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Henderson-Urgestein Tim Stevenson „Den Warnungen vor einem Ende der Aktienrally schließe ich mich nicht an“

Tim Stevenson, Leiter europäischen Aktien bei Henderson Global Investors.
Tim Stevenson, Leiter europäischen Aktien bei Henderson Global Investors.
Der jüngste Kurseinbruch bei Anleihen, mit dem die Renditen deutscher Bundesanleihen am 13. Mai 2015 mit 0,72 Prozent den höchsten Stand seit sechs Monaten markierten, löste die lang erwartete Konsolidierung an den europäischen Aktienmärkten aus. Zugleich verhalf er dem Euro zu einem Anstieg und brachte trotz anhaltender Unsicherheiten mit Blick auf Griechenland den US-Dollar-Höhenflug zum Erliegen.

Parallel dazu stiegen die Ölpreise, und viele Aktien, die sich seit Jahresbeginn überdurchschnittlich gut entwickelt hatten, traten den Rückzug an. Warnungen vor einem möglichen Ende der Aktienrally machten daraufhin die Runde. Diesen Warnungen schließe ich mich jedoch nicht an. Nach meiner Einschätzung haben wir es mit einer längst überfälligen Verschnaufpause zu tun, bevor in den nächsten Monaten mit weiteren positiven Nachrichten zur Konjunktur und den Unternehmensgewinnen zu rechnen ist.

Die Rückkehr der Preissetzungsmacht
Inzwischen gibt es erste Anzeichen dafür, dass die Inflation wieder steigt. Mario Draghi, Präsident der Europäischen Zentralbank, legte bei der Sitzung des EZB-Rates am 15. April dar, dass seine Experten „ein Anziehen der Inflation im Spätjahr sowie eine weitere Beschleunigung des Preisauftriebs in 2016 und 2017“ erwarten. Das ist eine gute Nachricht für Aktien, lässt sie doch auf eine Rückkehr der Preissetzungsmacht hoffen. Zugleich verheißt sie Gutes für die Volkswirtschaften, denn eine moderate Inflation ist für die Länder in Europa wohl die bequemste Möglichkeit, einen Teil ihrer in den letzten 25 Jahren aufgebauten riesigen Schuldenberge abzutragen.

Keine gute Nachricht ist der Inflationsanstieg für Anleger, die sich, getrieben von Deflationsangst, eine der zahlreichen Anleihen mit mittlerweile negativer Rendite ins Depot gelegt haben. Diese überlaufenen Positionen, auch „Crowded Trades“ genannt, bei denen eine Short- oder Long-Position von einer sehr großen Anzahl von Anlegern gehalten wird, sind solange kein Problem, bis die Flucht aus ihnen einsetzt. Vielleicht waren die jüngsten Bewegungen unter anderem darauf zurückzuführen.

Wirtschaftsindikatoren bleiben eine Stütze
Für Anleger mit mittel- und langfristigem Horizont könnte es indes wichtiger sein, sich jenseits kurzfristiger Entwicklungen mit der Frage zu beschäftigen, ob die allmähliche Konjunkturerholung in Europa weitergeht. Jüngste Daten lassen auf eine, wenn auch langsame Besserung der Lage in den europäischen Volkswirtschaften hoffen. Wegen des schwachen Jahresauftakts in den USA, verschärft durch Hafenarbeiterstreiks und das schlechte Wetter, könnte zudem die erwartete Zinswende erneut verschoben werden. Dies dürfte verunsicherte Anleger beruhigen, dass die Zinspolitik der US-Notenbank weiterhin expansiv ausgerichtet bleibt.

Klar ist aber auch, dass die Bewertungen europäischer Aktien kräftig gestiegen sind. So liegt das durchschnittliche Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) auf Basis der Gewinne der nächsten zwölf Monate im MSCI Europe Index mit fast 16 über dem langjährigen Durchschnitt – was kein Grund zur Besorgnis ist, solange die KGVs in den USA weiter darüber liegen. Zudem hat die Erholung der Unternehmensgewinne in Europa gerade erst begonnen. Selbst wenn die Inflation in den kommenden Jahren bis auf 2 Prozent steigt und die „20er-Regel“ Bestand haben sollte, haben die europäischen Aktienmärkte in punkto KGV noch Luft nach oben.