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in Nachhaltigkeit, ESG & SRILesedauer: 7 Minuten

Kolumnist Heiko Faust Ist Nachhaltigkeit relevant für deutsche Versicherer?

Nachhaltigkeit beziehungsweise Umwelt, Soziales und gute Unternehmensführung (englisch: Environmental, Social and Governance, kurz ESG) ist in aller Munde. Die Politiker reden darüber, die Presse schreibt und sogar der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV), der sich Themen ja meistens etwas vorsichtig nähert ist sehr aktiv bei diesem Thema. Und natürlich sind auch die Versicherer selbst voll dabei.

Ich habe mich nun allerdings gefragt: Ist das ein Hype oder ist das Thema wirklich relevant für Versicherer? Ein Versicherer ist ja kein Umweltsünder, der umweltschädliche Produktionsanlagen betreibt. Generell lässt sich festhalten, dass wir als Gesellschaft dringend etwas tun müssen, um unseren Kindern einen Planeten zu hinterlassen, der lebenswert ist in allen Facetten.

Am 25. September 2015 haben die 193 Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen auf einem Gipfeltreffen in New York die sogenannte Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung verabschiedet. Mit ihr wurde der globale Rahmen für die (Nachhaltigkeits-)Politik bis 2030 abgesteckt. Die deutsche Regierung spricht vom Weltzukunftsvertrag. Im Rahmen der der Agenda 2030 wurden auch die 17 Sustainable Development Goals (SDG), welche ganz konkrete Ziele setzen, was man bis 2030 erreicht haben möchte.

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Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) bekräftigte dieses Ziel nochmals deutlich für Deutschland in 2017:

„Für Deutschland dient die Agenda 2030 als Kompass – nicht nur für die Entwicklungspolitik, sondern für alle Politikfelder. Ziel ist es, eine Kultur der Nachhaltigkeit zu schaffen, in der alle bewusst konsumieren und Teil des Veränderungsprozesses sind. Staat, Wirtschaft und Gesellschaft insgesamt müssen zu diesem Wandel beitragen.“¹

Wie rasant Nachhaltigkeit im öffentlichen Dialog an Bedeutung gewinnt lässt sich an der folgenden Grafik gut ablesen, die einen Überblick nachhaltiger Entwicklungen in der Politik in nur den vergangenen drei Jahren zeigt. Allein in 2021 ist die ESG-Offenlegungsverordnung in Kraft getreten und das Klimaschutzgesetz verifiziert worden.

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Die Politik macht ernst und setzt die notwendigen Rahmenbedingungen, um die Agenda 2030 voranzutreiben.

Aber was hat das nun mit ESG zu tun? ESG bezieht sich in der Regel auf die drei Hauptsäulen der Unternehmensaktivitäten, die die langfristige Nachhaltigkeit des Unternehmens, der Umwelt und der Gesellschaft im Allgemeinen fördern. ESG dient dazu Unternehmen danach zu bewerten, wie sie mit den drei genannten Themen umgehen.

Dafür müssen Unternehmen sich in die Karten schauen lassen. Darauf spezialisierte Agenturen stellen mit langen Kriterienlisten den Ist-Stand fest und schlagen auf diese Weise auch Ziele vor. Je nach Agentur werden einzelne Kriterien wie CO2-Emissionen oder der Einsatz von erneuerbaren Energien bei Environmental, die Einhaltung von Anti-Diskriminierungs-Richtlinien oder die Fluktuationsrate bei Social, die Unabhängigkeit des Vorstands oder Programme für Whistleblower bei Governance stärker oder schwächer bewertet.

Wie wichtig es für Unternehmen ist hier gut abzuschneiden zeigt sich darin, dass Großinvestoren wie Blackrock das Thema sehr ernst nehmen. Larry Fink der Chef von Blackrock greift das Thema in seinen aktuellen „Briefen an CEOs“ auf. Im jüngsten schreibt er:

„Es gibt kein Unternehmen, dessen Geschäftsmodell nicht tiefgreifend vom Übergang zu einer Netto-Null-Wirtschaft betroffen sein wird - einer Wirtschaft, die bis 2050 nicht mehr Kohlendioxid ausstößt, als sie der Atmosphäre entzieht, der wissenschaftlich festgelegten Schwelle, die notwendig ist, um die globale Erwärmung deutlich unter 2 Grad Celsius zu halten.”²

Versicherungen werden heute nach ESG Kriterien bewertet und vor allem Großinvestoren schauen sich ganz genau an, wie ein Unternehmen nach ESG-Kriterien abschneidet.

Neben Politik und Großinvestoren hat das Thema Nachhaltigkeit auch in der breiten Öffentlichkeit signifikant an Bedeutung gewonnen. Spätestens mit den „Fridays for Future“ ist das Thema beim Kunden angekommen. Die direkten Auswirkungen auf das Kaufverhalten der Kunden sind noch gering, aber es zeichnet sich ein Trend ab.

Eine von Oliver Wyman durchgeführte Umfrage³ zeigt, dass sich die Preisbereitschaft zwar entwickelt, bisher aber noch nicht stark ausgeprägt ist. Während viele Kunden sehr um die Umwelt besorgt sind, sind nur 9 Prozent der Kunden bereit, einen höheren Preis für Produkte zu zahlen, die eine bessere ökologische Nachhaltigkeit bieten. Zusätzlich fehlt vielen Kunden noch die Transparenz. 86 Prozent der Bundesbürger können nicht angeben, welche Versicherer aus ihrer Sicht besonders nachhaltig sind.

