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Interview mit Thomas Kruse, Investmentchef bei Amundi AM „Wir sind defensiver und selektiver geworden“

Thomas Kruse, Investmentchef von Amundi Deutschland

Herr Kruse, im Oktober stehen in Argentinien Wahlen an: In welcher Verfassung befindet sich die argentinische Wirtschaft derzeit? Wie gehen die politischen Entscheidungsträger mit der Krise um?

Thomas Kruse: Argentinien steckt in einer tiefen Rezession. Die Inflation liegt bei monatlich fast 5 Prozent und hat sich im Vergleich zum Vorjahr inzwischen um 50 Prozent erhöht. Die Regierung und die Zentralbank tun jedoch das Richtige, um das Haushaltsdefizit zu verringern und den Wechselkurs zu stabilisieren.

Inwieweit sind Politik und Geldpolitik damit erfolgreich?

Kruse: Die derzeitige Politik der Zentralbank, durch den Verkauf von US-Dollar in den Devisenmarkt einzugreifen, hat dazu beitragen, den argentinischen Peso zu stabilisieren und die Inflation zurückzuschrauben. Dennoch dürften Umfang und Dauer der Intervention begrenzt bleiben. Argentiniens währungspolitische Feuerkraft ist begrenzt, die Devisenreserven sind im vergangenen Monat zurückgegangen. Gut möglich, dass die Maßnahmen nicht ausreichen, um die Wirtschaft rechtzeitig vor den Wahlen, die für den 27. Oktober geplant sind, zu stabilisieren und zum Wachstum zurückzuführen.

Wie beeinflusst die aktuelle Situation die Wiederwahl-Chancen von Mauricio Macri?

Kruse: Stagflation und wachsende Armut haben bereits die Popularität von Präsident Macri und seine Wiederwahl-Chancen negativ beeinflusst. Aktuelle Umfragen deuten darauf hin, dass rund 27 Prozent der Wähler beabsichtigen, für ihn zu stimmen, gegenüber 33 Prozent der Wähler, die für Argentiniens Ex-Präsidentin Cristina Kirchner stimmen wollen. Hier hat sich ein deutlicher Popularitätsverlust im Vergleich zur Situation vor einigen Monaten eingestellt, als Macri die Umfragen gegen Kirchner anführte.

Den jüngsten Umfragen zufolge dürfte Kirchner außerdem in der zweiten Wahlrunde mit 10 Prozent vor Macri liegen. Die Wahlen finden allerdings wie gesagt erst im Oktober statt. Die politische Situation bleibt volatil, bis zum Herbst kann sich vieles ändern. Wir sehen eine Reihe von Faktoren, die darauf hindeuten, dass ein Kirchner-Sieg noch lange nicht gesichert ist: Es besteht die Möglichkeit, dass Macri seine Kandidatur zugunsten der Bürgermeisterin von Buenos Aires, Maria Vidal, die seiner Partei Cambiemos angehört und in Umfragen 10 Prozent vor Macri liegt, zurückziehen könnte. Im Lager der Peronisten wiederum könnte Roberto Lavagna, ehemaliger Finanzminister und marktfreundlicher Mann, gute Chancen haben, in die zweite Wahlrunde zu kommen: In diesem Fall sind seine Chancen, Macri oder Kirchner in der zweiten Runde zu schlagen, sehr hoch.

Ein weiterer Faktor ist die große Zahl unentschlossener Wähler. Hier könnten sich im Lauf der Zeit Veränderungen ergeben – eine Wende in der Konjunkturentwicklung und eine entsprechende Stabilisierung von Wechselkurs und Inflation könnte Macri Vorteile verschaffen.

Wie könnte sich das Wahlergebnis auf Argentinien-Assets auswirken?

Kruse: Der Markt hat im vergangenen Monat sehr negativ auf die steigenden Chancen reagiert, dass Cristina Kirchner an die Macht zurückkehrt – sie wird vom Markt als Garant für das Wiederaufleben von heiklen Schuldenumstrukturierungen und Preis- und Kapitalkontrollen wahrgenommen.

