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Personalberater: „Versicherungsbranche macht zu wenig aus ihren Vorteilen“
DAS INVESTMENT: Rund 31 Prozent der Beschäftigten in Deutschland würden ihren jetzigen Beruf nicht noch einmal wählen. Und genauso viele Arbeitnehmer ziehen einen Job- oder Branchenwechsel in Erwägung, zeigen aktuelle Umfragen des Personaldienstleisters Manpower. Insbesondere der Vertrieb von Versicherungen ist ein typisches Ausweichziel. Verlassen diese Quereinsteiger besonders schnell die Branche wieder?
Jürgen Dörendahl: Unsere Erfahrung zeigt: Wer erfolgreich ist, der geht auch so schnell nicht wieder. Im komplexeren Geschäft mit Industrieversicherungen sehen wir etwas weniger Quereinsteiger. Im Sales und bei anderen vertriebsrelevanten Aufgaben hängt die Loyalität meist vom geschäftlichen Erfolg als Seiteneinsteiger ab.
Angesichts des zunehmenden Fachkräftemangels reißen sich die Firmen um wechselwillige Arbeitnehmer. Wie steht die deutsche Assekuranz hinsichtlich ihrer Vorteile im direkten Vergleich mit anderen Branchen da?
Thomas Dudkiewicz: Versicherer und auch Makler sind für Quereinsteiger spannende und vielseitige Arbeitgeber. Denn die Assekuranz hat viel zu bieten: gute Karrieremöglichkeiten, attraktive Sozialleistungen und Sicherheit. Sowie nicht zuletzt ein Gehalt, das deutlich über dem der meisten anderen Branchen liegt.
Können Sie hierzu konkrete Zahlen nennen?
Dörendahl: Wir unterstützen Unternehmen bei der Personalsuche ab einem Jahresbrutto-Einkommen von 100.000 Euro aufwärts. Daher sitzen wir zum Beispiel auch bei Gehaltsverhandlungen im Recruiting-Prozess mit am Tisch. Ein Niederlassungsleiter im Versicherungsvertrieb kann derzeit jährlich zwischen 120.000 und 150.000 Euro Festgehalt verdienen. Spitzenkräfte mit erfolgsabhängigen Komponenten sogar bis zu etwa 300.000 Euro. Das Jahresgehalt für einen Manager in der ersten Leitungsebene beginnt heute bei etwa 250.000 Euro zuzüglich signifikanter variabler Komponenten.
Trotzdem hat die Versicherungsbranche Nachwuchssorgen.
Dudkiewicz: Ja, denn sie macht zu wenig aus ihren Vorteilen – zumindest noch. Viele Kandidaten sind überrascht von dem Gesamtpaket an Leistungen und den spannenden und vielfältigen Aufgaben und Themen der Arbeit in der Branche. Gerade vor dem Hintergrund des aktuellen Fachkräftemangels sollten Versicherer und Makler ihre Stärken deutlicher nach außen kommunizieren und an ihrem Image arbeiten. Hier haben andere Branchen die Nase vorn – insbesondere bei jüngeren Arbeitnehmern, die sich eher anderen Berufsfeldern zuwenden.
Mit wem konkurrieren die Anbieter und Vermittler von Versicherungen denn am stärksten?
Dörendahl: Durch das vielfältige Aufgabenspektrum kommen viele Branchen infrage. Wir sehen aber vor allem, dass Versicherer sich zunehmend gegen die Konkurrenz von Banken sowie Finanzberatungen behaupten müssen. Bei Absolventen finden wir häufig sogar eine branchenübergreifende Konkurrenz.
Der Wettbewerb um die besten Köpfe hat also an Schärfe gewonnen.
Dudkiewicz: Eindeutig ja, und längst geht es nicht mehr nur um qualifizierte Einzelkämpfer. Ein Trend, der aktuell aus angelsächsischen Ländern nach Deutschland kommt, ist das sogenannte Team-Hiring. Dabei wird eine ganze Mannschaft rekrutiert, die eingespielt und sofort arbeitsfähig ist. Das ist die aggressivste Form der Personalabwerbung. So etwas nennt man beim Fußball Sechs-Punkte-Spiel: Das Unternehmen stärkt nicht nur die eigene Marktposition mit den neuen Arbeitskräften. Sondern es schwächt auch die des Mitbewerbers, der aktuell kaum Ersatz für seine wegbrechende Personaldecke findet.
Was können die Unternehmen dagegen tun, um ihre qualifizierten Arbeitskräfte zu halten?
