Kapitalmarktstratege Tilmann Galler
Warum die japanische Währung derzeit für Aktieninvestoren mehr Risiko als Chance ist

Kapitalmarktstratege Tilmann Galler
In den vergangenen Jahrzehnten war Japan geprägt von wirtschaftlicher Stagnation und Deflation. Auch die Kapitalmärkte standen in der Folge kaum im Fokus von Anlegerinnen und Anlegern. Doch nun tut sich etwas: Seit der Covid-Pandemie hat Japan signifikante makroökonomische Veränderungen erlebt.
In den letzten acht Quartalen ist der Verbraucherpreisindex auf über 2 Prozent gestiegen – ein zentral...
Märkte bewegen Aktien, Zinsen, Politik. Und Menschen. Deshalb präsentieren wir dir hier die bedeutendsten Analysen und Thesen von Top-Ökonomen - gebündelt und übersichtlich. Führende Volkswirte und Unternehmensstrategen gehen den wichtigen wirtschaftlichen Entwicklungen clever und zuweilen kontrovers auf den Grund.
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In den vergangenen Jahrzehnten war Japan geprägt von wirtschaftlicher Stagnation und Deflation. Auch die Kapitalmärkte standen in der Folge kaum im Fokus von Anlegerinnen und Anlegern. Doch nun tut sich etwas: Seit der Covid-Pandemie hat Japan signifikante makroökonomische Veränderungen erlebt.
In den letzten acht Quartalen ist der Verbraucherpreisindex auf über 2 Prozent gestiegen – ein zentrales Ziel der Bank von Japan. Das nominale Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist in den letzten zwei Jahren jährlich um 3,5 Prozent gewachsen, verglichen mit 0,2 Prozent in den 20 Jahren zuvor. Zeiten beschleunigten nominalen Wachstums sind normalerweise günstig für Unternehmen, um ihre Umsätze zu steigern.
Während zunächst der Kostendruck zu einem Anstieg der Inflation führte, besteht nun die Hoffnung, dass in Japan die Phase einer „positiven“ Inflation ansteht. Grund dafür ist vor allem, dass sich das Lohnwachstum allmählich beschleunigt. Die Frühjahrs-Lohnverhandlungen (Shunto) führten zu einer durchschnittlichen Lohnerhöhung von 5,3 Prozent, die damit erstmals seit 33 Jahren über 5 Prozent lag.
Diese Verhandlungen betreffen jedoch weniger als 15 Prozent der Arbeitskräfte. In kleinen und mittleren Unternehmen liegen die Lohnerhöhungen noch unter der Inflationsrate – doch es besteht Hoffnung auf höhere Löhne, da Unternehmen gute Konditionen bieten müssen, um Talente angesichts einer schrumpfenden Erwerbsbevölkerung anzuziehen. Ein moderates Lohnwachstum könnte die Verbrauchernachfrage stärken und damit das Umsatzwachstum börsennotierter Unternehmen fördern, da 52 Prozent ihrer Umsätze im Inland erzielt werden.
Die Verlagerung von Produktionsstätten aus China nach Japan könnte die Wirtschaft mittelfristig ebenfalls beleben. Ursächlich dafür ist, dass westliche Unternehmen zunehmend ihre Lieferketten diversifizieren möchten, um sich besser vor den sich rasch verändernden geopolitischen Rahmenbedingungen zu schützen.
Japan bietet eine hervorragende Infrastruktur und ein hohes technisches Niveau, gepaart mit moderaten Arbeitskosten. Ein massiver Wertverlust des Yen, der in den letzten vier Jahren auf handelsgewichteter Basis fast ein Drittel seines Wertes eingebüßt hat, fördert diese Verlagerung zusätzlich.
Die Bank of Japan hat dank einer nachhaltigen Erholung zudem ihre Negativzinspolitik beendet. Weitere Zinserhöhungen werden wahrscheinlich moderat ausfallen – die Entwicklung hin zu einer positiven Renditekurve dürfte vor allem dem Finanzsektor Rückenwind geben, ähnlich wie in den USA und Europa, wo Finanzwerte einer der Hauptfaktoren für die jüngste Aktienrally waren.
