Deloitte-Chefökonom Alexander Börsch
Wie Pandemie und Krieg die Weltwirtschaft verändern
Alexander Börsch ist Chefökonom bei Deloitte Deutschland. Foto: Deloitte
Die Corona-Pandemie und der Ukraine-Krieg wirbeln internationale Lieferketten ordentlich durcheinander. Deloitte-Chefökonom Alexander Börsch erläutert, welche Trends die Weltwirtschaft aktuell bestimmen.
Globale Lieferketten waren bis zur Corona-Krise nicht gerade ein Thema für Dinner Partys. Erst ihr Nicht-Funktionieren in der Anfangszeit der Pandemie brachte sie in den öffentlichen und politischen Fokus. Dabei hätten sie schon davor mehr Aufmerksamkeit verdient. Immerhin waren sie der mit Abstand wichtigste Treiber der Globalisierung in der Zeit zwischen dem Fall des Eisernen Vorhangs und der Finanzkrise. In dieser Phase der Hyperglobalisierung wuchsen sie explosiv; Unternehmen siedelten ihre Wertschöpfungsstufen im globalen Maßstab an, und die Intensität des globalen Handels erreichte neue Höchstwerte.
Der erste Schlag
Nach der Finanzkrise 2008/2009 setzte eine Phase...
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Globale Lieferketten waren bis zur Corona-Krise nicht gerade ein Thema für Dinner Partys. Erst ihr Nicht-Funktionieren in der Anfangszeit der Pandemie brachte sie in den öffentlichen und politischen Fokus. Dabei hätten sie schon davor mehr Aufmerksamkeit verdient. Immerhin waren sie der mit Abstand wichtigste Treiber der Globalisierung in der Zeit zwischen dem Fall des Eisernen Vorhangs und der Finanzkrise. In dieser Phase der Hyperglobalisierung wuchsen sie explosiv; Unternehmen siedelten ihre Wertschöpfungsstufen im globalen Maßstab an, und die Intensität des globalen Handels erreichte neue Höchstwerte.
Der erste Schlag
Nach der Finanzkrise 2008/2009 setzte eine Phase ein, in welcher der Welthandel und die Lieferketten auf einmal nicht mehr doppelt so schnell wuchsen wie die Weltwirtschaft, sondern nur noch bestenfalls im Gleichklang. Zunehmende politische Hindernisse, Zölle, und Ereignisse wie der Brexit oder die US-chinesischen Handelskonflikte spielten dabei eine wichtige Rolle; die Globalisierung stagnierte.
In diese Phase fiel die Corona-Pandemie. Grenzen wurden geschlossen und Lieferketten unterbrochen, was sich nicht zuletzt an Lieferproblemen von Masken zeigte. Die Diskussion über die Lieferketten in den Unternehmen wurde durch diesen Schock in Gang gesetzt. Im Deloitte CFO Survey vom Herbst 2020 sagten 13 Prozent der Unternehmen, dass sie re- oder nearshoring ihrer Lieferketten beabsichtigen, 17 Prozent wollten sie diversifizieren.
Allerdings normalisierten sich die Lieferketten unerwartet schnell wieder, wie die Erholung des Welthandels zeigte. Nach der Finanzkrise dauerte es ungefähr zwei Jahre, bis der Welthandel überhaupt wieder in die Nähe des Ausgangsniveaus kam. In der Covid-Krise war der Absturz nach fünf Monaten gestoppt, und nach zehn Monaten war das Ausgangsniveau bereits wieder erreicht. Die schnelle Erholung Chinas spielte hier die Hauptrolle.
Bei der Entspannung blieb es leider nicht. Die Omikron-Welle unterbrach die Lieferketten erneut. Ende letzten Jahres klagten über 80 Prozent der Unternehmen im Ifo-Index über Materialmangel. Der Wert ging Anfang des Jahres 2022 zurück, was Hoffnung auf eine Normalisierung brachte, die sich dann durch den Krieg Russlands gegen die Ukraine und neue Lockdowns in China jedoch nicht bewahrheitete.
Der zweite Schlag
Der Krieg in der Ukraine setzt die Lieferketten vor allem für deutsche Unternehmen von einer weiteren Seite unter Druck: Verdrängte Abhängigkeiten von Energie und Rohstoffen kamen plötzlich in den Fokus. Genauso offenkundig wurde, dass die Lieferketten verschlungene Wege gehen. Nach Daten von Interos hatten zwar weniger als 500 deutsche Firmen direkte Zulieferer aus Russland oder der Ukraine. Wenn man allerdings Tier-2 Zulieferer einbezieht, waren es bereits 7800 Unternehmen, unter Einbeziehung der Tier-3 Zulieferern 18.000. Diese Verbindungen sind alles andere als transparent. Ein globaler Deloitte Survey unter Chef-Einkäufern zeigte, dass nur für 15 Prozent der Einkäufer ihre Tier-2 und Tier-3 Zulieferer sichtbar und transparent sind. Damit sind mögliche Unterbrechungen und Schwachstellen schwer zu antizipieren.
Neben den unmittelbaren Auswirkungen des Krieges werden vor allem seine geopolitischen Folgen für die Lieferketten prägend sein. Die vielleicht wichtigste wirtschaftliche Änderung könnte der langfristige Trend in Richtung De-Globalisierung sein, der vor allem Deutschland als die offenste unter den großen Volkswirtschaften schwer treffen würde.
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