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Xi Jinping instrumentalisiert Putin als Minenhund (Interview)
Chinas Machthaber Xi Jinping besuchte vor Kurzem Wladimir Putin in Moskau. Will der chinesische Staatschef mit diesem Besuch seine Unterstützung für Russland demonstrieren, und damit indirekt auch für den Ukrainekrieg? Oder steckt mehr dahinter? Karl Pilny kennt sich wie kaum ein anderer auf dem asiatischen Kontinent aus. Jede Woche analysiert er in seinem Newsletter „Pilnys Asia Insights“ (hier kostenlos registrieren) die politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklung auf dem wichtigsten Kontinent der Welt.
Im Video-Interview mit Peter Ehlers, Herausgeber von DAS INVESTMENT, spricht Asien-Experte Karl Pilny über das aktuelle Verhältnis von Russland und China, das militärische Wettrüsten im indopazifischen Raum und Deutschlands Stand in der asiatischen Welt.
PETER EHLERS: Xi Jinping hat sich vor Kurzem lange in Moskau aufgehalten und sich dort mit Putin getroffen. Aus einer klassisch-westlichen Sicht wird das so gedeutet, dass sich beide miteinander verbünden. Aber so einfach ist das nicht. Du bist der Meinung, Xi nutzt diese Notsituation Russlands gnadenlos aus. Wie kommst du darauf?
Karl Pilny: Der Besuch ist auf jeden Fall ein starkes Signal an die Außenwelt. Und Xi Jinping versucht etwas sehr Chinesisches: das Sowohl-als-auch. In diesem erstaunlich langen, dreitägigen Staatsbesuch stecken viele Botschaften. Man darf nicht vergessen, kurz zuvor wurde der Haftbefehl für Putin ausgestellt. Das allein hat eine gewisse Signalwirkung. Putin brüstet sich auch damit, dass Xi Jinping dieser Haftbefehl nicht interessiert. Sehr bemerkenswert war auch die Gegen-Einladung für Putin. Nach außen hin wird diese unverbrüchliche, angeblich grenzenlose Freundschaft der beiden zementiert und fortgeschrieben.
Wird sie zementiert oder hat es nur nach außen den Anschein?
Pilny: Die Freundschaft wird nach außen zementiert. Intern gibt es ganz kleine Anzeichen, dass Xi Jinping versucht, sich ein Stück weit von Russland zu distanzieren. Nicht, weil er sich daran stoßen würde, dass Putin als Kriegsverbrecher gilt. Sondern weil Putin ganz klar auf der Verliererstraße ist. Er steht unter enormem Druck. Und nichts hassen die Chinesen mehr als mit Losern assoziiert zu werden.
Putin mag in Xi Jinpings Augen ein Loser sein, aber er bekommt von ihm günstig Rohstoffe und letztendlich verbindet die beiden eine gemeinsame Feindschaft.
Pilny: Man kann schon sagen, dass Xi Jinping Putin instrumentalisiert als eine Art Minenhund, der guckt, wo die Befindlichkeiten des Westens sind. Durch den Überfall zieht Xi eigene Rückschlüsse daraus, was mit einer Taiwan-Invasion passieren würde. Er kann testen, wie entschlossen der Westen ist, wie lange er eine einheitliche Front bildet. Das sind alles sehr wertvolle Informationen für Xi Jinping.

Du bist gut vernetzt mit vielen Größen aus Asien, also Militärattachés, Wirtschaftsattachés, mit Botschaftern. Wie schätzen die die Verbindung Chinas zu Russland ein in Bezug auf die Ukraine? Wie bewerten sie diese komplexe Situation?
Pilny: Die bewerten das differenziert. Im Westen wird das oft schwarz-weiß gemalt. Aber gerade in Asien und in der sogenannten blockfreien Welt, dem globalen Süden, ist die Sache bei Weitem nicht so schwarz-weiß, wie wir sie im Westen sehen. Man muss sich nur die Ergebnisse der UN-Vollversammlungen und deren Abstimmungen anschauen. Vor allem Europa und die USA kooperieren sehr eng.
Aber man darf eines nicht vergessen: China hatte und hat noch immer eine starke Vorbildwirkung und Attraktivität für Staaten in Afrika und der blockfreien Welt. Eben weil China den dritten Weg geht, also Kapitalismus und Sozialismus kombiniert und auch wirtschaftlich erfolgreich scheint. Und deswegen ist es auch wichtig für China, Flagge zu zeigen und Pluspunkte zu sammeln in der blockfreien Welt.
