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KI im Asset Management: Revolution der Finanzwelt?

Das Portfolio von einem Roboter erstellen lassen? Für die meisten Investoren ein alter Hut. Denn bereits vor knapp zehn Jahren etablierten sich Robo-Advisor in der Finanzbranche. Derzeit nutzen über 2,7 Millionen Deutsche die digitalen Anlagehelfer. Dabei überzeugen die Programme überwiegend durch eine einfache Handhabe und erstellen Investoren in kürzester Zeit ein passendes Portfolio.
Was die simplen Roboter jedoch nicht können: Maschinelles Lernen (ML) und damit aus ihren Erfahrungen Wissen generieren und dieses für künftige Entscheidungen nutzen. Eine Industrie, die jüngst durch das US-amerikanische Unternehmen Open AI ordentlich Auftrieb bekam. Der von ihm entwickelte Chatbot Chat GPT beantwortet blitzschnell komplexe Fragen, erstellt Texte und erklärt Sachverhalte. Technologiefans schwärmen von den beinahe grenzenlosen Anwendungsmöglichkeiten der Künstlichen Intelligenz (KI).

Eine Bewegung, die auch vor der Finanzwelt nicht haltmacht: „Auch wenn viele es nicht gerne hören: Wir sind im informationsverarbeitenden Gewerbe, und künstliche Intelligenz kann da nur helfen“, so Günter Jäger, Geschäftsführer von Plexus Investments und Veranstalter der KI-Konferenz „Artificial Intelligence in the Financial Sector“. Dabei ist Jäger überzeugt: „Die Verwendung von künstlicher Intelligenz ist der nächste große Schritt in unserer Branche.“
Eine Annahme, die besonders das quantitative Asset Management betreffen dürfte. „Quantitative Asset Manager haben im Grunde zwei Aufgaben: Sie müssen Prognosen für die Zukunft herleiten und danach ein Verfahren entwickeln, um diese Prognosen in ein Portfolio zu übersetzen“, erklärt Andreas Sauer von Ansa Capital Management. Dabei könne ein datengetriebener Ansatz durchaus helfen – und Daten gebe es durch die Digitalisierung des menschlichen Alltags in Hülle und Fülle.
Dennoch ist Sauer der Meinung: „KI wird den Beruf des Vermögensverwalters verändern, aber nicht so, dass wir morgen revolutionäre Vorhersagen treffen.“
Der Grund: Der Finanzbereich sei anders als andere Branchen. Dort gälten nicht die gleichen Regeln für maschinelles Lernen wie beispielsweise bei sprachbasierten Berufen oder in der Medizin.

Sauer sieht für KI-gesteuerte Anlagen zwei Herausforderungen: eine davon ist das Problem kleiner Datenmengen. Die maschinelle Übersetzung von Texten lässt sich beispielsweise bei steigender
Datenzahl stets verbessern, weil zwischen Input und optimalem Output eine eindeutige und vor allem replizierbare Beziehung besteht.
Während viele Finanzmarktakteure die Revolution des Asset Managements ebenfalls mit großen Datensätzen aus Nachrichtentexten, Satellitenbildern und Geolokalisierung untermauern, findet Sauer diese Datenmassen zunächst nicht hilfreich. Denn der Wert eines KI-Modells bemesse sich nicht an den Datenmengen, mit denen Analysten es speisen, sondern anhand der Beobachtungen und Abhängigkeiten, die es daraus ableiten kann.
„Wenn mein Modell am Ende nur ein paar Tausend Beobachtungen von Börsenkursen zum ‚Lernen hat‘, dann spielt es keine Rolle, ob es ursprünglich mit Millionen von Daten bedient wurde“, gibt Sauer zu bedenken. Und weil es keine einfachen Zusammenhänge zwischen A und B in der Finanzwelt gebe, würden die Beobachtungen stets begrenzt sein.
Was die zweite Herausforderung für KI-gesteuerte Investitionsentscheidung aufzeigt: Anders als bei vielen anderen Bereichen des maschinellen Lernens fehlen im Finanzbereich wiederholbare Zusammenhänge. Jeder Tag am Kapitalmarkt ist anders, womit keine Replizierbarkeit der Kausalität bestehe. „Es ist so einfach, Zusammenhänge in der Vergangenheit zu finden, die funktioniert haben, aber es ist so schwierig, diese auch in Zukunft verlässlich umzusetzen“, beteuert Sauer.