Wir sind der Meinung, dass ein solches Szenario eher unter einer Cambiemos-Präsidentschaft unter dem amtierender Präsidenten Macri oder einer gemäßigten peronistischen Präsidentschaft vermieden werden kann. Doch wie gesagt, angesichts der zu diesem Zeitpunkt extrem stagflationären Dynamik in der argentinischen Volkswirtschaft sind die Wiederwahlen von Präsident Macri zunehmend unwahrscheinlich geworden. Wir sind uns bewusst, dass die Abwärtsrisiken, insbesondere mit Blick auf die Konjunktur und die Aussichten auf eine Verbesserung des stagflationären Umfelds, nach wie vor hoch sind.

Sollte sich die Krise Argentiniens verschärfen: Sehen Sie das Risiko einer Ansteckung anderer Schwellenländer?

Kruse: Wir bezweifeln, dass es Ansteckungsgefahren gibt. Argentinien ist mit seiner unglücklichen Vergangenheit von Hyperinflation und Schuldenproblemen ein Sonderfall. Die direkten Handels- und Finanzbeziehungen Argentiniens zu den Schwellenländern in ihrer Breite sind relativ gering. Die engsten Wirtschaftsbeziehungen bestehen zu Brasilien, wo im Fall einer extremen Verschlechterung der Situation im Nachbarland tatsächlich negative Auswirkungen zu verzeichnen wären. Denkbar ist auch, dass globale Vermögensverwalter ihre Argentinien-Engagements zurückfahren und auch ihre Positionierung gegenüber einzelnen anderen Schwellenländern überdenken, um das Gesamtrisiko in ihren Portfolios zu reduzieren. Kurz und gut: Wir sehen nur begrenzte Ansteckungseffekte.

Was sind die Schlüsselthemen an den EM-Anleihenmärkten für die kommenden Monate?

Kruse: Die Annahme, dass sich die Märkte weiterhin relativ synchron entwickeln, hat einen Dämpfer erhalten. Die Wachstumserwartungen in den Schwellenländern sehen verhalten aus. Die USA dürften möglicherweise weiterhin wieder nach oben hin überraschen und den Rest der Welt hinter sich lassen. Der US-Dollar ist weiterhin stärker als erwartet, aber ohne die fiskalischen Impulse der US-Steuersenkungen vom Dezember 2017 dürfte sich die US-Wirtschaft nicht vom Rest der Welt abkoppeln können. Der Handelsstreit zwischen den USA und China ist jedoch noch lange nicht beigelegt. Im Vorgriff auf eine mögliche Lösung haben die Märkte zum Jahresauftakt zugelegt; nach der starken Erholung ist jetzt eine gewisse Volatilität wieder an den Markt zurückkehrt. Wir sind daher in den vergangenen Wochen wieder defensiver und selektiver geworden.

Wo sehen Sie die Chancen bei Schwellenländer-Anleihen?

Kruse: Wir erwarten eine leichte Ausweitung des Spreads auf Schwellenländer-Anleihen (EMBI) in den nächsten zwölf Monaten. Daher sind wir der Meinung, dass Anleger die Anlageklasse weiterhin vor allem aus Carry-Gründen bevorzugen sollten. Wegen der derzeit volatilen Devisenmärkte bevorzugen wir Hartwährungen gegenüber lokalen Währungen. Einige Schwellenländer konnten allerdings erheblich von höheren Ölpreisen profitieren, darunter Ecuador, Aserbaidschan, Nigeria und die Staaten des Golf-Kooperationsrates (GCC). Sie gehören zu den größten Nutznießern höherer Ölpreise im Hinblick auf ihre Auslandsverschuldung und haben somit einen geringeren Bedarf an Fremdkapital.

Soweit nicht anders angegeben, beruhen die hier enthaltenen Ansichten auf Recherchen, Berechnungen und Informationen von Amundi Asset Management und haben den Stand 21.05.2019. Diese Ansichten können sich jederzeit ändern, abhängig von wirtschaftlichen und anderen Rahmenbedingungen. Es gibt keine Gewähr, dass sich Länder, Märkte oder Branchen wie erwartet entwickeln werden. Diese Veröffentlichung ist kein Verkaufsprospekt und stellt kein Angebot zum Kauf oder Verkauf von Anteilen in Ländern dar, in denen ein solches Angebot nicht rechtmäßig wäre. Außerdem stellt diese Veröffentlichung kein solches Angebot an Personen dar, an die es nach der jeweils anwendbaren Gesetzgebung nicht abgegeben werden darf. Amundi Deutschland GmbH ist ein Unternehmen der Amundi Gruppe.

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