Was bedeutet das auf wirtschaftlicher Ebene für uns in Europa? Werden wir als kleiner Bruder der USA gesehen, mit dem man ungern spielt? Oder wird es von den Asiaten und speziell von den Chinesen so gesehen, dass es zwar Konflikte auf der militärischen und der politischen Ebene gibt, man auf der wirtschaftlichen Ebene aber nach wie vor aufeinander angewiesen ist?
Pilny: Man muss das streng trennen. Wirtschaftlich ist China viel enger verflochten mit Europa und dem Westen als etwa Russland. Deswegen kann China auch nicht so hart agieren wie Russland, weil die Abhängigkeiten größer sind. Auch in gewissen Technologiebereichen braucht China ganz klar noch den Westen. Wir sehen die schlimmen Konsequenzen in der Halbleiter-Branche, durch die jetzt doch sehr offensiv aufdrehende amerikanische Politik. Die Folgen sind spürbar. China und auch viele andere asiatische Länder haben ein starkes Interesse daran, wirtschaftliche Beziehungen nicht nur aufrechtzuerhalten, sondern weiterhin davon zu profitieren.
Das sogenannte Decoupling, was Teil der Politik Chinas ist, bezieht sich vor allem auf die USA. Da hat Xi Jinping die Zwei-Kreislauf-Theorie entwickelt, die den Fokus mehr auf den Binnenmarkt rückt und das Ziel hat, in den anderen Bereichen autark zu werden. Das geht aber nicht so schnell.
Insofern wäre es eine Chance für Europa, den Dialog weiter aufrechtzuerhalten, aber mit Augenmaß. Es wird jetzt viel über China plus One gesprochen, also dass man sich zu abhängig gemacht hat von China. Wir kennen das China-Syndrom, ein Drittel der Dax-Konzerne macht ein Drittel der weltweiten Gewinne und Umsätze mit dem Reich der Mitte. Und natürlich wird China in vielen Branchen, auch in der Chemie- und in der Pharmabranche, eine große zentrale Rolle spielen. Als Produktionsstandort, wenn auch nicht mehr so stark wie früher, aber auch als Absatzmarkt und als Forschungs-Standort. Doch es gilt zu diversifizieren und die Abhängigkeit zu reduzieren. Davon profitieren natürlich Länder in Südostasien wie Vietnam.

Aber im Großen und Ganzen hat China und haben die Asiaten eine sehr differenzierte Wahrnehmung von Europa. Die können die Ebenen durchaus voneinander trennen. Und genau deswegen sollten wir das auch tun, also das Sowohl-als-auch praktizieren und nicht das Kind mit dem Bade ausschütten. Das bedeutet konkret: Gerade weil Xi Jinping drei Tage auf Staatsbesuch in Russland war und nach außen hin eine unverbrüchliche Freundschaft signalisiert, intern aber subtile Nachrichten schickt, dass er sich ein Stück weit distanziert von Putin, ist das für uns auch eine Chance, den Dialog nicht nur nicht abreißen zu lassen, sondern fortzuführen. Da können wir zum Beispiel auch viel von Japan lernen.
Wir haben derzeit eine moralisierende Politik. Gerade von Seiten der Grünen heißt es, wir wollen unsere Werte-Welt nach außen tragen. Ist das schlau, macht man sich damit nicht Beziehungen kaputt? Wie schätzen die Experten, die starke Kontakte und Einblicke in Asien haben, die deutsche Außen- und Wirtschafts-Politik ein?
Pilny: Die sehen das schon kritisch. Die sogenannte wertegeleitete Außenpolitik kommt moralisch überhöht daher, und das mögen Asiaten nicht. Denn seit einigen Jahrzehnten wächst das Selbstbewusstsein in Asien. Ich habe schon vor 20, 30 Jahren in Vorträgen gesagt: Die dulden nicht länger, dass der Schwanz mit dem Hund wedelt. Die Jahre der europäischen Hegemonie waren eine historische Anomalie.
Fünf Achtel der Weltbevölkerung leben in Asien.
Pilny: So ist es. Und mit Blick auf die letzten 3000 Jahre sind halt nur die letzten 160 Jahre seit den Opium-Kriegen schlecht gelaufen. Das ist die historische Anomalie, die es jetzt zu korrigieren gilt. Das ist diese tektonische Plattenverschiebung. Das globale Epizentrum geht dahin zurück, wo es für viele Jahrhunderte war: nach Asien. Aber Asien ist natürlich mehr als nur ein Land. Es ist flächenmäßig der größte und bevölkerungsreichste Kontinent der Welt. Wir haben zwei, drei Dutzend unterschiedlicher Länder mit unterschiedlichen wirtschaftlichen Systemen, kulturellen Prägungen.
