

- Startseite
- Versicherungen
-
Geht der Niedergang der Insurtechs weiter?

Es ist bisher das Aufregerthema Nummer Eins der Branche 2025 – die drohende Insolvenz von Element Insurance, einem einst vielversprechenden Insurtech-Start-up aus Berlin. Nach Rückversicherer-Rückzug und Neugeschäftsverbot richtet sich der Blick auf den vorläufigen Insolvenzverwalter, die Bafin und das Verhalten der Assekuradeure, die bisher mit Element zusammengearbeitet haben. Im Hintergrund wirft die Entwicklung beim White-Label-Versicherer aber auch ein Schlaglicht auf die Herausforderungen, denen die Branche derzeit gegenübersteht.
Hohe Finanzierungsrunden kein Erfolgsgarant
Element konnte seine finanzielle Stabilität trotz einer beeindruckenden Finanzierung über mehrere Kapitalrunden von insgesamt 150 Millionen Euro nicht aufrechterhalten. Große Investoren wie das berufsständische Versorgungswerk der Berliner Zahnärztekammer, die bereits hohe Abschreibungen hinnehmen mussten, zögerten, weiteres Kapital bereitzustellen.
Aktuell berichtet die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ von einem Schreiben an die Mitglieder des Versorgungswerks, nach dem die eigene Beteiligung an Element nach der letzten Finanzierungsrunde bei mehr als 80 Prozent liegt.
Misserfolge unter Marktteilnehmern nehmen zu
Es ist eine Entwicklung, die im Markt immer sichtbarer wird – gewaltige Finanzierungsrunden sind kein Allheilmittel für Insurtechs und deren Schieflage, erst recht keine Garantie für den Sprung in die Profitabilität.
Das drastische Beispiel der jüngeren Branchengeschichte dürfte Wefox sein, das nach dem Abgang von Gründer Julian Teicke und einem Machtkampf im Hintergrund derzeit in Einzelteile zerschlagen wird und sein Versicherungsgeschäft in Deutschland aufgegeben hat. Die Entwicklungen führten zu einer drastischen Neubewertung des einst mit 4,5 Milliarden Euro bewerteten Start-ups.
Wie bei Wefox ist bisher den wenigsten Marktteilnehmern der Sprung in die Gewinnzone gelungen. Und mittlerweile sind manche Anbieter ganz vom Markt verschwunden. Der Gewerbeversicherer Mailo gab 2022 seine Versicherungslizenz zurück, den Bestand übernahm ausgerechnet Element. Im selben Jahr übernahm das französische Start-up Luko den Berliner Digitalversicherer Coya, um ein Jahr später vom deutschen Konkurrenzen Getsafe geschluckt zu werden. Im November 2024 meldete dann der Cyber-Assekuradeur Cogitanda Insolvenz an.
Auch das Berliner Start-up Friday wird vom Markt verschwinden. Die schweizerische Baloise verkauft das Unternehmen an die Allianz, die damit ihren Online-Versicherer Allianz Direct stärken will. Laut Medienberichten aus dem Oktober des Vorjahres geht es dabei um 250.000 Kunden in Deutschland und Frankreich. Für die Baloise bedeute der Verkauf einen Verlust von rund 75 Millionen Franken (derzeit rund 79 Millionen Euro).
Wachstumsfokus statt Profitabilität
Ein Kernproblem: Das ewige Dogma Wachstum vor Gewinn ist quasi ein Wesensmerkmal der Branche. Mittlerweile versuchen viele Unternehmen hier eine Kehrtwende zu vollziehen. Teilrückzüge aus Geschäftsfeldern und strategische Neuaufstellungen sollen die einstigen Start-ups endlich profitabel machen. Auch der Abbau von Arbeitsplätzen zählte zu den Maßnahmen einiger Anbieter.
Geschäftszahlen für 2024, die den aktuellen Erfolg solcher Maßnahmen dokumentieren könnten, liegen bei zahlreichen Unternehmen, die DAS INVESTMENT angefragt hat, allerdings noch nicht vor. 2023 stand bei fast allen indes noch ein versicherungstechnischer Verlust.
Welche Faktoren den Sprung in die Gewinnzone erschweren
Die Gründe sind vielfältig und sicherlich sehr unternehmensspezifisch zu betrachten. Grundsätzlich aber zeigt sich, dass sich insbesondere für Distributoren und Vollversicherer die Neukundengewinnung als sehr kostenintensiv erweist, was die Profitabilität stark belastet. Viele Insurtechs bedienen spezifische Nischen oder lösen sehr spezielle Probleme, was wiederum eine breite Skalierung erschwert. Hinzu kommen regulatorische Hürden und lange Entscheidungszyklen, die gerade bei Start-ups zu Liquiditätsproblemen führen können.
Große Versprechungen zu Beginn der Insurtech-Welle
Auch bei Element geht es um die Liquidität. Die Zukunft hängt jetzt von der Fähigkeit ab, einen Interessenten zu finden, der das Versicherungsportfolio übernimmt. Dies könnte eine Chance für andere Versicherer sein, ihre Marktposition zu stärken. Unter ihnen ist der Konkurrenzkampf voll entbrannt.

