürzung von Saudi-Arabien und Russland. Hat die Zentralbank einen gewissen Spielraum? Was müssen Anleger wissen?

Sinha: Die Reserve Bank of India hat deutlich gemacht, dass die Rückführung der Inflation auf 4 Prozent absolute Priorität hat. Die jüngste Zinsentscheidung bestand darin, den Zinssatz bei 6,5 Prozent zu belassen, was exakt den Markterwartungen entsprach. Sieht man sich die Teuerungskurve genau an, ist zu erkennen, dass Indiens Inflation bereits im April ein Zweijahrestief erreicht hat, und dieser allgemeine Trend stimmt mit dem Rest der Welt überein. Es ist davon auszugehen, dass Indiens fiskalische Umsicht mittelfristig belohnt werden dürfte. Die makroökonomische Situation Indiens sieht im internationalen Vergleich vielversprechend aus und rechtfertigt höhere Aktienbewertungen, um noch einmal auf Ihre erste Frage zurückzukommen.

Weyerer: Kurz zusammengefasst: Indische Aktien sind derzeit nicht billig, aber sie sind auch nicht teuer, wenn man die strukturellen Trends berücksichtigt, die wir besprochen haben. Die unterstützende Fiskalpolitik und eine expandierende Produktionsleistung wird von einem günstigen Umfeld für den privaten Konsum flankiert. Anleger in indischen Aktien profitieren schon jetzt von einem sich rasch verbessernden Geschäftsklima, weitreichenden Regierungsreformen, einem gesunden Kreditwachstum und sehr guten Einkaufsmanagerindizes sowie einem chancenreichen Aktienmarkt, der im bisherigen Jahresverlauf ins Plus gedreht hat.

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