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Marion Plouhinec von Carmignac über die neue Rationalität bei ESG

DAS INVESTMENT: Sie beobachten einen deutlichen Rückgang bei ESG-Anträgen auf Hauptversammlungen. Woran machen Sie das fest?
Marion Plouhinec: Die Zahlen sprechen eine klare Sprache. Ein Paradebeispiel ist Amazon: Auf der Hauptversammlung wurden in diesem Jahr nur noch acht Resolutionen eingereicht – verglichen mit 18 im Jahr 2023. Insgesamt ist die Anzahl der Aktionärsanträge, über die wir abst...
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DAS INVESTMENT: Sie beobachten einen deutlichen Rückgang bei ESG-Anträgen auf Hauptversammlungen. Woran machen Sie das fest?
Marion Plouhinec: Die Zahlen sprechen eine klare Sprache. Ein Paradebeispiel ist Amazon: Auf der Hauptversammlung wurden in diesem Jahr nur noch acht Resolutionen eingereicht – verglichen mit 18 im Jahr 2023. Insgesamt ist die Anzahl der Aktionärsanträge, über die wir abstimmen können, im Vergleich zum Vorjahr sogar um 40 Prozent zurückgegangen. Wir erleben das Ende einer „Inflation bei Aktionärsbeschlüssen“.
Was meinen Sie damit konkret?
Plouhinec: Aktionärsbeschlüsse bleiben ein wichtiges Mittel, um Unternehmen zur Rechenschaft zu ziehen, aber in den vergangenen Jahren wurden Hauptversammlungen zunehmend als Forum für Konfrontationen zwischen ESG-Befürwortern und jenen genutzt, die Unternehmen dafür zur Rechenschaft ziehen wollten, dass sie „Gutes tun“, ohne die finanzielle Relevanz des im Fokus stehenden Themas angemessen zu berücksichtigen. Das Resultat war eine Rekordzahl von Anträgen zu einem stetig wachsenden Spektrum von Themen, darunter auch politische. Das Risiko besteht darin, dass diese Aktionärsbeschlüsse finanziell wesentliche und kritische ESG-Themen überschatten.
Wie kam es zu diesem Wandel?
Plouhinec: Die Entwicklung von Politik und Regulierung in Europa und den USA haben erheblich dazu beigetragen. Während die EU an ihren Dekarbonisierungszielen festhält, wurden mittelfristige Ziele angepasst und die Berichterstattung etwas gelockert. In den USA führt die Politisierung von ESG und die Assoziation mit „Wokeismus“ dazu, dass bei Hauptversammlungen pauschal alles abgelehnt wird, was unter diesen Begriff fällt. Das zeigt, welche grundlegende Rolle die Regierungspolitik bei der Entwicklung von Nachhaltigkeitsstrategien spielt.
Trump hat die Nachhaltigkeitsdebatte verändert
Unter Donald Trump ist Nachhaltigkeit zum Schimpfwort geworden.
Plouhinec: Die Haltung der derzeitigen US-Regierung stellt durchaus eine Hürde dar, da staatliche Politik bei der Gestaltung von Nachhaltigkeitsstrategien so wichtig ist. Noch beobachten wir aber nur vereinzelt Fälle, in denen US-Konzerne ihre Umweltziele aufweichen – diese bleiben vorerst die Ausnahme. Im sozialen Bereich sind Richtlinien für Diversität, Gleichberechtigung und Inklusion aktuell am stärksten betroffen – vor allem aufgrund der neuen rechtlichen Risiken, die mit dem Thema verbunden sind.
Sie halten die Entwicklung hin zu mehr Rationalität bei ESG-Fragen, wie Sie es nennen, für positiv. Können Sie das näher erläutern?
Plouhinec: Im Kern geht es bei nachhaltigem Investieren darum, die Risiken und Chancen für ein Unternehmen zu verstehen, die über reine Finanzkennzahlen hinausgehen. Als langfristig orientierte Anleger sollten wir Nachhaltigkeitsziele nicht um ihrer selbst willen verfolgen, sondern nur dann, wenn sie für das Unternehmen und seine langfristige Entwicklung wesentlich sind.
