Frauen & Geld Podcast | Folge 6 Jessica Schwarzer bei Frauen & Geld: Female Finance – die Bestandsaufnahme
Anissa Brinkhoff: Liebe Jessica, wann wurde dir als ausgebildete Finanzjournalistin bewusst, dass es Unterschiede zwischen männlichen und weiblichen Finanzen gibt?
Jessica Schwarzer: Das ist eine gute Frage. Ich habe frühzeitig bemerkt, dass die Finanzbranche, in der ich tätig bin, überwiegend von Männern dominiert wird. Banker, Fondsmanager, ETF-Chefs und Analysten - das sind alles Berufe, in denen ich hauptsächlich mit Männern zu tun hatte. Als Journalistin fühlte ich mich dabei eigentlich immer wohl, es war für mich nichts Schlimmes. Dennoch habe ich im Laufe der Zeit immer stärker gemerkt, dass es Unterschiede gibt. Auch in meinem Freundeskreis interessierten sich vor allem die Männer für Finanzthemen und die Börse. Das hat mich dazu bewogen, mich intensiver mit der Thematik auseinanderzusetzen, ein Buch für Frauen zu schreiben und darüber nachzudenken, warum Frauen und Finanzen nicht so gut zusammenzupassen scheinen.
Anissa Brinkhoff: Wie war denn deine Anfangszeit im Finanzbereich? Da war ja alles, was mit Frauen und Finanzen zu tun hatte, noch total innovativ!
Jessica Schwarzer: Zu Beginn meiner Karriere war es tatsächlich noch nicht völlig normal, über diese Themen zu sprechen. Doch das änderte sich schnell, als immer mehr Initiativen entstanden und Podcasts aufkamen. Plötzlich wurden Finanzthemen regelmäßig in Frauenmagazinen behandelt – auch in den klassischen Magazinen, die es schon seit Jahrzehnten gibt. Das ist wichtig und richtig.
Anissa Brinkhoff: Du beschäftigst dich nun sowohl mit weiblichen Finanzthemen als auch mit allgemeinen Finanzthemen. Wie unterscheiden sich diese beiden Bereiche und wie gestaltet sich deine Herangehensweise, je nachdem, für welche Zielgruppe du arbeitest?
Jessica Schwarzer: Wenn es um Trends an den Märkten, Investitionsmöglichkeiten und Anlagestrategien geht, gibt es keinen Unterschied. Ein ETF auf den MSCI World ist für Männer genauso relevant wie für Frauen. Es gibt keine "rosa" oder "hellblaue" Aktien oder Fonds. Das Produkt bleibt dasselbe. Jedoch merkt man schon bei der Ansprache und in der Herangehensweise an Frauen in Seminaren und Podcasts, dass hier Unterschiede bestehen. Anfangs konnte ich das gar nicht wirklich glauben, da ich mich in der Männerwelt der Finanzen wohlgefühlt habe. Aber es ist tatsächlich so, dass Frauen anders investieren als Männer und auch anders an das Thema herangehen.
„Ich habe gezockt wie eine Verrückte“
Anissa Brinkhoff: Kannst du uns einige Beispiele nennen, wie du deine Herangehensweise geändert hast? Wo hast du gemerkt, dass ein Umdenken notwendig war?
1.200% Rendite in 20 Jahren?
Jessica Schwarzer: Ich habe bereits in Podcasts erzählt, wie ich zu Beginn meiner Börsenaktivitäten während der Zeit des Neuen Marktes agierte. Ich habe wie eine Verrückte gezockt und mich eher wie ein typisch männlicher Investor verhalten - höher, schneller, weiter. Auch in meinen Artikeln habe ich oft den Schwerpunkt auf Rendite gelegt. Natürlich ist es wichtig, dass unser Geld arbeitet und wächst, aber das ist eher eine männliche Herangehensweise. Frauen investieren strategischer und langfristiger, mit einer breiteren Risikostreuung. Das zeigt sich auch in den Depots von Fonds, Brokern und Online-Banken. Frauen halten mehr Fonds und ETFs, während Männer eher Einzelaktien mit höherem Risiko bevorzugen. Frauen ändern ihre Strategie seltener und tauschen Produkte weniger häufig aus.
Man merkt einfach deutlich, dass Männer und Frauen unterschiedliche Herangehensweisen haben. Es geht dabei um deine individuelle Lebenssituation, die finanzielle Situation, persönliche Ziele und den eigenen Risikotyp. Es stellt sich die Frage, wie viel Risiko man bereit ist, einzugehen. Und damit gehen Männer in der Regel anders um.
Anissa Brinkhoff: Welche Errungenschaft der letzten Jahre im Bereich Female Finance ist deiner Meinung nach die bedeutendste?
