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Unternehmer über Geldpolitik Tech-Fortschritt bremst Inflation

Christine Lagarde
Christine Lagarde: Expansive Geldpolitik wie die EZB-Chefin sie betreibt kann zu massiver Inflation führen. | Foto: Imago Images/Andia

„Wir haben nicht darüber diskutiert, ob und wann wir mit dem Ausstieg beginnen.“ Das erklärte EZB-Chefin Christine Lagarde – gefragt nach der Zukunft des europäischen Anleihenkaufprogramm – im vergangenen April. Unter normalen Umständen sollte eine solche Ausweitung der Geldmenge zu massiver Inflation, gar Hyperinflation führen. Zum Beispiel liegt die jährliche Inflationsrate in vielen afrikanischen Ländern mit expansiver Geldpolitik bei 20 bis 100 Prozent, und selbst in Ländern wie der Türkei, die uns nahe sind und wo wir Urlaub machen, bei 16,5 Prozent pro Jahr. Eine solche Inflation ist im Euroraum nicht ansatzweise zu verzeichnen, trotz vergleichbarer Ausweitung der Geldmenge. Wie lässt sich das erklären?

Technologische Innovationen: Gegengewicht zur expansiven Geldpolitik

Seit fünf Jahren liegt der von der Europäischen Zentralbank ausgegebene Leitzins nunmehr bei 0 Prozent. Wollen Banken Geld auf den Konten der EZB „parken“, sind sogar Negativzinsen fällig. Hinzu kommt das viel besprochene und weiter offensiv praktizierte Kaufprogramm von Staats- und Unternehmensanleihen durch die EZB, welches, um die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie aufzufangen, noch einmal um ein Volumen von 1,8 Billionen Euro erweitert wurde. Trotz dieser drastischen Maßnahmen, die zu einer deutlichen Erhöhung der im Umlauf befindlichen Geldmenge führen, hält sich die Inflationsrate in der Eurozone jedoch im Rahmen des 2-Prozent-Ziels, so zum Beispiel bei 2,0 Prozent (Stand: Mai 2021). Dafür sorgt ein zentrales Gegengewicht zu den expansiven Maßnahmen der EZB, das freilich nur schwer quantifizierbar, jedoch in seinen realwirtschaftlichen Auswirkungen allgegenwärtig ist. 

Die Rede ist vom technologischen Fortschritt, in dessen Zuge sich eine Vielzahl von Branchen bis heute transformiert haben. Die Industrie 4.0., die Künstliche Intelligenz und die Digitalisierung sind nur einige Beispiele, anhand derer sich erahnen lässt, wie sich die Art zu wirtschaften verändert hat. Die großen technologischen Innovationen der Gegenwart haben gemeinsam, dass mit ihnen ein dramatischer Effizienzgewinn in den Produktions- und Arbeitsprozessen extern wie innerbetrieblich einhergeht, der über Umwege das Preisniveau zu senken hilft: Unternehmen sparen Kosten und können Dienstleistungen günstiger anbieten, und durch steigenden Wettbewerb kommen diese Kosteneinsparungen auch beim Verbraucher an. 

Eine ganze Reihe von Beispielen zeigt, dass die Tendenz zum technologischen Effizienzplus nicht mehr nur einzelne Wirtschaftszweige erfasst, sondern eine gesamtökonomische Dimension erreicht hat. Die neuen Anwendungen des Deep Learning etwa befähigen Maschinen im Produktionsgewerbe dazu, selbstständig dazuzulernen, sodass diese immer komplexere Fertigungsprozesse autonom bewältigen können. Die Automatisierung in der Industrie auf Basis der Fortschritte in der Robotik und Sensorik schreitet unaufhörlich voran. Außerdem entstehen im Dienstleistungssektor neue digitale Geschäftsmodelle, die, aufbauend auf Big Data und dem Internet der Dinge, hyperpersonalisierte Angebote bereitstellen und firmeninterne Anwendungen über Algorithmen intelligent steuern. Der Boom der digitalen Online-Broker zeigt, wie groß das Kosteneinsparungs-Potenzial bei der Implementation aktueller Innovationen ist.

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Das Ausmaß, in dem die Transaktionsgebühren im Börsenhandel durch die Neo-Broker gesunken sind, war bis vor kurzem nur für wenige vorstellbar. Weitere Beispiele dafür sind günstigere Reisen durch Airbnb, günstigere Taxifahrten durch Uber (und in Zukunft noch günstiger durch autonomes Fahren), günstigere Behandlung von Patienten durch Telemedizin, günstigere Energiekosten durch dezentralisierte Energieerzeugung, in Zukunft günstigeres Fleisch durch Alternative Meat und viele mehr. 

Stabilitätsanker und Garant für mehr Handlungsspielraum in der europäischen Geldpolitik 

Die durch den technologischen Fortschritt bedingte neue Effizienz macht eine günstigere Preisgestaltung möglich. Denn es sinkt die Kostenlast der Input-Faktoren für die Unternehmen. Ein Preisvorteil, von dem mittelfristig im Wettbewerb auch Verbraucher profitieren sollten. Wäre da auf der anderen Seite nicht die großzügige Geldpolitik der EZB, die mit immer neuen Geldmengen für den Markt verhindert, dass die Effizienz- und damit auch Kostenvorteile bei den EU-Bürgern ankommen. Die wirtschaftlichen Herausforderungen, die im Zuge der Corona-Pandemie nicht kleiner geworden sind, mögen derlei offensive Maßnahmen auf den ersten Blick rechtfertigen.

Unternehmer Christian Schröder
Quelle: 10x Value Partners

Doch sie verhindern zugleich, dass der enorme gesamtwirtschaftliche Nutzen, den Digitalisierung und technischer Fortschritt mit sich bringen, offenbar wird. Gerade in Bezug auf Deutschland ist das ein gefährliches Spiel, weiß man doch über die ausgeprägte Skepsis gegenüber neuen Technologien hierzulande. Nur weil es volkswirtschaftlich vertretbar erscheint und sich das Inflationsniveau im Rahmen hält, sollte sich Europa nicht dazu verleiten lassen, dass Vertrauen seiner Bürger in den Nutzen technologischer Innovationen zu verspielen. Denn in ihnen liegt das Fundament für den europäischen Wohlstand von morgen.


Über den Autor: Christian Schröder ist deutscher Unternehmer und Global Shaper des World Economic Forums. Mit seinem Think Tank 10x Value Partners will er neue Geschäftsideen fördern.

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