Deka-Chefvolkswirt Ulrich Kater
In Deutschland sind kurzzeitig zweistellige Inflationsraten möglich

Deka-Chefvolkswirt Ulrich Kater
Die Inflation bleibt der große Taktgeber an den Kapitalmärkten. Oberflächlich ändert sich so schnell erst einmal nichts bei der Teuerung: In Deutschland und im Euroraum bleiben die Raten in den kommenden Monaten bei über 8 Prozent. Immer noch müssen die gestiegenen Erdgaspreise von den Weltmärkten hin zu den Verbrauchern weitergereicht werden. In Deutschland wird die Erdgas-Umlage diese Überwäl...
Märkte bewegen Aktien, Zinsen, Politik. Und Menschen. Deshalb präsentieren wir dir hier die bedeutendsten Analysen und Thesen von Top-Ökonomen - gebündelt und übersichtlich. Führende Volkswirte und Unternehmensstrategen gehen den wichtigen wirtschaftlichen Entwicklungen clever und zuweilen kontrovers auf den Grund.
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Die Inflation bleibt der große Taktgeber an den Kapitalmärkten. Oberflächlich ändert sich so schnell erst einmal nichts bei der Teuerung: In Deutschland und im Euroraum bleiben die Raten in den kommenden Monaten bei über 8 Prozent. Immer noch müssen die gestiegenen Erdgaspreise von den Weltmärkten hin zu den Verbrauchern weitergereicht werden. In Deutschland wird die Erdgas-Umlage diese Überwälzung lediglich beschleunigen, nicht jedoch zu zusätzlicher Inflation führen.
Hierzulande wird auch das Auslaufen des 9-Euro-Tickets und des Tankrabatts die Inflationsraten nochmal kurzfristig ungünstig beeinflussen. Wenn noch eine weitere geopolitische Zuspitzung beispielsweise im Ukraine-Krieg dazukommt, sind im Extremfall kurzzeitig selbst zweistellige Inflationsraten in Deutschland möglich.
So weit, so bekannt. Aber es gibt auch erste Anzeichen, dass sich die Lage mittelfristig entspannen sollte. Die Rohstoffpreise haben vor dem Hintergrund alarmierender Konjunkturnachrichten den Rückwärtsgang eingelegt. Selbst der Teilindex für Agrarrohstoffe des Bloomberg Commodity Index sank im Juli deutlich um knapp 20 Prozent. Ebenfalls erfreulich ist, dass die Nennungen von Lieferkettenproblemen in den Unternehmensumfragen langsam, aber kontinuierlich abnehmen. Der Druck auf den vorgelagerten Preisstufen geht langsam, aber stetig zurück.
Zwar darf man deswegen bei den Verbraucherpreisen noch nicht gleich auf eine schnelle Entspannung hoffen, denn die wichtigste Triebfeder sind auch bei Nahrungsmitteln die gestiegenen Energiekosten für Verarbeitung, Transport oder Lagerung. Aber auch bei der Energie haben sich erste Gegenbewegungen gebildet. Erdöl der Sorte WTI ist von seinem Hochpunkt im Juni von mehr als 140 US-Dollar pro Barrel wieder auf 95 US-Dollar gefallen. Damit ist auch der Benzinpreis in den USA wieder auf dem Weg unter die 4 US-Dollar-Marke pro Gallone. Für die Verbraucherpreise in den USA bedeutet dies ein Abwärtsrevisionsbedarf von 0,3 bis 0,4 Prozentpunkte für das Gesamtjahr 2022.
Insbesondere wenn man sich die drastisch zurückgestrichenen Konjunkturperspektiven anschaut, nach denen sowohl die Vereinigte Staaten als auch – in Europa – zumindest Deutschland wahrscheinlich bereits in eine Rezession eingetreten sind, kommt man zu dem Ergebnis, dass die Inflation den Bremsschirm ausgeklappt hat. Wird dann alles wieder so wie vorher? Ist nicht sogar die Gefahr vorhanden, dass das Negativzins-Szenario wieder zurückkommt?
Tatsächlich sind die makroökonomischen Einschätzungen extrem volatil. Eben wurde noch das „hard landing“, also eine deutliche Rezession für die US-Wirtschaft, ausgerufen, da überrascht der Arbeitsmarkt für den Juli mit einem Jobanstieg von einer halben Millionen Stellen und die Konsumentenkredite schießen durch die Decke. Das lässt der US-Notenbank Fed kaum eine andere Wahl als einen weiteren Jumbo-Schritt bei den Zinsen nach oben – trotz aller Ängste um die Konjunktur. Soviel Widerspruch war nie.
Es wird noch bis ins erste Quartal 2023 hinein dauern, bis man sich ein halbwegs verlässliches Bild machen kann, was eigentlich los ist mit der Konjunktur. Plausibel ist jedoch schon jetzt, dass der Weltwirtschaft eine deutliche Abkühlung bevorsteht, die sich wahrscheinlich erst im kommenden Jahr richtig zeigen wird. Zuerst die Corona-Krise, dann der Inflationsschock – das ist doch ein bisschen viel für die Konjunktur. Ebenso wahrscheinlich ist aber auch, dass die Inflation in dieser konjunkturellen Verschnaufpause nicht so weit nachlässt, dass man sie vom Aufgabenzettel der Wirtschaftspolitik streichen könnte. Das spricht gegen eine Rückkehr ins Tal der Nullzinsen.
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