Dörendahl: Wer seine Mitarbeiter binden will, muss noch stärker als bisher auf ihre Bedürfnisse eingehen. Das gelingt heute nicht immer. Ein Beispiel ist das Großraumbüro. Die Idee von der offenen Kommunikation über den eigenen Schreibtisch hinweg wurde aus den USA übernommen. In Deutschland ist diese Form der Büroarbeit jedoch bei vielen unbeliebt, weil es kaum private Rückzugsräume mehr gibt. Noch gravierender ist das Abschaffen fester Arbeitsplätze: In vielen Firmen haben Bürokräfte heute zwar noch einen Rollcontainer mit ihren persönlichen Dingen. Aber der Verlust des vertrauten Umfeldes beim flexiblen Arbeiten an wechselnden Arbeitsplätzen führt zu noch weniger Identifikation mit dem eigenen Job und dem Unternehmen. Kein Wunder, dass viele Mitarbeiter nach den Lockdowns infolge der Corona-Pandemie lieber weiterhin von zu Hause tätig sind. Viele haben sich innerlich gesagt: In solch einem Büro will ich nie wieder freiwillig arbeiten.
Eine Rückkehr der Einzelbüros erscheint aber unwahrscheinlich. Wie könnte ein Kompromiss aussehen?
Dudkiewicz: Viele Versicherer haben sich in den vergangenen fünf Jahren für das Thema Homeoffice geöffnet. Die meisten Arbeitgeber bieten zum Beispiel an, dass man drei Tage in der Woche flexibel von zu Hause aus arbeiten kann. Das war ein kluger Schachzug der Versicherer, auch wenn er als Folge der Corona-Lockdowns auch nicht ganz freiwillig zustande gekommen ist.
Damit allein sind aber wohl auch noch nicht alle Probleme gelöst.
Dörendahl: Nein. Die Produktivität vieler Mitarbeiter kann in manchen Fällen nachlassen. Denn auch das Arbeiten im Homeoffice muss vom Arbeitgeber organisiert werden. So ist das sogenannte Socializing zum Teil der Arbeitswelt geworden: Der Arbeitgeber sorgt dafür, dass die Mitarbeiter eine Identifikation mit dem Unternehmen aufbauen. Hierfür dienen beispielsweise Events, die alle Menschen aus dem Umfeld der Firma in einem ungezwungenen Rahmen zusammenbringen – möglichst physisch am gleichen Ort.
Das wirkt paradox. Denn gleichzeitig nimmt auch der Einsatz von Generativer Künstlicher Intelligenz zu, bei der es so gar nicht menschelt.
Hallo, Herr Kaiser!
Dudkiewicz: Stimmt. Generative Künstliche Intelligenz kann gut Zahlen, Daten, Fakten verarbeiten und so Beschäftigte bei Routineaufgaben entlasten. Das hilft, um so manche Arbeitskräfte zu ersetzen. Deren Stellen können aufgrund des allgemeinen Fachkräftemangels oftmals auch gar nicht mehr wieder besetzt werden. Das gilt insbesondere für Finanzdienstleister. Sie sind keine Unternehmen, zu denen die Bewerber in Massen strömen. Das größte Problem der KI ist aber, dass sie keinerlei Empathie vermittelt. So kann sie in der Medizin zum Beispiel Daten zu möglichen psychischen Krankheiten von Patienten analysieren, um eine Diagnose zu erstellen. Doch einen Therapeuten kann sie so schnell nicht ersetzen.
Was bedeutet das für Ihr Thema Personalvermittlung?
Dörendahl: Bewerbungen finden heute vermehrt über Online-Portale ihren Weg zu den Unternehmen. Die dortigen Personalchefs können im Auswahlverfahren Künstliche Intelligenz zum Beispiel nutzen, um die eingereichten Lebensläufe nach bestimmten Berufsabschlüssen oder Qualifikationsniveaus zu scannen. Das kann einem Unternehmen bei der Vorauswahl helfen, das sehr viele Bewerbungen auf eine einzige Stelle erhält.
Wofür braucht es dann noch Sie als Personalberater?
Dudkiewicz: Beim maschinellen Abarbeiten von Checklisten drohen die Hintergrundinformationen zu kurz zu kommen. Wir suchen daher immer zuerst das persönliche Gespräch. Dafür pflegen wir einen engen Kontakt sowohl zu Arbeitgebern als auch Fach- und Führungskräften der Finanzbranche. Als sogenannte Executive Search mit mehr als 30 Jahren Erfahrung haben wir das größte Netzwerk in der Assekuranz. Das gibt uns das notwendige Know-how, um in der Branche ernst genommen zu werden. Wenn es Probleme gibt, stehen wir auch als Sparringspartner bereit. Dabei punkten wir mit tiefen Einblicken in die Branche und Erfahrungen mit anderen Branchenvertretern in ähnlichen Marktsituationen. Neben der klassischen Vermittlung von Spitzenpersonal bringen wir somit auch strategische Ideen ein.
Und hier sehen Sie also keine Konkurrenz durch Künstliche Intelligenz heran nahen?
Dörendahl: Nein. Im heutigen Personalmarkt sind Bewerbungen von hoch qualifizierten Jobsuchenden ein kostbares Gut. Der persönliche Kontakt kann hier den entscheidenden Impuls geben, um einen passenden Bewerber für eine vakante Stelle mit dem Arbeitgeber zusammenzubringen. Von den teilweise verzweifelt gesuchten Menschen sind nämlich einfach insgesamt zu wenige am Arbeitsmarkt verfügbar. Das wird sich auch nicht so schnell ändern.