Ich wollte noch einmal auf das Verhältnis von China oder Asien zu Europa und auch zu Deutschland zurückkommen. Verbrennen wir uns mit unserer Moral-Politik wichtige Kontakte oder sehen die Chinesen das strategisch als temporäre Geschichte? So nach dem Motto: Da kommt irgendwann schon eine andere Regierung, die nicht mehr mit der Moralkeule kommt.
Pilny: Chinesen sind sehr pragmatisch und strategisch. Die können damit durchaus umgehen und werden wie gesagt immer selbstbewusster. Sie verwahren sich gegen diesen universalistischen Anspruch, nehmen das zur Kenntnis und versuchen damit umzugehen. Und das sollten wir eigentlich auch tun.
Jetzt haben wir noch das Verhältnis USA, Europa und Deutschland. Differenzieren die Chinesen oder sind wir für die ein einziger Westblock? Also sagen die Chinesen, die USA und Europa hängen zusammen, und das ist der Feind oder wird Europa nochmal anders betrachtet?
Pilny: Letzteres. Die USA sind der Hauptgegner der Chinesen. Die Rhetorik hat sich stark verschärft in den letzten zwei Jahren, Tendenz steigend. Aber Europa wird völlig zurecht als sehr heterogen bezeichnet und betrachtet. Und wir sehen ja, wie geschickt die Chinesen die einzelnen europäischen Länder gegeneinander ausspielen. Bei diesem 17 + 3 Format “One Road One Belt” werden französische Interessen mit deutschen ausgespielt. Die Chinesen sind sehr gut aufgestellt für eine multipolare Welt, weil sie diese unterschiedlichen Standpunkte kennen, nutzen und gegeneinander ausspielen. Und in der Tat würden die Chinesen natürlich versuchen, Europa weiterhin zu nutzen als Lieferant von Technologie, als Absatzmarkt - solange man noch etwas davon lernen kann. Die werfen nicht ohne weiteres die USA und Europa in einen Topf.
China hat eine Schrumpfung der Bevölkerung, die Gesellschaft vergreist. Indien dagegen ist eine sehr junge Gesellschaft, im Bevölkerungswachstum haben sie China bereits überholt. Nichtsdestotrotz gilt China als eine Militärmacht, die weiter ausbaut. Gerade im Bereich der Marine. Das Militärbudget wurde um 7,2% erhöht. Das klingt erst mal viel, ist aber für ein Land wie China, das gewisse machtpolitische Ansprüche hat, keine bedrohliche Zahl, oder?
Pilny: Es ist nicht die höchste Zahl. Es gab schon Jahre, in denen das Budget um zweistellige Zahlen erhöht wurde. In den absoluten Zahlen sind sie natürlich immer noch weit hinter den USA. Gleichwohl hat Xi Jinping auf dem nationalen Volkskongress betont, er möchte eine "Mauer aus Stahl" formen. Er möchte das modernste Militär haben, was es gibt. Und da gibt es natürlich noch viele Baustellen. Flugzeugträgerverbände und eine Marineinfanterie muss aufgebaut werden.
Wären Sie damit in der Lage Taiwan einzunehmen, wenn die USA das verhindern wollen?
Pilny: Das könnte schwierig werden. Eine Invasion würde sicherlich mit einer Seeblockade beginnen müssen und dafür reichen die Kräfte wohl nicht ganz aus, deswegen hat Xi Jinping noch mal richtig Gas gegeben. Aber es ist vollkommen richtig, dass das kein monolithischer Block ist. Auf dem Papier haben die 2.000.000 Mann unter Waffen, aber die Qualität ist nicht immer gleichbleibend. Mit anderen Worten: Was die Demografie betrifft könnte sich noch ein großes Problem ergeben. Das sind natürlich noch die Auswirkungen der Ein-Kind-Politik. Die Demografie ist eine Herausforderung.
China hat 1,4 Milliarden Menschen, Indien 1,42 Milliarden. Japan hat 140 Millionen, also ein Zehntel von China. Aber nochmal zurück zu China als Weltmacht. Selbst im Silicon Valley geht man davon aus, dass China in Sachen Künstlicher Intelligenz im Jahr 2025 die USA überholt hat und nicht mehr einholbar ist. Wir sehen eine zurückgehende, überalternde Bevölkerung. Wir sehen klare Militärausgaben. Dann sehen wir China als Land, das auch wirtschaftspolitische Interessen hat. Auf was können wir uns in puncto China in den nächsten 10 Jahren einstellen, vor allem wirtschaftlich? Werden sie mehr Kontakt zu uns suchen, werden sie uns mehr abkoppeln, werden sie uns mehr aussaugen und dann fallen lassen? Wo stehen wir in den Augen von China als Deutschland?