Unternehmensspezifische Faktoren sind nach unserer Einschätzung für die positive Entwicklung japanischer Aktien relevanter als die Makroökonomie. Die Unternehmensführung in Japan hat sich beispielsweise in den letzten zehn Jahren verbessert. Seit Einführung des Stewardship-Kodex 2014 stieg der Anteil der Unternehmen mit unabhängigen Aufsichtsratsmitgliedern von 6,4 auf über 90 Prozent im Jahr 2022.
Die im internationalen Vergleich chronische Unterbewertung zahlreicher Unternehmen hat die Tokyo Stock Exchange dazu veranlasst, höhere Anforderungen an die gelisteten Unternehmen zu stellen, um ihr Listing im Prime-Segment zu rechtfertigen. Denn die Kapitalallokation ist immer noch sehr verbesserungswürdig, da 51 Prozent der Unternehmen im Topix-Index über positive Netto-Barguthaben verfügen, verglichen mit 11 Prozent in den USA und 13 Prozent in Europa. Dies führt zu niedriger Eigenkapitalrendite (RoE) und niedrigeren Aktienmultiplikatoren.
22 Prozent der Unternehmen im MSCI Japan Index haben ein Kurs-Buchwert-Verhältnis unter 1 und 39 Prozent einen RoE unter 8 Prozent. Eine höhere Rentabilität wird üblicherweise mit höheren Bewertungen belohnt, was die Attraktivität japanischer Aktien steigern könnte.
Die Reformen zeigen Wirkung: Dividendenausschüttungen und Aktienrückkäufe haben zugenommen, 2023 erreichten angekündigte Aktienrückkäufe ein Rekordhoch. Ein weiteres Rückführen der Barmittelbestände und der Verkauf von Überkreuzbeteiligungen zur Finanzierung von Aktienrückkäufen könnten den RoE japanischer Unternehmen verbessern.
Wenn es die Unternehmen schaffen, ihre Barbestände auf das Niveau ihrer europäischen und US-amerikanischen Konkurrenten zu reduzieren und weitere Überkreuzbeteiligungen veräußern, könnte die Eigenkapitalrendite japanischer Aktien auf rund 12 Prozent steigen.
Trotz günstiger Bedingungen gibt es aber auch Risiken. Erstens sind die Bewertungen japanischer Aktien nicht mehr so attraktiv wie früher. Ende April 2024 lag das Kurs-Gewinn-Verhältnis bei 16x, und damit leicht über dem 15-Jahres-Durchschnitt. Dies dämpft die langfristigen Ertragsaussichten.
Zweitens könnte ein stärkerer Yen japanische Aktien belasten. Die Aussicht auf niedrigere Zinsen in Europa und den USA und leicht steigende Zinsen in Japan dürften den Yen als Währung für Investoren attraktiver machen, da aus rein fundamentaler Sicht nach den Kaufkraftparitäten der Yen bereits eine der günstigsten Währungen weltweit ist.
Ein stärkerer Yen würde die Gewinne exportorientierter Unternehmen beeinträchtigen, während inländische Unternehmen profitieren könnten. Eine Konzentration auf binnenorientierte und kleinere Unternehmen könnte in diesem Szenario vorteilhaft sein.
Sollte der Yen jedoch weiter an Wert verlieren, könnte das Land mit stärkerer importierter Inflation konfrontiert werden, was größere Zinserhöhungen erforderlich machen könnte. Angesichts Japans hoher Nettoverschuldung von 158 Prozent des BIP wären starke Zinserhöhungen problematisch und könnten die Finanzstabilität gefährden. Auf dem jetzigen Niveau ist die japanische Währung für Aktieninvestoren mehr Risiko als Chance.
In Summe bieten ein höheres nominales BIP-Wachstum und Corporate-Governance-Reformen günstige Bedingungen für japanische Aktien. Mittelfristig kann man von attraktiven Erträgen ausgehen, aber hohe Bewertungen und Währungsunsicherheit begrenzen die Gewinne. Eine Fokussierung auf binnenorientierte und kleinere Unternehmen könnte das Renditepotenzial erhöhen. Diese Unternehmen sind weniger von Währungsrisiken betroffen und könnten von einem positiveren Lohnwachstum profitieren, was langfristig stabile Erträge sichern könnte.
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