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Gerd Kommer und Jonas Schweizer Instandhaltungskosten – wie man Immobilienanlagen schönrechnet

Wohnblocks in Berlin Reinickendorf
Wohnblocks in Berlin Reinickendorf: Seit 2010 erleben Wohnimmobilien in Deutschland einen neuen Boom, beobachtet man bei Gerd Kommer Invest. | Foto: imago images / Jürgen Ritter

Im Jahr 2010 begann der neue deutsche Wohnimmobilienboom, der bis heute anhält. In manchen mittelgroßen und großen Städten Deutschlands hat er zu nunmehr stratosphärischen Immobilienbewertungen geführt. Neu war dieser Boom vor einem Jahrzehnt insofern, als er auf einen langen „Zeitlupen-Crash“ bei Wohnimmobilien von 1981 bis 2009 folgte. Ende 2009 hatten die inflationsbereinigten Preise in Deutschland 30 Prozent unterhalb derer von 1980 gelegen. Daran erinnert sich heute kaum noch jemand.

Die Nachfrage nach Wohnimmobilien ist heute, nach elf Jahren Preisaufschwung, enorm. Sie wird befeuert von der verbreiteten Überschätzung der Rendite der Anlageklasse Wohnimmobilien, vom Irrglauben, Renditen der jüngsten Vergangenheit seien ein guter Renditeindikator für die Zukunft, von FOMO-Emotionen (Fear of Missing Out), von der Theorie, Immobilien seien besonders sichere Investments, von der ambivalenten Annahme, Immobilien schützten gut vor Inflation, vom angeblichen Mangel an attraktiven Anlagealternativen und natürlich von historisch einmalig niedrigen Kreditzinsen. Nachfragebremsend wirken nur die enorm hohen Bewertungen – und die Zögerlichkeit vieler Banken, Finanzierungen über 80 bis 90 Prozent Fremdkapitalanteil auszureichen.

Doch wie dem auch sei: Am Beginn der meisten Immobilieninvestitionen von Privathaushalten, ob zur Selbstnutzung oder zur Vermietung, sollte eine Wirtschaftlichkeitskalkulation stehen. Als Minimum ist dabei die Frage zu beantworten, ob der Immobilienkauf – mit oder ohne Fremdfinanzierung – für den Haushalt wirtschaftlich tragfähig ist. In eine solche Kalkulation können Input-Größen einfließen: beispielsweise die erwartete Wertsteigerung, die erzielbare Miete (die tatsächliche Miete bei einem Vermietungsobjekt oder die eingesparte Miete bei einem selbstgenutzten Objekt), das Mietausfallsrisiko, der Fremdkapitaldienst, die Nebenkosten des Kaufes – und die Instandhaltungskosten, um die es in diesem Beitrag geht.

Geschönte Kostenrechnung

Nach unserer Erfahrung photoshoppen Verkäufer und Käufer zwei Input-Größen in solchen Kalkulationen besonders häufig: die prognostizierten Wertsteigerungen und die erwarteten Instandhaltungskosten. Der Grund: Verkäufer und Makler haben ein natürliches Interesse, eine angestrebte Verkaufstransaktion mit hohen angenommenen Wertsteigerungen und/oder niedrigen Instandhaltungskosten finanziell aufzuhübschen. Käufer photoshoppen bei solchen Berechnungen, weil viele von ihnen einem inneren Zwang unterliegen, ihr emotionales Traumobjekt vor sich selbst und anderen auch ökonomisch attraktiv zu rechnen.

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Darüber Einigkeit zu erzielen, was angemessene Annahmen für die künftige Wertsteigerung einer bestimmten Wohnimmobilie sind, ist schwierig. Denn hier gibt es viel Spielraum für völlig konträre Ansichten zu Marktentwicklungen und Nachfrage in der langfristigen Zukunft. Jeder interpretiert die Markthistorie nach ganz eigenem Gusto. Die inflationsbereinigte Wertsteigerung deutscher Wohnimmobilien in den fünf Jahren von 2016 bis 2020 belief sich auf spektakuläre 7,4 Prozent per annum, in den 45 Jahren von 1971 bis 2015 auf kümmerliche minus 0,2 rozent p.a.

Allerdings führt bei Instandhaltungskosten – anders als bei Preissteigerungen – bereits ein bisschen nüchterne Recherche zu gut belegbaren Richtwerten, bei denen relativ wenig subjektiver Diskussionsspielraum besteht. Weil diese aus Sachlogik und Historie abgeleiteten Richtgrößen aber deutlich höher (unattraktiver) sind als das, was die involvierten Parteien aus ihrer oben genannten Interessenlage heraus wollen, werden trotzdem oft niedrigere Zahlen verwendet. Die Hintergründe beleuchten wir nachfolgend.

Richtgröße ungeeignet

In Immobilienratgeberbüchern, in Immobilien-Blogs und von Baugeldvermittlern wird für Instandhaltungskosten bei Wohnimmobilien quasi seit Anno Domini die Richtgröße sechs bis zwölf Euro pro Quadratmeter Wohnfläche und Jahr genannt. Woher diese Zahlen kommen und wie sie begründet werden, lässt sich nicht nachvollziehen. Sie wurden wohl irgendwann einmal von einem namenlosen Immobilienexperten postuliert und danach von jeder neuen Expertengeneration ohne Überprüfung weitergeführt. Warum diese Zahlen statisch sein sollen, also im Zeitablauf nicht mit der Baukosteninflation steigen, ist unklar.

In Köln kostete der Quadratmeter Wohnfläche Ende 2020 durchschnittlich 4.200 Euro. Damit war die Ruhrmetropole die günstigste der sieben Städte in Deutschland mit mehr als 500.000 Einwohnern. Unterstellt man, dass 85 Prozent dieser Kosten auf das Gebäude entfallen, ergeben 6 Euro pro Jahr eine aberwitzig niedrige Instandhaltungskostenquote von 0,17 Prozent pro Jahr. Selbst zwölf Euro wären nur 0,34 Prozent.

Doch damit hört das Photoshoppen bei Instandhaltungskostenschätzungen nicht auf. In den Marketingpublikationen der Immobilienbranche kursieren Empfehlungen zur Höhe der Instandhaltungskostenrücklage für Wohnungen in Mehrfamilienhäusern, die noch einmal unterhalb der oben genannten 6 bis 12 Euro liegen. Dann spielt auch das regelmäßige Fehlen des Hinweises keine Rolle mehr, dass sich die an die Wohneigentümergemeinschaft zu zahlende Rücklage nur auf das Gemeineigentum (Außenmauern, Dach, Treppenhaus et cetera) bezieht – exklusive Sondereigentum, dem wertmäßig größeren Teil.

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