Pilny: Es wird auf jeden Fall ohne Zweifel weiter voranschreiten, dass China in immer mehr Bereichen wissenschaftlich die Führung übernimmt. Es gibt eine interessante Studie von einem australischen Strategy Institute, dass bei 44 Schlüsselindustrien der modernen Welt China schon in 37 Bereichen weltweit führend ist. Tendenz steigend. Das einzige, dass China jetzt ein bisschen in die Quere kommt, ist diese Abschottungspolitik, denn fraglich ist, ob sie das Innovationslevel aufrechterhalten können, wenn sie sich zu stark vom Ausland abschotten. Zumal ja viele Forschungskooperationen in die Kritik geraten sind, weil sie indirekt auch für militärische Zwecke benutzt werden.
Trotzdem glaube ich, dass das Innovationspotenzial in China gewaltig ist. Man denke nur an die Menge an Daten, das Öl des neuen Zeitalters. Und den Vorsprung, den sie immer mehr ausbauen in Künstlicher Intelligenz, der Elektrizität des Neuen Zeitalters. Das legt nahe, dass im wahrsten Sinne des Wortes Quantensprünge erfolgen könnten in diesen Bereichen, und das wird sicherlich weitergehen.
Deswegen ist eine Beschäftigung und der Austausch mit China und Asien in Bezug auf Forschung und Entwicklung sehr wichtig. Denn viele Menschen unterschätzen, dass die Qualität des Wachstums massiv gestiegen ist. Damit meine ich nicht nur die Zahl der Patentanmeldungen, China ist schon jetzt der größte Patentanmelder der Welt. Gerade in den Zukunftsbereichen werden immer mehr wichtige Patente aus Asien angemeldet und das muss man in Europa auf jeden Fall auf der Rechnung haben.
Wo ordnet China uns ein - sind wir der kleine naive Partner, der sich mit Umverteilungspolitik beschäftigt und dessen Innovationskraft nachlässt? Noch ist die Produktivität in Deutschland sehr hoch, aber wir sind inzwischen relativ weich geworden. Es fehlt uns der Wille und die Kraft, weil es uns gut geht. Bequemlichkeit hat Einzug erhalten. Denkt China, Deutschland hat Kraft und wird immer stark bleiben und wird sich auch in Europa als Hegemonialmacht mehr hervortun, oder wie schätzen die uns ein?
Pilny: Also man kann vorausschicken: Die Vorbildwirkung des Westens im Allgemeinen und Deutschland im Besonderen hat laufend abgenommen in den letzten Jahren. Und das wird auch weiter so gehen. Und wie du es gerade charakterisiert hast, so wird Deutschland auch in China wahrgenommen. Man glaubt hinter vorgehaltener Hand, dass sich Deutschland ein Stück weit ins Knie schießt.
Für China wäre es durchaus wünschenswert, dass Deutschland in Europa eine stärkere Rolle spielt. Weil innerhalb Europas Deutschland der Lieblings-Partner der Chinesen war und ist. Es existiert ein gewisser Bonus, weil diese lange koloniale Vergangenheit der Franzosen und der Engländer fehlt. Außerdem zählen die deutschen Tugenden. Made in Germany hat immer noch großes Gewicht in Asien und auch China. Es nimmt allerdings ab. Aber noch haben wir ein Pfund, mit dem wir wuchern können, und das sollten wir auch tun.
Wir können dank der Seidenstraße heutzutage mit einem Zug in Duisburg einsteigen und in der Mitte Chinas wieder aussteigen. China rechnet mit Europa, da steckt eine gewisse Erwartungshaltung hinter. Wie sieht die denn Beziehung zu Europa aus der Sicht von China aus?
Pilny: Die Seidenstraße ist ein wichtiges globales Projekt. Und es ist ein globales, strategisches Projekt von den Chinesen. Die Vision ist eine bestens vernetzte, eurasische Landplatte. Wo China wirtschaftlich und auch politisch einen gewissen Einfluss indirekt geltend machen kann.
Du hast das mal als Sickerpolitik bezeichnet. Die Chinesen kommen nicht mehr mit ihren Soldaten, sondern mit ihren Menschen. Das heißt, sie gehen in die Länder, vermehren sich, es kommt die Verwandtschaft hinterher und dann sind sie an wichtigen Schaltstellen. Erst gehört ihnen der Kiosk, dann die Spedition und dann geht es immer so weiter. Sie sickern gewissermaßen in eine Gesellschaft ein. Das haben sie in den russischen Randbereichen getan, da nehmen sie als Bevölkerungsgruppe letztendlich ganz Städte ein.