Das spricht für rosige Zeiten, denen die heutigen Absolventen entgegengehen.
Dudkiewicz: Ja, die Angehörigen der Generation Z sind sehr gefragt. Allerdings sind manche von den Ereignissen während der Pandemie noch immer sehr verunsichert und weniger flexibel. Als Folge sind viele beispielsweise nicht bereit, für einen Job in eine andere Stadt umzuziehen. Besonders schwer ist es auch für Firmen aus Branchen, die für viele junge Menschen als unsexy gelten – zum Beispiel der Versicherungsvertrieb.
Zu Recht?
Dörendahl: Ich denke nicht. Viele der negativ behafteten Klischees sind unbegründet. Die Industrieversicherung zum Beispiel ist wahnsinnig spannend, anspruchsvoll und komplex. Der Versicherungsvermittler wird hier sozusagen Teil des betrieblichen Risikomanagements der Firmenkunden.
Stichwort Industrieversicherung: Hier ist die Maklerbranche durch Aufkäufer wie die GGW Group derzeit im Umbruch.
Dudkiewicz: In der Tat. Die sogenannte Konsolidierung des Marktes hat auch hierzulande vor etwa fünf Jahren zunächst unter den großen Maklerhäusern Fahrt aufgenommen. Inzwischen ist der Trend auch bei den kleinen bis mittelgroßen Vermittlern mit einem Umsatz zwischen 500.000 und 10 Millionen Euro angekommen. Denn die Aufkäufe der Konsolidierer haben die Preise am Markt hochgetrieben. Das führt dazu, dass kaufwillige Firmen auch kleinere Maklerbetriebe in Betracht ziehen.
Was bedeutet das für das Personal?
Dörendahl: Das Geschäft mit Industrieversicherungen ist in den vergangenen Jahren aufgrund der weltweiten Vernetzung deutlich komplexer geworden. Innerhalb von zehn Jahren dürfte sich die Zahl der Mitarbeiter bei Versicherungsmaklern in Deutschland drastisch reduzieren – allein aufgrund des demografischen Wandels. Deshalb wird es auch in der Zukunft zunehmend Zusammenschlüsse von Maklerfirmen geben. Aber auch das zuvor beschriebene Team-Hiring erscheint jetzt vielen Firmen als interessante Alternative zum Kauf der gesamten Firma. Denn so lassen sich günstiger bestimmte Filetstücke der Übernahmekandidaten sichern.
Kommen wir zurück zum Anfang des Gesprächs – auf die Jobwechsler: Teilweise stellen Firmen einen Mitarbeiter nach einem Intermezzo ein zweites Mal ein.
Dudkiewicz: Ja. Das sogenannte Re-Hiring ist mittlerweile hochrelevant. Gemeint ist damit die gezielte Ansprache und Rückgewinnung ehemaliger Mitarbeitender. Dieser Prozess beginnt bestenfalls schon mit einem Exit-Gespräch, wenn der Arbeitnehmer gekündigt hat. Es ist heute nämlich wichtiger als früher, in Kontakt zu bleiben. Man darf als Ex-Kollege nicht in ewige Verdammnis geraten, weil man die persönlichen Eitelkeiten des Chefs verletzt hat.
Über die Interviewten:
Jürgen Dörendahl ist seit 1993 als Personalberater tätig und gründete vor 18 Jahren zusammen mit Brigitte Gattermayr die Personalberatungsgesellschaft Le Groupe Bleu. Sein Schwerpunkt sind die Besetzung anspruchsvoller Positionen sowie internationale Projekte, Team-Hiring, Firmenübernahmen und die strategische Unternehmensberatung.
Thomas Dudkiewicz ist seit 2013 als Personalberater tätig und kam 2017 zu dem Unternehmen. Der heutige Geschäftsführer der deutschen Tochtergesellschaft von Le Groupe Bleu deckt in seinen Projekten sämtliche Fachbereiche sowie Führungsebenen ab.
Le Groupe Bleu beschäftigt derzeit rund 20 Mitarbeiter an den Standorten Straßburg/Weißenburg und Karlsruhe. Sie begleiten und beraten seit mehr als 30 Jahren Unternehmen aus der Versicherungswirtschaft dabei, Fach- und Führungskräfte aller Ebenen zu finden. Die Personalberater haben nach Firmenangaben bisher mehr als 1.000 Positionen besetzt. Hierfür beurteilt man potenzielle Kandidaten für eine Stelle hinsichtlich ihrer Fach- und Sozialkompetenz und gegebenenfalls deren Führungspotenzial – jeweils bezogen auf das Anforderungsprofil der zu besetzenden Position unter Berücksichtigung der Unternehmenskultur.