Hallo, Herr Kaiser!
Das war einst anders: In der Zeit des Aufkommens der deutschen Digital- und Neoversicherer schienen diese auf eine seltsame Art und Weise verbunden. So ähnelten sich die Ankündigungen und Versprechungen der Start-ups Ende der 2010er Jahre sehr, mit Digitalität, schlanken Prozessen und neuer Kundenansprache, den Markt quasi zu revolutionären. Manch einer fühlte sich damals erinnert an die Heilsversprechen und die Weltverbesserer-Attitüde der Tech-Konzerne aus dem amerikanischen Silicon Valley.
Einbruch bei Neugründungen
Diese Versprechungen haben sich insgesamt trotz mancher Positivbeispiele nicht erfüllt. Ein Indikator, der die Entwicklung gut beschreibt, ist die Gründungsflaute der Szene. Im Jahr 2024 wurde überhaupt kein neues Start-up im Versicherungsbereich mehr gegründet. Das ergab eine Auswertung des New Players Network (NPN), einer Initiative der Versicherungsforen Leipzig. 2018 gab es noch 32 neue Insurtechs, 2021 waren es 24 und 2023 schließlich nur noch fünf.
Ein wesentlicher Grund ist, dass die Inflation und steigende Zinsen zu einem Rückgang bei den Risikokapitalinvestments führten. Hinzu kommt eine Konzentration der Investitionen auf wenige führende Anbieter. Zudem legte die Bafin die Hürden für Neugründen im Jahr 2021 höher und verlangte schon zum Start, dass die Start-ups über deutlich mehr Eigenmittel verfügen müssen, als das bei vergleichbaren Vorgängern der Fall war. Letztlich mangelt es aber auch an neuen Ideen und überzeugenden Geschäftsmodellen.
„Früher haben wir viel über neue Gründungen und die extreme Fluktuation im Insurtech-Markt berichtet, jetzt scheint sich der Markt zu konsolidieren“, beschreibt Felix Sandt, von NPN im Sommer vergangenen Jahres den drastischen Einbruch noch sehr milde. Dennoch listete die damalige Übersicht des NPN noch 146 Start-ups auf, vor allem aus dem deutschsprachigen Raum.
Wandel der Geschäftsmodelle, neuer B2B-Fokus
Dabei wandelten sich die Geschäftsmodelle und Strategien im Laufe der Zeit stark. Viele Start-ups setzen zu Beginn der ersten Insurtech-Welle stark auf das Direktkundengeschäft. Der verstärkte Wettbewerb führte zu einer Diversifizierung und Nischenstrategien. Manche Insurtechs wurden im Nachgang auch von großen Versicherern übernommen. Oder Konzerne wie die Württembergische gründeten mit Adam Riese ihre eigene Digitalmarke gleich selbst.
„Während zuvor der B2C-Markt entscheidender Treiber im Insurtech-Bereich war, erkennen wir einen zunehmenden Wandel hin zu B2B-Geschäftsmodellen“, so Sandt. Jetzt seien es vor allem Player, die sich früh auf die Unterstützung von Maklern und Vermittlern spezialisiert haben, die an Fahrt gewinnen. „Der B2B-Markt ist nicht nur eine stabile Einnahmequelle, sondern erlaubt auch eine tiefere Integration in bestehende Vertriebsnetzwerke.“ Mit 104 Unternehmen ist der Großteil der von NPN gelisteten Unternehmen diesem Bereich zuzuordnen.
Treiber klassischer Anbieter
Nicht unterschlagen werden darf, dass die Unternehmen in ihrer noch kurzen Historie ihre Innovationskraft und Wandlungsfähigkeit durchaus bewiesen haben. Lange Zeit erfüllten sie ihre Versprechen als Treiber klassischer Anbieter, die im Angesicht der neuen Konkurrenz plötzlich ihren Nachholbedarf in Sachen Digitalisierung und Automatisierung erkannten. Später kam noch das Thema Künstliche Intelligenz hinzu.
Auch wenn mancher Versicherungsvorstand die neue Konkurrenz nach außen belächelte, drehten sich die Räder intern oft schneller, weil neue Prozesse wie digitale Abschlussstrecken Kundenansprüche erfüllten und sich zu einem Standard entwickelten. Ein Bedeutungsverlust der Insurtechs würden diesen Druck von außen auf die Platzhirsche am Markt in Zukunft wohl eher schwächen.
Was Insurtechs gut und weniger gut konnten
Zu den Leistungen des Branchenzweiges lassen sich folgende Dinge zählen:
- Entwicklung von Smartphone-Apps und digitalen Kundenservice-Tools für die einfachere Verwaltung von Versicherungen
- Verbesserung der Benutzerfreundlichkeit und Kundenerfahrung
- Einsatz von Echtzeitdaten für individuellere Versicherungsanpassungen
- Automatisierte Datenverarbeitung für effizientere Prozesse
- Zunehmender Einsatz von generativer KI für Versicherungsmodelle
- Verschiebung von traditionellen schutzbasierten Modellen zu proaktiven Präventionsstrategien
- Entwicklung von „Embedded Insurance“
Allerdings punkteten die Unternehmen von je her vor allem mit ihrer Technikkompetenz. Laut eines Branchenkenners, mit dem DAS INVESTMENT exklusiv gesprochen hat, aber weniger mit Versicherungswissen. Der Fall Element zeigt für ihn einen Mangel an fachlicher Expertise und praktischer Erfahrungen handelnder Personen bei Themen wie Risikobewertung und Underwriting.
Klar sein dürfte, dass sich der Markt nun erstmal neu sortieren muss. Laut „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ hatte Element zuletzt mehr als 400.000 Kunden.