Pilny: Vor allem in Sibirien. Dort geht es um die gemeinsame Landgrenze zwischen Russland und China, wo es auch viele Rohstoffquellen gibt. Da stehen auf russischer Seite 20.000.000 Russen, die in der Tat mit 51 oder 52 dahinscheiden, die Chinesen leben dagegen länger und sind auch deutlich mehr. Die sind da schon längst eingesickert. Das ist eine sehr strategische, chinesische Art der Vorgehensweise, den Einfluss geltend zu machen, und zwar auf indirekte Art und Weise. Damit meine ich zum Beispiel auch Standardisierung, etwa technische Standards zu setzen. Ökosysteme zu schaffen. Oder IT-Strukturen entlang der Industrieparks bei der Seidenstraße. Das ist eine sehr umfassende Ausübung von Einfluss.
Aber muss man damit rechnen, dass die das auch in Europa machen?
Pilny: Ja, natürlich. Man sieht das sehr schön im Zuge dieser “One Road One Belt”-Thematik, das eben Häfen ausgebaut werden wie Triest oder Piräus. Sie sind sehr aktiv auf dem Balkan, in Serbien. Es werden Schnellstraßen gebaut. Asiaten denken sehr vernetzt. Und diese geopolitische Einflussnahme ist in vollem Schwange. Es gilt einmal mehr, dass weder zu dämonisieren noch zu idealisieren. Man muss einfach nur hingucken und sich ein Stück weit unabhängig davon machen.
Sicherlich wäre auch eine eigene Strategie hilfreich.
Pilny: Das ist das Hauptproblem. Es gibt ja viele Politiker, die mittlerweile den Satz adaptiert haben "Das Problem ist nicht, dass die Chinesen so einen bösen, genialen Plan haben. Das Problem ist, dass wir gar keinen Plan haben.”
Lass uns auf das Verhältnis Deutschland und Japan schauen. Die Bundesregierung mit Kanzler Olaf Scholz, Wirtschaftsminister Habeck und der Rest einer ganzen Delegation haben Tokio besucht. Dort hat man einen U-Boot-Deal abgeschlossen. Deutschland und Japan, das ist natürlich keine sehr schöne Assoziation, aber nichtsdestotrotz in der heutigen Welt ist das vielleicht pragmatisch gesehen gar nicht so verkehrt. Letztendlich macht Deutschland jetzt mit dem relativ kleinen Japan einen U-Boot-Deal, das heißt letztendlich einen Technologieaustausch. Sind die USA da auch eingebunden?
Pilny: Die haben einen anderen Deal mit Japan, mit Australien und Neuseeland. Da geht es um Atom-U-Boote. Da wurden die Franzosen rausgekickt und jetzt hat eben Australien Zugang zu Nukleartechnologie. Und Japan eben auch.
Bedeutet dieser Deal, dass Deutschland sich mit Japan verbündet? Akzeptiert China das? Ist die Hoffnung, dass da mehr entsteht, oder wie würdest du so eine Verbindung strategisch einordnen?
Pilny: Dazu hatte ich einen Newsletter geschrieben: Zeitenwende in Japan. Denn es ist eine doppelte Zeitenwende. Zum einen die Zinswende mit Ueda, in Japan gibt es jetzt einen neuen Notenbank-Gouverneur, der die die Null-Zins-Politik langsam aufweichen wird. Das wird auf den Anleihemärkten große Konsequenzen haben. Und natürlich die Wiederaufrüstung in Japan, die im Dezember beschlossen wurde. Denn die Bedrohung durch Nordkorea und China wird immer stärker wahrgenommen. Und auch durch Russland. Es gab und gibt ja gemeinsame Manöver.

Die Japaner waren das erste asiatische Land überhaupt, das zum Westen aufgeschlossen hat. Und zwar in Rekordzeit: In gerade einmal 30 Jahren. Deswegen ist die Situation besonders besorgniserregend, es gab eben vor Kurzem gemeinsam Manöver der chinesischen und russischen Marine in der Straße von Korea, also vor der Haustür Japans. Es droht also von allen Seiten Ungemach und deshalb haben die Japaner diesen historischen Schritt gemacht und eine rasche Wiederaufrüstung beschlossen. Und im Zuge dessen ist es natürlich für Deutschland auch interessant, weil Deutschland sehr gute U-Boot-Technologie hat, was gewisse Antriebsformen betrifft. Die Japaner ebenso. Und da gibt es eben eine verstärkte Zusammenarbeit als direkte Frucht dieses Besuchs von Kanzler Scholz.
Ist das aus deutscher Sicht so, dass wir Technologie liefern, also ein rein wirtschaftlicher Aspekt? Oder wird das von den Chinesen und Russen als politischer Akt gewertet?
