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Aktualisiert am 30.06.2020 - 11:18 Uhrin Die Spezialisten für globale GeldanlageLesedauer: 5 Minuten
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Kapitalmarktstratege im Interview „Covid-19 wird zum Stresstest für Schwellenländer“

Manraj Sekhon, Kapitalmarktstratege bei der Fondsgesellschaft Franklin Templeton
Manraj Sekhon, Kapitalmarktstratege bei der Fondsgesellschaft Franklin Templeton | Foto: Franklin Templeton Investments

DAS INVESTMENT: Herr Sekhon, es ist bereits vier Monate her, dass Covid-19 die Schlagzeilen beherrscht. Wie geht es nun weiter?

Manraj Sekhon: Die Weltwirtschaft ist in einer allgemein guten Verfassung in diese neue Phase eingetreten. Bilanzen, Wachstum, Beschäftigungs- und Auftragsniveau sahen gut aus. Das trifft auch auf die Schwellenländer, bis auf wenige Ausreißer, zu.

Die Pandemie wird noch einige Monate anhalten. Der Höhepunkt könnte jedoch bereits überschritten sein. Impfstoffe sind wahrscheinlich jedoch frühestens erst ab dem Jahresende zu erwarten. Die Geld- und Fiskalpolitik engagiert sich sehr stark, um den Volkswirtschaften und den Menschen zu helfen, die Zeit bis zum Abebben der Pandemie zu überbrücken.

Wie reagieren die Schwellenländer im Vergleich zu den Industrieländern auf die Krise?

Sekhon: Das Interessante ist: Auch dem Westen, der mit gut ausgebauten Gesundheitssystemen, Innovationskraft und hohem Qualifikationsniveau glänzt, fällt die Bewältigung dieser Krise nicht leicht. Auch die Schwellenländer sind unterschiedlich gut gerüstet, um mit der Krise umzugehen. In Asien kommen hohe fiskalische Ausgaben ins Spiel, etwa in China, Taiwan und Hongkong.

In anderen Schwellenländern, wie Indien und Brasilien, nehmen die Regierungen eine vergleichsweise passive Haltung ein. Hier gibt es nicht den Rahmen für hohe Steuerausgaben. Ein kompletter Lockdown wäre hier mit erheblichen wirtschaftlichen Kosten verbunden. Daher warten diese Länder den weiteren Verlauf der Krise zunächst ab, bevor sie ihre fiskalischen Ausgaben gezielt einsetzen. Im Unterschied zu den Industrieländern haben Schwellenländer einen großen Vorteil: Ihre Realzinsen sind höher, so dass sie sowohl in der Geld- als auch in der Fiskalpolitik über viel mehr Spielraum als die entwickelten Länder verfügen.

Wie sieht es jetzt konkret in den Ländern Indien und Brasilien aus?

Sekhon: In Indien wurde eine rigide Ausgangssperre verhängt, die allerdings sicherlich in den nächsten Wochen wieder aufgehoben wird. Bald kommt der Monsun, die Menschen halten sich dann eher zuhause auf. Darüber hinaus muss in bestimmten Teilen Indiens demnächst die Ernte eingebracht werden, deshalb muss es Lockerungen geben. Sieht man sich die Infektionszahlen in Indien an, sind sie im Vergleich zum Westen niedrig. Tests, die landesweit durchgeführt werden, ergeben niedrige Infektionsraten.

Die Regierung hat die Geldpolitik etwas gelockert, auch im Hinblick auf die Finanzpolitik hat sie eine gewisse Lockerung eingeleitet; es bleibt daher noch einiger Spielraum. Obwohl die Lage in Indien derzeit recht gut unter Kontrolle ist, erwarten wir weitere politische Lockerungen in den kommenden Wochen und Monaten.

Und Brasilien?

Sekhon: Etwas anders stellt sich die Lage in Brasilien dar: Mit der im vergangenen Jahr erfolgten Umsetzung der Rentenreform ist die Ausgabenpolitik gestrafft worden. Die Haushaltslage ist also besser, und die Währungsreserven, die die brasilianische Regierung aufgebaut hat, kommen dem Haushalt in der Krise zugute. Die Volkswirtschaften leiden, doch sie sind aus historischer Sicht in einer besseren Verfassung als in früheren Krisen – es besteht daher Potenzial für weitere Lockerungsmaßnahmen.

