Für alle ab 1964 geborenen Mitglieder der gesetzlichen Rentenversicherung gilt zwar die allgemeine Regelaltersgrenze von 67 Jahren. Doch wer mindestens 45 Jahre lang in die Rentenkasse eingezahlt hat, kann sich auch schon früher abschlagsfrei in den Ruhestand verabschieden: 2012 wurde die sogenannte Altersrente für besonders langjährig Versicherte mit dem neuen Paragrafen 38 Sozialgesetzbuch VI eingeführt. Zwei Jahre später sank die Altersgrenze hierfür durch den eingefügten Paragrafen 236b SGB VI für alle vor 1953 geborenen Versicherten von 65 auf 63 Jahre. Die vorherige Altersgrenze gilt aber für alle ab 1964 Geborenen mit mindestens 45 Versicherungsjahren. 

Für viele Sozialpolitiker der Großen Koalition unter der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) galt die „Rente mit 63“ als gerechte Maßnahme für Arbeitnehmer, die schon jung ins Erwerbsleben eingetreten sind und kaum noch körperlich arbeiten können. Für Ökonomen des Prognos-Instituts schafft sie jedoch negative Fehlanreize: „Ohne die Regelung wäre die Fachkräftelücke rund 10 bis 20 Prozent geringer, während Rentnerinnen und Rentner mehr Rente bekämen“, schreiben die Autoren einer aktuellen Studie im Auftrag der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM), die von den Arbeitgeberverbänden der Metall- und Elektro-Industrie finanziert wird. 

„Rente mit 63 sorgt für teure Fehlanreize“ 

 Aber was würde passieren, wenn die Rente mit 63 ab dem kommenden Jahr abgeschafft würde? Das hat jetzt das Prognos-Institut berechnet: Der Beitragssatz zur Rentenversicherung könnte bis Ende des Jahrzehnts auf dem heutigen Niveau von 18,6 Prozent gehalten werden, statt auf 19,1 Prozent zu steigen. Denn bereits 2025 würden die Beitragszahler um rund 8 Milliarden Euro entlastet. Bei einem Durchschnittsverdiener mit 4.000 Euro Bruttolohn wären das 240 Euro weniger Sozialabgaben im Jahr für ihn und seinen Arbeitgeber, betont die INSM. Auch das Rentenniveau würde demnach steigen: „Ein Rentner mit Bruttostandardrente würde im Jahr 2030 insgesamt 384 Euro mehr Rente bekommen.“   

Thorsten Alsleben, INSM-Geschäftsführer
Thorsten Alsleben © insm.de

Und selbst wenn man die Rente mit 63 erst im Jahr 2031 abschaffen würde, würden die Renten für die große Mehrheit steigen – und die Beitragszahler erheblich entlastet: Bis 2045 würde es die Rentenkasse um rund 227 Milliarden Euro entlasten und der Anstieg des Rentenbeitrags um 0,5 Prozentpunkte geringer ausfallen. In beiden Szenarien würde auch der Bundeshaushalt entlastet, da der Bund weniger an die Rentenversicherung überweisen müsste, heißt es von der Berliner INSM GmbH weiter. Das vor 23 Jahren gegründete „Bündnis aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft“ ist im Lobbyregister des Bundestags eingetragen und wirbt überparteilich für die „Grundsätze der Sozialen Marktwirtschaft“. 

„Die Rente mit 63 kostet nicht nur die Beitragszahler Milliarden, sie geht auch zulasten aller Rentnerinnen und Rentner, die keine vergleichbare Bevorzugung bekommen. Zusätzlich verschärft diese Frühverrentung den Fachkräftemangel“, erklärt Thorsten Alsleben. Der Ex-Hauptgeschäftsführer der CDU-/CSU-nahen Mittelstands- und Wirtschaftsunion folgte im April auf Oliver Zander, der die INSM-Geschäftsführung interimistisch von Hubertus Pellengahr übernommen hatte. „Die Rente mit 63 passt nicht mehr in die Zeit und muss bis spätestens Ende 2030 auslaufen. Ab 2031 sollten wieder alle Beschäftigten und Rentner gleich behandelt werden und nicht mehr einzelne Gruppen auf Kosten der anderen privilegiert werden.“ 

 

Die Rente mit 63 ist aktuell wieder auf der politischen Tagesordnung gelandet: Ungefähr zeitgleich mit der INSM-Veröffentlichung forderte CDU-Fraktionsvize Jens Spahn ein schnelles Ende der Rente mit 63: „Sie sollte sofort abgeschafft und durch eine bessere Erwerbsminderungsrente ersetzt werden“, zitiert ihn die „Bild am Sonntag“. Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) nannte die Forderung hingegen „ungerecht und rücksichtslos“. „Es geht dabei um Menschen, die 45 Jahre gearbeitet und in die Rentenkasse eingezahlt haben. Menschen, die meist seit sie 14 Jahre alt sind, malochen“, sagte sie laut Medienberichten der Deutschen Presse-Agentur

Christian Dürr © FDP

 Update: Auch der Chef der Vorsitzender der FDP-Fraktion im Bundestag zeigt sich irritiert von Spahns Forderung: „Was ist eigentlich mit der CDU in Deutschland los?“, fragte Christian Dürr im Gespräch mit der Neuen Osnabrücker Zeitung. Die Union habe die Rente mit 63 selbst eingeführt und seinerzeit gefeiert. Jetzt stelle Spahn fest, was seine Partei gestern gemacht habe, sei heute nicht mehr richtig. „Das hat schon etwas Söderhaftes, und das ist nicht ernst zu nehmen.“

Zugleich hofft Dürr, Spahns Vorstoß bringe Bewegung in die Rentendebatte. „Ich bin nach wie vor für eine Flexibilisierung des Renteneintrittsalters und würde mich freuen, wenn wir dazu kommen“, so Dürr weiter. Allerdings arbeite die Ampel – anders als die CDU-geführte Vorgängerregierung – bereits daran, die Rente zu modernisieren, etwa durch den Aufbau eines Kapitalstocks. Und: „Auch durch gezielte Fachkräftezuwanderung stabilisieren wir die Rente.“