Pilny: Natürlich, das ist ja auch der Sinn der Sache. Man möchte ein Signal setzen. Letztes Jahr sind schon deutsche Eurofighter in der Region geflogen und die “Bayern"-Fregatte ist auch bei Singapur und Japan gefahren. Es geht darum, auch in der Region Präsenz zu zeigen, dass dahinter liegende Prinzip heißt Eindämmung. Eindämmung von China. Containing China. Und deswegen wird hier das Indopazifik-Framework als Gegengewicht zu “One Road One Belt” aufgebaut.
Und die USA sind natürlich ganz stark am Schieben und fordern eine Allianz der Demokratien, also von Indien, Japan und anderen Ländern dort, um ein Gegengewicht zu bilden. Und deswegen hat diese Vereinbarung der Kooperation natürlich Signalwirkung als geopolitische Signal und auch wirtschaftlich ist es interessant. Und um auf deine Frage nochmal einzugehen: Japan darf man nicht unterschätzen und auch nicht verfrüht abschreiben. Ich habe viele Jahre dort gelebt und gearbeitet. Natürlich war der Höhepunkt in den Neunzigern überschritten, aber japanische Unternehmen haben ihre Hausaufgaben gemacht. Sie haben nach wie vor sehr gute Technologien und es ist eine sehr reife und tiefe Volkswirtschaft mit großem Potenzial, die jetzt immer mehr aus dem Schatten von China heraustritt und versucht, gegenzusteuern. Gerade auch in Südostasien und in der Umgebung von China und Japan.
Wir haben die konfuzianischen Staaten, dazu zählen China, Japan, Vietnam, natürlich Taiwan und Korea. Diese Länder haben ein Interesse, mit Europa zusammenzuarbeiten. Betrachten wir nun noch Indien. Das Land wird bedroht von China, auf der anderen Seite steht Pakistan als Erzfeind. Japan rüstet auf und will sich gegen China stellen. Wir haben Indien, die auch gegen China stehen. Wir haben den Westen, der letztendlich als Block im Zweifel mit Japan kooperiert. Indien bekommt Waffen aus Russland und legt sich deshalb nicht mit dem Land an. Gibt es da eine übergeordnete Strategie? Orientiert sich Indien Richtung Westen oder gehen die in Richtung der armen Länder und versuchen eine vierte Macht aufzubauen neben Russland, China und den USA?
Pilny: Jeder versucht Indien einzubinden. Momentan ist Indien Everybody's Darling, gerade vor dem Hintergrund von Containing China. Die USA versuchen ganz offensiv, Indien durch das indopazifische Narrativ an sich zu binden. Aber in der Tat versucht Indien manövrierfähig zu bleiben. Die haben den Import von russischem Gas und Öl verdreihundertfacht in den letzten 12 Monaten. Schon in den 50er und 60er Jahren war Russland für Indien der Hauptwaffenlieferant.
Also kann man sagen, dass Indien Russland genau wie Xi Jinping jetzt ausnutzt?
Pilny: Genau. Man versucht sich gegenseitig zu umzingeln und einzudämmen. China hat 16 Nachbarstaaten, also 16 gemeinsame Grenzen, und wird von allen Seiten umzingelt. Und Xi Jinping hat vor wenigen Tagen zum ersten Mal von der Politik der Eindämmung und Umzingelung der USA gesprochen, das hat er früher nie gesagt. Das ist die chinesische Sicht. Das Tragikomische ist, dass Indien genau das Gleiche sagt. Auch nicht zu Unrecht.
Denn durch diese enge Verbindung mit Pakistan, diesem Economic Corridor, der sozusagen eine direkte Landverbindung von China bis zum Arabischen Golf ermöglicht, sind die Chinesen direkt an der Grenze zu Indien. Aus indischer Sicht stellt sich das genauso dar und deswegen versucht jeder mehrgleisig zu fahren. Jeder versucht, in verschiedenen Organisationen mitzumischen.
Indien hat für ein Jahr den G20-Vorsitz und Modi dreht richtig auf, ruft sich selber zum Führer des globalen Südens aus. Jeder versucht Einfluss zu nehmen und in multilateralen Abkommen eine Rolle zu spielen. Aber das darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Globalisierung ein stückweit zurückgedreht wird, weil immer mehr bilaterale Freihandelsabkommen passieren. Bei der EU liegt zum Beispiel seit Jahren ein Freihandelsabkommen mit Indien auf dem Schreibtisch, ohne dass es umgesetzt wurde. Und da kommt jetzt richtig Zug dahinter. Das heißt, jeder dieser Player, wir haben hier wirklich eine multipolare Welt, versucht, das Beste für sich herauszuholen und mit möglichst vielen Partnern möglichst viele Arrangements zu treffen. Deswegen wird es langsam ein bisschen unübersichtlich.