Kehren wir noch einmal nach China zurück. Das Land ist Auslöser der Covid-19-Krise, wirkt jetzt aber – ironischerweise – wie ein sicherer Hafen…

Sekhon: China kann als Blaupause dafür gelten, wie es mit den Volkswirtschaften in den kommenden Monaten weltweit weitergehen kann, gerade auch in den Schwellenländern. Möglicherweise mit Einschränkungen: China ist sehr entschlossen mit dieser Krise umgegangen und relativ gut aus ihr herausgekommen.

Die Wirtschaftsaktivitäten liegen wieder bei rund 80 Prozent auf ihrem vor dem chinesischen Neujahrsfest erreichten Niveau. Peking lockert die Geld- und Steuerpolitik, geht dabei aber – nicht zuletzt wegen der bereits extrem hohen Verschuldung – äußerst behutsam vor. Besonders interessant beim Blick auf China: Die Regierung bringt klar zum Ausdruck, dass sie sich auf Arbeitsplätze und nicht auf Wachstum konzentrieren wird. Vor einigen Jahren sahen die Prioritäten noch anders aus. Der Gedanke liegt nahe, dass die Regierungsverantwortlichen einen längeren Krisenverlauf im globalen Rahmen erwarten.

Dennoch: Der enorme Nachholbedarf der chinesischen Wirtschaft dürfte sich in der zweiten Hälfte dieses Jahres in Wachstum niederschlagen. Was darüber hinaus verblüfft: Der Anteil Chinas am MSCI-Emerging-Markets-Index ist vor dem Hintergrund der Krise von rund 35 auf 41 Prozent gestiegen. Eine wirtschaftliche Aufwertung, die wahrscheinlich die wenigsten Menschen im Januar zum Beginn des Corona-Virusausbruchs erwartet hätten.

In der Vergangenheit hat es teils lange gedauert, bis die Schwellenmärkte sich an neue Konjunkturphasen anpassen konnten. Was ist diesmal zu erwarten?

Sekhon: Die Schwellenländer haben sich in den vergangenen Jahren einer Reihe von Reformen unterzogen; sei es in Bezug auf Geld- und Fiskalpolitik oder Marktreformen. Zugleich haben sie ihre wirtschaftliche Basis deutlich breiter aufgestellt. Die Länder sind in weit geringerem Umfang als früher export- und rohstofforientiert. Begierig nehmen ihre jungen Bevölkerungen die neuen Trends in der Weltwirtschaft auf – IT-Technologien und Digitalisierung, beispielsweise. Nach Jahrzehnten steigenden Wohlstands gibt es in den Schwellenländern jedoch auch immer mehr Ältere, die verstärkt Gesundheitsdienstleistungen nachfragen. Einige dieser langfristigen Trends in den aufstrebenden Märkten dürften sich noch weiter verstärken; in viel breiterem Maß als wir das in den entwickelten Ländern bislang sehen. Haben wir in den vergangenen fünf bis zehn Jahren erlebt, dass die Schwellenländer die entwickelten Märkte im Hinblick auf Technologiedurchdringung übersprungen haben, sind in den nächsten ein oder zwei Jahren, angetrieben durch die Krise, noch weitere Sprünge zu erwarten. Generell wirkt die Krise jedoch rund um die Welt als Katalysator für die Durchdringung des Wirtschaftslebens mit Technologie.

Oft wird jetzt davon gesprochen, dass die Globalisierung in den kommenden Jahren nachjustiert werden muss. Was wird sich Ihrer Meinung nach tatsächlich ändern?

Sekhon: Unternehmen und Verbraucher werden zukünftig wahrscheinlich bereit sein, für die Versorgungssicherheit bei wichtigen Gütern einen Aufschlag zu zahlen. Die Unternehmen werden versuchen, ihre Lieferketten zu diversifizieren, um ein Höchstmaß an Versorgungssicherheit gewährleisten zu können, und nicht nur darauf achten, wo sie am billigsten an die nötigen Vorprodukte kommen.

In diesem Zusammenhang wird auch Lokalisierung zu einem wichtigen Thema: In vielen Schlüsselindustrien dürfte es zu einer Lokalisierung anstelle einer Globalisierung der Produktion kommen. Wenn die Lieferketten neu aufgestellt werden, dürften die Schwellenländer nicht lange zögern und ebenfalls alles daransetzen, die eigene lokale Produktion zu befeuern – der steigende Binnenkonsum macht es möglich. So ist es nicht unwahrscheinlich, dass Südostasien, Indien und Mexiko aufgrund ihrer großen Binnenmärkte eine ganzheitliche Produktion aufbauen.

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