Ökonom Michael Heise
Was Notenbanker aus dem Inflationsdebakel lernen
Michael Heise ist Chefökonom der Anlagegesellschaft HQ Trust. Foto: HQ Trust
Notenbanker konnten weder die Corona-Pandemie noch den Ukraine-Krieg vorhersehen. Die daraus resultierende Inflation unterschätzen sie jedoch lange – mit schlimmen Folgen für die Wirtschaft. Mit einer klaren und verlässlichen Stabilisierungspolitik lassen sie sich die Schäden jedoch begrenzen.
Folgerichtig ist die EZB dann ab August 2022 dazu übergegangen, geldpolitische Entscheidungen von Sitzung zu Sitzung anhand der eingehenden Daten und der daraus resultierenden Schlussfolgerungen zu treffen. Mit dieser Vorgehensweise ist mehr Flexibilität verbunden, die in Zeiten äußerst großer Unsicherheiten und erheblicher Inflationsdynamik nötig ist.
Die Unsicherheiten in der Diagnose und Prognose der wirtschaftlichen Entwicklung, die geldpolitische Entscheidungen seit jeher begleiten, sind durch die modellbasierten Paradigmen der letzten Jahre etwas aus dem Blick geraten. Die Vorstellung, dass wir in einer Welt sehr niedriger, möglicherweise sogar negativer Gleichgewichtszinsen leben und die Notenbanken deswegen nur über großangelegte Anleihekäufe Einfluss nehmen können, hat die Politik lange Jahre geprägt.
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Folgerichtig ist die EZB dann ab August 2022 dazu übergegangen, geldpolitische Entscheidungen von Sitzung zu Sitzung anhand der eingehenden Daten und der daraus resultierenden Schlussfolgerungen zu treffen. Mit dieser Vorgehensweise ist mehr Flexibilität verbunden, die in Zeiten äußerst großer Unsicherheiten und erheblicher Inflationsdynamik nötig ist.
Die Unsicherheiten in der Diagnose und Prognose der wirtschaftlichen Entwicklung, die geldpolitische Entscheidungen seit jeher begleiten, sind durch die modellbasierten Paradigmen der letzten Jahre etwas aus dem Blick geraten. Die Vorstellung, dass wir in einer Welt sehr niedriger, möglicherweise sogar negativer Gleichgewichtszinsen leben und die Notenbanken deswegen nur über großangelegte Anleihekäufe Einfluss nehmen können, hat die Politik lange Jahre geprägt.
Die EZB sollte die Geldmenge stärker beachten
Wenn man die Gedankenlogik auf die heutige Situation überträgt, kommt man zu ganz anderen Ergebnissen. Denn das hartnäckige Überschießen der Inflation über die gewünschten 2 Prozent spricht dafür, dass das aktuelle Zinsniveau den nicht direkt beobachtbaren gleichgewichtigen Zins noch nicht erreicht hat. Er läge dann viel höher als frühere Modellrechnungen nahelegen. Eindeutige Handlungsanweisungen sind jedoch im Umfeld sehr großer Unsicherheit immer problematisch.
Die Stabilisierung des Preisniveaus und der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung ist ein mittelfristig angelegtes Ziel. Das ist seit den fehlgeschlagenen inflationären Versuchen einer kurzfristig konjunkturorientierten Politik in den 1960er- und 70er-Jahren wohl weithin akzeptiert. Aber wie kann es umgesetzt werden? Ein Weg war es in den Jahren des Monetarismus, den Stabilitätsbeitrag der Geldpolitik anhand der Entwicklung der Geldmengen- und Kreditaggregate zu bemessen, die die Geldpolitik zumindest stärker beeinflussen kann als das Endziel des Preisniveaus. Über die Zeit ist die Betrachtung von Geldmengenaggregaten dann wieder aus der Mode gekommen. Auch die EZB hat die Bedeutung der Geldmengenentwicklung mit Verweis auf den vermeintlich gelockerten Zusammenhang zur Preisniveauentwicklung relativiert.
Empirische Ergebnisse sind aber immer zeitabhängig. Hätte man sich in den vergangenen drei bis vier Jahren etwas mehr an der Geldmengenentwicklung orientiert – die Geldmenge M1 war in den Jahren 2020 und 2021 zusammengenommen um rund 25 Prozent hochgeschnellt – wäre die Normalisierung der Geldpolitik wohl deutlich früher und beherzter angegangen worden. Auch wenn viele von der Geldpolitik kurzfristig nicht beeinflussbare Faktoren eine Rolle spielten, hätte der Anstieg der Inflation auf 8,4 Prozent in 2022 zumindest gebremst werden können. Aufgrund der Zinserhöhungen seit Mitte 2022 hat sich die eng gefasste Geldmenge in der Eurozone wieder deutlich zurückgebildet, was ein gutes Vorzeichen für eine bevorstehende Verlangsamung der Inflation ist.
Im Rückblick erscheinen Anleihekäufe fragwürdig
Die EZB hat in den Zeiten niedriger Inflation oft auf mögliche Probleme bei der Transmission ihrer geldpolitischen Impulse in die Realwirtschaft und vor allem auf das Problem der effektiven Zinsuntergrenze hingewiesen, die sie mit ihren Leitzinsen nicht unterschreiten kann und die ihren Handlungsspielraum einschränkt. Sie hat daher immense Anleihekaufprogramme aufgelegt und in großem Umfang Zinsrisiken aus dem Markt genommen und die Renditen an den Kapitalmärkten gedrückt. Die Preise für Staatsanleihen stiegen kräftig an und zogen auch die Bewertungen von Vermögenstiteln wie Aktien, Beteiligungen oder Immobilien nach oben.
Wie stark der Anstieg der Vermögenspreise die gesamtwirtschaftliche Nachfrage und die Preisentwicklung stimuliert haben, ist umstritten, denn es gab auch negative Effekte. Eine stärkere Ungleichheit der Vermögensverteilung und ein verlangsamtes Wachstum der Altersvorsorgevermögen dürften zu höherer Ersparnis geführt haben und damit expansive Effekte der Anleihekäufe gedämpft haben.
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