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Ingo Speich: So bringt er Vorstände ins Schwitzen (Interview)

Wenn Ingo Speich auf einer Hauptversammlung ans Mikrofon tritt, werden viele Vorstände nervös. Als Leiter Nachhaltigkeit und Corporate Governance bei Deka Investment gilt er als einer der profiliertesten Kritiker in der deutschen Unternehmenslandschaft. Im Podcast „The Portfolio People“ spricht er über seine Rolle als Vertreter von Millionen Anlegern, die Herausforderungen virtueller Hauptversammlungen und darüber, wie man nach acht Stunden „permanenter Beschallung“ am besten abschaltet.
So sieht Speich seine Aufgabe nicht darin, Vorstände einfach nur zu kritisieren – ihm geht es um mehr: „Das Entscheidende ist, dass die Kritik sachgerecht ist und wir unsere Argumente auch stringent verfolgen“, erklärt er. Die Hauptversammlung sei nur ein Teil eines „unterjährigen Dialogs mit Unternehmensvertretern“, allerdings der Teil mit „der stärksten Öffentlichkeitswirkung“.
Seine Kritik stößt durchaus auf Resonanz, wie er am Beispiel Thyssenkrupp erläutert, wo die Deka die erste Hauptversammlungsrede in diesem Jahr gehalten hat: „Die sehr scharfe Kritik am Geschäftsmodell und am Management wurde sehr breit aufgenommen, weil viele in diese Richtung denken. Da brauchen wir nur auf den Aktienkurs zu schauen, um zu sehen, dass sich etwas ändern muss.“
Die Rolle der Deka als Vertreter von Millionen Anlegern
Als eine der größten deutschen Fondsgesellschaften vertritt die Deka die Interessen zahlreicher Anleger. Wie stellt man sicher, dass man deren Interessen angemessen repräsentiert? Speich verweist auf interne Prozesse und eine umfangreiche Abstimmungsrichtlinie: „Wir haben eine Abstimmungsrichtlinie, die mittlerweile 15 Seiten lang ist und sehr kleinteilig auch unsere Forderungen im Sinne der Corporate Governance und der langfristigen Wertentwicklung propagiert.“
Diese Richtlinien wendet die Deka weltweit an. „Wir stimmen bei mehr als 1.200 Hauptversammlungen weltweit ab“, erklärt Speich. „Rein statistisch stimmen wir gegen 24 Prozent aller Tagesordnungspunkte, wir stimmen gegen rund 20 Prozent von Entlastungsbeschlüssen und auch gegen rund 20 Prozent der Nominierungen von Aufsichtsräten.“
Die Deka verfolgt dabei keinen schematischen Ansatz: „Es ist kein Abnicken und auch kein Box-Ticking, weil wir die Möglichkeit haben, mit Unternehmen zu sprechen aufgrund unserer Größe. Wir führen bis zu 400 Gespräche zu diesen Themen mit Unternehmensvertretern jedes Jahr.“
Kritischer Blick auf virtuelle Hauptversammlungen
Die während der Pandemie eingeführten virtuellen Hauptversammlungen sieht Speich kritisch. „Die virtuelle Hauptversammlung, wie sie derzeit gelebt wird, war zumindest im letzten Jahr noch von technischen Problemen geprägt“, berichtet er. „Wir hatten ungefähr bei einem Drittel der Hauptversammlungen, bei denen wir eine Rede gehalten haben, technische Probleme, bis hin zu dem Punkt, dass ein Kollege von mir bei einer Hauptversammlung dreimal angesetzt hat für eine Rede und dann einfach abgebrochen hat, weil es nicht ging.“
Hier gibt es den Podcast auf ...