Es gab jedoch eine Phase, in der Unternehmen – manchmal unter dem Druck verschiedener Stakeholder, darunter auch Investoren – zeigen wollten, dass sie sich in einer Vielzahl von ökologischen und sozialen Fragen engagieren. Dabei geriet der Fokus auf finanzielle Relevanz teilweise aus dem Blick.
Können Sie Beispiele für aus Ihrer Sicht relevante ESG-Anträge nennen?
Plouhinec: Wir haben eine Resolution bei Home Depot unterstützt, die eine Folgenabschätzung für biologische Vielfalt forderte. Das Unternehmen ist als weltweit größter Baumarkthändler stark Risiken der Artenvielfalt und Waldabholzung ausgesetzt – das macht dieses Thema finanziell relevant. Zudem war Home Depot in Kontroversen um Abholzungen verwickelt, obwohl es im Grunde eine nachhaltige Beschaffungspolitik verfolgt. Das Unternehmen sollte seine Bemühungen zur Verhinderung von Entwaldung offenlegen.
Bei Amazon haben wir einen Antrag für eine unabhängige Prüfung der Arbeitsbedingungen in den Lagern unterstützt. Mitarbeiter sind der Schlüssel zum Unternehmenserfolg, und die finanzielle Bedeutung der Mitarbeiterzufriedenheit wird zunehmend anerkannt. Amazon ist jedoch kontinuierlich in entsprechende Kontroversen verwickelt. Für die Aktionäre wäre es daher von Vorteil zu erfahren, wie der Online-Händler mit diesen Risiken umgeht.
Unternehmensführung rückt wieder mehr in den Blickpunkt
Welche ESG-Aspekte gewinnen generell an Bedeutung, welche verlieren?
Plouhinec: Da sich Anleger auf unruhige Märkte und Handelskonflikte konzentrieren, erwarten wir einen rationaleren Ansatz, der sich auf Risikomanagement und finanzielle Relevanz stützt. Diese Verschiebung bietet auch die Gelegenheit, der Unternehmensführung wieder mehr Aufmerksamkeit zu widmen – einem Bereich, der angesichts aktueller Spannungen um die Wettbewerbsfähigkeit besonders wichtig ist.
Haben Sie ein Beispiel?
Plouhinec: Bei Meta haben 17 Prozent der Aktionäre, darunter auch Carmignac, eine Resolution zur Stärkung der Corporate Governance unterstützt. Gefordert wurde, dass der leitende unabhängige Direktor die Tagesordnung der Vorstandssitzungen unabhängig von CEO und Mehrheitsaktionär Mark Zuckerberg festlegen kann. Das Unternehmen hat diesen Antrag umgesetzt. Ein kleiner, aber im Kontext eines gründergeführten Unternehmens bedeutsamer Schritt für Minderheitsaktionäre.
Sie kritisieren auch die „vorschnelle Verknüpfung von Führungskräfte-Vergütung mit ESG-Zielen“. Was läuft da schief?
Plouhinec: Bei ESG-Zielen in Vergütungspaketen erwarten wir dieselbe Strenge wie bei Finanzkennzahlen. Die Auswahl der ESG-Metriken sollte mit der langfristigen ESG-Strategie des Unternehmens übereinstimmen. Wir bevorzugen quantitative gegenüber qualitativen Metriken. Die Kennzahlen sollten unter jenen ausgewählt werden, auf die die Führungskraft aufgrund ihrer Rolle direkten Einfluss nehmen kann. Einige US-Unternehmen haben bereits reagiert und ESG-Kennzahlen aus ihren Vergütungsplänen gestrichen.
Wie haben sich Ihre Abstimmungspraktiken verändert?
Plouhinec: Als europäischer Investor haben wir unsere aktive Eigentümerposition nicht verändert. Bisher haben wir im Jahr 2025 bei 60 Prozent der Sitzungen, an denen wir teilgenommen haben, mindestens eine Stimme gegen das Management abgegeben. Das ist ähnlich wie im gleichen Zeitraum des Jahres 2024. Wir engagieren uns weiter für Themen, die wir bisher unterstützt haben und die nach wie vor finanziell von Bedeutung sind, aber nicht mehr auf der Tagesordnung der Hauptversammlung stehen. Wir lassen nicht locker.
Über die Interviewte:
Marion Plouhinec ist ESG-Analystin bei der französischen Fondsgesellschaft Carmignac.