Jessica Schwarzer: Ich denke, dass wir einen großen Fortschritt gemacht haben, der auch außerhalb unserer Community spürbar ist. Es ist mittlerweile allgemein akzeptiert, dass man privat fürs Alter vorsorgen muss, und das gilt auch für Frauen. Doch nun geht es darum, tatsächlich aktiv zu werden, anzufangen und loszulegen. Was mich besonders freut, ist die wachsende Zahl von Frauen, die sich für Aktien interessieren. Persönlich bin ich ein großer Fan dieser Anlageklasse. Als passionierte Börsianerin kann ich sagen, dass Aktien langfristig die besten Renditen erzielen. Wichtig ist jedoch zu betonen, dass dies im Durchschnitt der Fall ist. Es gibt natürlich auch schlechte Aktien, aber es gibt ebenso großartige Aktien. Es ist großartig zu sehen, wie die Ängste vor Anlageklassen, die in Deutschland einen schlechten Ruf haben, allmählich verschwinden.
Anissa Brinkhoff: Wo siehst du den größten Bedarf an Verbesserung? Wo sollten wir uns dringend engagieren?
Jessica Schwarzer: Hier kommen wir wieder auf die deutsche Aktienkultur zu sprechen, die für Frauen noch wichtiger ist als für Männer. Gegenwärtig besitzen meiner Kenntnis nach nur etwa jeder sechste Deutsche Aktien, Aktienfonds oder ETFs. Davon sind ungefähr 2/3 Männer, was insgesamt knapp 13 Millionen Menschen entspricht. Wir Frauen müssen hier dringend aufholen! Wir verdienen weniger, zahlen weniger in das Rentensystem ein, sorgen weniger fürs Alter vor und bauen weniger Vermögen auf. Es ist an der Zeit, einen Gang höher zu schalten und mehr Tempo aufzunehmen.
Anissa Brinkhoff: Da bin ich ganz deiner Meinung. Frauen sollten nicht nur wie Männer investieren, sondern wir müssen uns auch mit der bestehenden Einkommenslücke auseinandersetzen. Häufig werde ich bei Diskussionsrunden, vor allem mit älteren männlichen Vertretern aus der Finanzbranche, gefragt, ob es nicht langsam genug Finanzinitiativen für Frauen gibt. Wie reagierst du auf diese Frage?
Jessica Schwarzer: Eine Gegenfrage: Wie lange haben wir diese rein männlichen Veranstaltungen ertragen müssen? Im Ernst, ich habe Seminare, Workshops und Vorträge gehalten. Ich war auch lange Zeit beim Handelsblatt tätig, habe moderiert und vieles mehr. Bei all diesen Veranstaltungen saßen mir immer nur Männer gegenüber. Ich habe nichts gegen Männer, ganz im Gegenteil, aber die Anzahl der Frauen war dort verschwindend gering. Die Warteschlange vor den Toiletten bei den Männern war lang, während es bei den Damen keine gab. Wir haben dies jahrzehntelang einfach hingenommen. Wieso sollten wir nun kritisiert werden, nur weil es Seminare speziell für Frauen gibt?
Über Geld spricht man besser doch!
Anissa Brinkhoff: Aber wie können wir Männer trotzdem einbeziehen? Schließlich funktioniert es auch bei diesem Thema nicht ohne sie.
Jessica Schwarzer: Hier stoßen wir auf ein großes Thema in Deutschland: Das Schweigen über Geld. Wir haben alle gelernt, dass man nicht darüber spricht - zumindest in irgendeiner Form. Bei mir wurde zu Hause zwar über Geldanlagen und Sparen gesprochen, aber wenn es darum ging, anderen zu erzählen, wie viel ich verdiene oder welches Honorar ich für einen bestimmten Auftrag erhalten habe, sagte meine Mutter immer: "Das erzählt man nicht so offen." Es ist an der Zeit, dass wir über Geld reden! Es ist wichtig, in Partnerschaften, mit guten Freunden und Freundinnen darüber zu sprechen. Am Ende spielt es keine Rolle, ob man männlich oder weiblich ist, sondern es geht darum, sich auszutauschen und voneinander zu lernen. Wenn wir auf die unterschiedlichen Anlagestrategien von Männern und Frauen schauen, können beide voneinander profitieren. Diejenigen, die von Testosteron gesteuert sind und nach Höherem, Schnellerem und Weiterem streben, können vielleicht von Frauen lernen, langfristig breit gestreut anzulegen. Auf der anderen Seite können Frauen von Männern lernen, dass es auch Chancen an den Märkten gibt, bei denen man etwas mehr Risiko eingehen kann und bei stärkeren Kursrückgängen mutig nachkauft, anstatt Angst zu bekommen. Indem wir uns austauschen, können wir uns gegenseitig unterstützen und weiterhelfen. Dies gilt sowohl für Frauen untereinander als auch für Männer untereinander und erst recht, wenn beide Geschlechter aufeinandertreffen.