Mit circa 47 Prozent sind allerdings schon sehr viele Kunden bereit bei gleichen Konditionen zu einem nachhaltigeren Anbieter zu wechseln. Das bedeutet sobald ein Anbieter im Markt ein nachhaltiges Produkt mit den gleichen Eigenschaften wie ein nicht nachhaltiges Produkt anbietet, sind heute schon fast die Hälfte der Kunden bereit zu wechseln. Zusätzlich wird die Transparenz durch die ESG-Transparenzverordnung deutlich erhöht und es ist sicherlich nur eine Frage der Zeit, bis Kunden nicht-nachhaltige Produkte nicht mehr akzeptieren werden.

Politik, Investoren und Kunden wollen also alle, dass Versicherungen sich ESG-konform verhalten, investieren und entsprechende Produkte bereitstellen beziehungsweise nur noch Unternehmen versichern, die auch nach ESG-Kriterien operieren.

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Das haben einige Wettbewerber begriffen und sich ganz bewusst an die Spitze der Bewegung gesetzt.

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Wer sich dem Thema Nachhaltigkeit (ESG) nicht ernsthaft annimmt, wird von den Marktführern abgehängt werden.

Das Thema ESG ist also hoch relevant für jeden Versicherer in Deutschland, es ist allerdings gar nicht so einfach sich dem Thema ESG strukturiert zu nähern und all das umzusetzen.

Die meisten Finanzdienstleister orientieren sich bei Nachhaltigkeit an den Zielen für die nachhaltige Entwicklung (SDG) der Vereinten Nationen und entwickeln ihren Ansatz, indem sie die SDG in einen ESG-Rahmen einordnen. Viele treffen dabei eine Auswahl und fokussieren sich auf Teile der SDGs. Andere wiederum generieren ein eigenes ESG-Rahmenwerk in Anlehnung an die SDGs. Im Folgenden zwei Beispiele wie so etwas aussehen kann.

Beispiel 1: Rahmenwerk durch Zuordnung der 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung zu ESG

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Beispiel 2: Rahmenwerk durch Ableitung eigener Kriterien in Anlehnung an die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung zu ESG:

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Die meisten Versicherer geben sich zwar Mühe, sind aber streng genommen bisher Trendfolger bezogen auf ihre ESG-Strategie. Was meinen wir mit Trendfolger? Wie sehen vier Differenzierungsstrategien:

  1. Nachhaltigkeit-Pur-Versicherer
    Ein Nachhaltigkeit-Pur-Versicherer stellt Nachhaltigkeit in den Fokus allen Handelns und setzt selbstauferlegte Maßnahmen zu 100 Prozent stringent und über alle Organisationsstrukturen hinweg um.
  2. Nachhaltigkeit-Plus-Versicherer
    Ein Nachhaltigkeit-Plus-Versicherer positioniert seine Marke bewusst entlang ausgewählter Marktlücken, die für sein(e) Kundensegment(e) relevant sind. Sein Versprechen geht über die regulatorische Norm hinaus, bleibt dabei jedoch im Rahmen des glaubhaft Vertretbaren.
  3. Gedankenführer
    Gedankenführer nehmen bewusst eine führende Rolle in Industriedialogen ein und schlagen aus Eigeninitiative Lösungen vor, die weit über das hinausgehen, was sie regulatorisch leisten müssten, auch wenn dies nicht unmittelbar zum Gewinn beiträgt.
  4. Und eben den Trendfolger
    Trendfolger nutzen Nachhaltigkeit nicht als Differenzierungsfaktor. Sie erfüllen das Minimum an (regulatorischen) Marktstandards und beteiligen sich an generellen Markttrends (zum Beispiel Principles for Sustainable Insurance).

Um hier weder von der Politik, den Kunden und den Investoren vor sich hergetrieben zu werden noch dem Wettbewerb hinterher zu laufen muss sich der Großteil der deutschen Versicherer noch deutlich strukturierter mit seiner ESG-Strategie auseinandersetzen. Ansonsten laufen sie Gefahr sich zu verzetteln.

Ich persönlich glaube, es ist bei den deutschen Versicherern angekommen, dass ESG ein Thema mit höchster Relevanz für die Versicherungsbranche ist. Ich glaube allerdings auch, dass die meisten das Thema bisher immer noch unterschätzen und zu langsam unterwegs sind.


Über den Autor: 

Heiko Faust, Oliver Wyman

Heiko Faust ist Partner im Bereich Versicherungen von Oliver Wyman. Er hat mehr als 20 Jahre Erfahrung als Manager und Strategie-Berater in der Versicherungsbranche. Seine Schwerpunkte liegen speziell in der Lebensversicherung mit einem Fokus auf Strategie, Bestandsmanagement, Operational Excellence und Digitalisierung sowie Nachhaltigkeit.

Quellen: ¹ BMZ (2017), S. 10.
² Larry Finks “Letter to CEOs” 2021, aus dem Englischen wörtlich übersetzt.
³ Oliver Wyman Report „Climate Change – Three imperatives for financial services“

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