Neben technischen Schwierigkeiten bemängelt Speich das eingeschränkte Erlebnis: „Es ist ein sehr anonymes Format, was insbesondere auch die Interaktion einschränkt. Bei einer Präsenzhauptversammlung ist es für mich auch spannend zu sehen, wie Vorstand und Aufsichtsrat nonverbal miteinander agieren, wie die Stimmung in der Halle ist, wie die Reaktion des Publikums auf die Reden ist.“
Das virtuelle Format sei zwar bequem, gehe aber „ganz klar zulasten der Information, zulasten der Interaktion“. Trotz der leichteren Zugänglichkeit digitaler Formate hat sich die Aktionärspräsenz nicht erhöht: „Wir liegen irgendwo zwischen 63 bis 65 Prozent in Deutschland im Schnitt. Und das ist im virtuellen Format gleichgeblieben.“
Denkwürdige Momente auf Hauptversammlungen
In seiner über 20-jährigen Karriere hat Speich eine "ordentlich dreistellige" Anzahl von Hauptversammlungen besucht. Besonders in Erinnerung geblieben sind ihm emotional aufgeladene Veranstaltungen: „Das sind die Hauptversammlungen von RWE und Eon nach Fukushima, die Hauptversammlung der Deutschen Bank, als Ackermann abgetreten ist, aber auch Hauptversammlungen wie eine Bayer, wo man immer sehr emotional auch vor der Halle einiges erleben durfte.“
Seine allererste Hauptversammlung war bei Karstadt und Arcandor in Düsseldorf – ein prägendes Erlebnis zu Beginn seiner Karriere.
Die Balance zwischen professioneller Distanz und persönlichem Engagement
Wie schafft man es, bei all den Emotionen die professionelle Distanz zu wahren? Speich betont die klaren Regeln und Leitplanken, in denen er sich bewegt: „Das eine ist das Regelwerk, dem wir unterliegen, und die klaren Regeln sind festgezurrt. Da gibt es auch wenig Abweichungsmöglichkeiten.“
Gleichzeitig gibt es die persönliche Komponente in der Interaktion mit Unternehmensvertretern, die „über die Jahre eine gewisse persönliche Note bekommen hat“. Aber Speich betont: „Ich bin in der Rolle als Vertreter einer der größten deutschen Fondsgesellschaften und habe einen klaren Zielfokus. Das Ganze ist auch nicht eine Meinung, die ich singulär als Person vertrete, sondern es ist die Meinung des Unternehmens, die Meinung des Portfoliomanagements.“
Kooperation mit anderen institutionellen Investoren?
Bei der Frage nach der Zusammenarbeit mit anderen Investoren verweist Speich auf rechtliche Einschränkungen: „Das ist nahezu ausgeschlossen durch Acting in Concert. Das bedeutet, wir können uns vor einer Hauptversammlung nicht absprechen.“
Er sieht darin aber auch einen Vorteil: „Ich möchte nicht, dass das Ganze zu einem Einheitsbrei wird. Wir haben unsere Meinung, wir haben unsere Policy zum Abstimmen, und diese vertreten wir auch.“ Wenn dann mehrere Investoren unabhängig voneinander ähnliche Kritikpunkte ansprechen, verleiht das den Argumenten besonderes Gewicht.
Abschalten nach anstrengenden Hauptversammlungen
Eine ganztägige Hauptversammlung kann äußerst anstrengend sein. „Wenn man von einem Präsenzformat ausgeht, dann hängt man sieben, acht Stunden in der Halle. Es ist eine permanente Beschallung, selbst auf den Toiletten sind Lautsprecher, die die Reden übertragen. Das strengt unwahrscheinlich an“, berichtet Speich.
Sein Rezept zum Abschalten? „Deswegen freue ich mich danach immer, frische Luft zu haben und möglichst viel Ruhe ohne Lautsprecher und ohne entsprechende Interaktion.“ Sport steht bei ihm nach einem solchen Tag nicht auf dem Programm.
Wunsch für die Finanzbranche: Mehr finanzielle Bildung
Auf die Frage, was er in der Finanzbranche ändern würde, nennt Speich ohne zu zögern die finanzielle Bildung: „Finanzielle Bildung nach vorne bringen, auch was Nachhaltigkeit angeht, weil ich glaube, das ist nicht nur für die Aktionärsdemokratie gut, dass man weiß, was ist eine Aktie, was kann ich mit dem Stimmrecht machen, sondern was bringt mir auch eine Aktie langfristig und was bringen mir Produkte, die in Aktien investieren unter der langfristigen Vermögensaufbau.“
Eine bessere finanzielle Bildung würde nicht nur den einzelnen Anlegern zugutekommen, sondern auch „den deutschen Kapitalmarkt stärken, die Marktkapitalisierung der Unternehmen stärken und durch die erhöhte Kenntnis auch bei einer Hauptversammlung vielleicht das eine oder andere Urteil bewegen.“