Würdest du es so einschätzen, dass Europa und vielleicht Deutschland anfangen, strategisch zu denken? Und wenn wir diese ganzen Verhältnismäßigkeiten sehen und wir hier wirklich von Waffen, von Militärausgaben und von Kriegen sprechen, die potenziell im Raum stehen: Wie würdest du das gewichten, ist da eine Ebene der Vernunft, die Wirtschaft noch als wichtiger als einen Krieg einordnet?
Pilny: Es scheint schon so zu sein, dass durch diesen Krieg in der Ukraine Europa ein Stück weit zusammenrückt und zusammengeschweißt wird. Man darf nicht unterschätzen, was das mittelfristig für Auswirkungen hat, denn es wird auf Kriegswirtschaft umgestellt. Es geht um die Produktion von Schießpulver, von Munition, von Waffen. Das sind große Weichenstellungen, die auch in den USA stattfinden, in Russland, in Europa und auch in Asien. Das kann man nicht mehr so schnell zurückdrehen.
Ist Putin, und das ist vielleicht das einzig Gute an diesem blöden Angriffskrieg, nicht ein Beispiel dafür, dass wenn ich einen Angriffskrieg führe, das Risiko eingehe, mich zu isolieren? Mich in eine Abhängigkeit zu bringen und damit am Ende auch manövrierunfähig zu werden? Schließlich braucht Putin Indien und China.
Pilny: Dass sich Putin als böser Außenseiter sozusagen kenntlich gemacht hat und nun in der Ecke steht, das wäre der Wunschzustand. Das tut er aber nicht. Wir haben da wirklich sehr stark die eurozentrische Brille. Viele Länder in den blockfreien Gegenden finden das zum Teil interessant, egal ob im Mittleren Osten, in Afrika oder sogar Lateinamerika. Putin ist leider nicht so isoliert, wie wir es gerne hätten. Im Gegenteil.
Ich lehne mich jetzt ein bisschen aus dem Fenster: Es wirft sogar eher einen Scheinwerfer auf die Entwicklung, dass die Bedeutung vom klassischen Westeuropa weiter erodiert. Denn trotz eines glasklaren, wirklich verbrecherischen Angriffskrieges gibt es immer noch viele Länder, die dealen und ihren Profit damit machen. Da muss man noch nicht einmal nach Indien gehen, auch die Mittelmacht Türkei hat sich als Drehscheibe etabliert. Die profitiert maximal vom Ukrainekrieg. Klar ist, dass die Achse des Bösen liefert, was sie hat, ob Pakistan, Nordkorea und so weiter.

Putin hat sich nicht isoliert, aber zumindest selbst so in die Enge getrieben, dass er nicht mehr manövrierfähig ist. Er hat nicht mehr viele Optionen: Es gibt Indien und China. Vom Westen hat er sich entkoppelt, dabei war das für ihn die größte Chance, sich zu entwickeln. Und eine wichtige Karte gegen China. Er hat sich im Prinzip strategisch selbst in die Ecke gestellt.
Pilny: Nein, das ist nicht so und in Asien sehen sie das auch gar nicht so. Im Gegenteil. Es könnte die Hinwendung Russlands nach Asien noch beschleunigen. Es gibt doch seit Jahrzehnten die Diskussion: Ist Russland eine europäische Macht, obwohl nur ein kleiner Teil in Europa ist oder ist es eine asiatische Macht? Putin hat sich, weil er ja angeblich abgesnobt wurde vom Westen, eben dem Osten zugewandt, und das wird jetzt massiv beschleunigt.
Und es geht eben nicht nur um Indien und China, es geht auch um Korea, es geht um die ganze Region und alles das, was er nicht mehr von uns bekommt. Es wird substituiert durch die Geschichte Asiens. Es könnte wirklich eine endgültige Hinwendung Russlands zu Asien bedeuten, es wird ja auch immer stärker reingesaugt in diese Wiederherstellung der Seidenstraße.
Aber als strategischer Partner oder am Ende als dummer, kleine Junge, der Mal kurz abgeschöpft wird? Was hat man davon, wenn die Rohstoffe alle eingetütet sind?
Pilny: Man hat zunehmend Absatzmärkte, zum Beispiel die Automobilindustrie. Die westlichen Unternehmen, die aus Russland sind, wurden ersetzt durch chinesische Unternehmen. Man sieht im Straßenbild jetzt auch chinesische Autos. Das ist eine ganz symbiotische Beziehung. Russland ist ganz klar die Tankstelle und ein immer wichtiger werdender Absatzmarkt für viele asiatische Länder, also das führt wirklich zu einer Art Umdrehung der geopolitischen Lage.
Haben wir diese Märkte verloren? Oder ist da auch wieder die Sowohl-als-auch-Politik, dass wir am Ende indirekt mit Russland wieder ins Geschäft kommen, weil wir mit Asien Geschäfte machen?
Pilny: Das sollte man vermeiden. Aber das wäre die Konsequenz, dass man versuchen muss, mehrgleisig zu fahren. Wir haben es ja ohnehin schon mit China, aber auch Russland zu tun. Afrika ist natürlich wichtig, wegen der Rohstoffe und als Absatzmarkt. Aber überall da, wo wir hinwollen, sind im Zweifel schon die Russen und die Chinesen. Und dadurch, dass sie jetzt den Schulterschluss gesucht haben, sind sie natürlich noch effizienter. Deutschland ist weiter sehr stark exportabhängig, darauf beruht unser Wohlstand.
Da müssen wir dringend nachbessern, und es gibt sehr viele Möglichkeiten. Es gibt viele rohstoffreiche Länder wie die Mongolei oder Kasachstan, die zerquetscht werden zwischen China und Russland und die verzweifelt versuchen, einen stärkeren Anschluss an Europa zu finden. Ebenso Aserbaidschan und die Kaukasus-Region. Da könnten wir viel strategischer agieren und versuchen, denen eine Art Lifeline zuzuwerfen, dass sie nicht zermalmt werden zwischen China und Russland.
Das sind alles strategische Spielchen. Bleiben die auf einer wirtschaftlichen Ebene mit einer parallelen Militäraufrüstung, oder werden wir in Zukunft eine Welt erleben, die sowohl wirtschaftlich, strategisch als auch militärstrategisch agiert?
Pilny: Natürlich, das geht Hand in Hand. Das ist nicht voneinander zu trennen.
Wir werden auch Kriege erleben im asiatischen Raum?
Pilny: Möglicherweise. Es gibt ja einige, die schon seit Jahren sagen, die Situation sei vergleichbar zum Sommer von 1914. Und ich möchte nochmal hervorheben: Die Zeitenwende, die jetzt in Japan gekommen ist, die wird massive Auswirkungen haben. Und das wird alles noch beschleunigt: In einem meiner letzten Newsletter habe ich geschrieben, dass China eine riesige Lieferung an Uran aus Russland bekommen hat. Dadurch werden sie die Schnellbrütertechnologie ganz weit nach vorne bringen.
Warum? Sie haben gerade mal 350 Nuklearsprengköpfe im Vergleich zu 6000+ der beiden. Die werden also innerhalb der nächsten 24 Monate wahrscheinlich vier- bis fünfmal so viele Atomsprengköpfe haben durch dieses russische Uran. Korea und Japan sehen das mit Sorge. Japan hat sehr viel Plutonium und Uran von ihren 54 Atomkraftwerken. Wenn die jetzt richtig in Wallungen kommen und auch starke Atom-Aufrüstungsprogramme auflegen, hast du in 2, 3 Jahren eine massive, sprunghafte Vermehrung der nuklearen Aufrüstung in diesem Brennpunkt Ostasien.
Das darf man nicht unterschätzen, im Radius von 3 Flugstunden hat man dann 6 Atommächte, es gibt jetzt schon Pakistan, Indien, Russland, China, demnächst vielleicht auch Südkorea, Nordkorea, Japan. Das ist die Ausgangslage. Und wir haben einen Riesenberg an unbewältigter Vergangenheit zwischen Japan, Korea und China. Es gab zwar jetzt gewisse Fortschritte oder Verbesserungen, aber es gibt unbewältigte Vergangenheit aus der Vergangenheit. Es gibt aktuelle Rivalitäten und womöglich künftige massive Auseinandersetzungen. Das wird alles sehr angespannt, das ist fast kritischer einzuschätzen als in Europa.
Um ein positives Schlusswort finden: Wie ist deine Einschätzung der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Europa und speziell Deutschland zu Asien, wird es besser, wird es schlechter?
Pilny: Es wird besser, es muss besser werden. Das asiatische Jahrhundert ist in vollem Schwange und es bietet nach wie vor enorme Chancen und jeder, der als Investor, als Unternehmer oder Unternehmen dabei sein will, muss sich mit der Region beschäftigen und dort engagieren. Da führt überhaupt kein Weg daran vorbei. Es gibt auch sehr viele Chancen und Möglichkeiten.