Zusätzlich sollten Marktteilnehmer berücksichtigen: Sie sind nicht mehr die einzigen am Markt. Je mehr Fonds auf KI-gestützte Modelle setzen, desto eher splittet sich die Rendite auf – und der Erste zu sein, wird zunehmend schwieriger. Was auch am technologischen Fortschritt liege, der es Unternehmen einfacher mache, eine KI einzusetzen.
Gerade deshalb gibt es bereits einige Fonds, hinter denen eine künstliche Intelligenz steckt. Einer davon ist der Tungsten Trycon AI Global Markets (ISIN: LU0451958309). Der Fonds verfolgt einen gemischten Investmentansatz, jedoch nicht im klassischen Sinne. Er besitzt ein Basisportfolio, bestehend aus Staatsanleihen und etwas Liquidität und sichert damit den Handel mit Terminkontrakten ab. Die Künstliche Intelligenz errechnet Wahrscheinlichkeiten für Richtung und Schwankungsbreite von 60 Märkten und empfiehlt für jeden dieser Märkte ein Kauf- oder Verkaufssignal.
„Aber niemand investiert in unseren Fonds wegen der KI“, stellt Michael Günther, Fondsmanager bei Tungsten Capital, klar. Zwar habe der Wirbel um Chat GPT den Managern ein offenes Ohr bei Investoren verschafft. Trotzdem sei für Anleger nach wie vor die Performance ausschlaggebend. Seit seiner Auflegung im Februar 2010 schaffte der Fonds eine Wertentwicklung von 21,2 Prozent. Damit schlug er seine Benchmark der Multi-Asset-Strategiefonds, welche einen Zuwachs von 16,8 Prozent erzielte.

„Unser Modell ist frei von Hypothesen und basiert ausschließlich auf Daten“, betont Pablo Hess, ebenfalls Fondsmanager bei Tungsten Capital. Dabei sei die Wechselbeziehung zu Aktien und Renten auf nahezu null reduziert. Das Modell könne Long- und Short-Positionen flexibel eingehen und aktienmarktunabhängig auch in schwachen Börsenphasen Gewinne erzielen.
Außerdem für die Fondsmanager entscheidend: dass die Investmententscheidungen der KI nachvollziehbar sind. „Wir haben nicht das Ziel, den besten Aktien- oder Anleihefonds zu schaffen, wir bieten vielmehr ein Ergänzungsprodukt für traditionelle Portfolios“, stellt Hess klar. Damit ist der Fonds nicht allein: Noch ein Produkt, welches sich in diesem Bereich einreiht, ist der GET Capital Quant (DE000A2P36K7). Der Fonds erzielte seit Auflegung im März 2021 eine Wertentwicklung von 6,6 Prozent und schlug damit seine Benchmark der Mischfonds, die ein Minus von 0,7 Prozent verzeichnete.
Womit sich die Frage stellt: Wieso zählen KI-gesteuerte Fonds aktuell noch zu den Nischenprodukten? „In der Analyse von Finanzmarktdaten steckt viel Unsicherheit, weshalb Fondsgesellschaften einiges an Forschung betreiben müssen, um ein funktionierendes Modell zu entwickeln“, erklärt Günther. Gleichzeitig betont Hess: „Forschung und Entwicklung findet bei uns jeden Tag statt.“ Denn die Technologie schreitet schnell voran.
Zu schnell? Das fragen sich seit der Aufregung um Chat GPT einige Technologieexperten. Erst jüngst unterzeichneten 27.565 Branchenvertreter, darunter Tesla-Chef Elon Musk und Computeringenieur Steve Wozniak, einen offenen Brief, um die Entwicklung der künstlichen Intelligenz zu stoppen. Der Hintergrund: Die Softwarespezialisten fürchten einen nicht abschätzbaren Kontrollverlust.
Ein Thema, mit dem sich auch die Ethikerin Saskia Nagel von der RWTH Universität in Aachen beschäftigt. Sie denkt, es wäre unrealistisch, die KI-Entwicklung zu stoppen, und ist vielmehr der Überzeugung: „Wir sollten bessere Entscheidungen treffen – und das nicht nur über KI, sondern auch mit KI.“
Trotzdem sieht Nagel auch Missverständnisse im Umgang mit der Technologie: „Es wird generell davon ausgegangen, dass eine künstliche Intelligenz neutral und objektiv sei – aber das stimmt so nicht.“ Denn die Daten, die in das System fließen, unterliegen menschlichen Werten und Vorurteilen, und dessen sollten sich Nutzer bewusst sein. Ein großes Problem sei jedoch das mangelnde Verständnis für die Prozesse der Technologie und die dazu häufig verwendete Metapher einer „Black Box“.

„Niemand kann etwas kontrollieren, was er nicht hinreichend versteht. Genauso wenig kann jemand ein verlässlicher Manager sein, wenn er nicht ausreichend weiß, was passiert“, bemängelt Nagel.
Ein Grund, weshalb viele Asset Manager und Investoren noch vor der Technologie zurückschrecken. Dennoch ist die Ethikerin überzeugt, dass Manager auch ohne KI-Expertenwissen Kontrolle und Verantwortung übernehmen können: „Es ist ein bisschen wie beim Autofahren – nicht jeder Fahrer versteht, wie das Fahrzeug ganz genau funktioniert. Trotzdem kann er es kontrollieren und muss etwaige Fehler verantworten.“
Deshalb liege ein Schlüssel mit dem Umgang von KI darin, die Prozesse nachvollziehbar zu machen. „Wir haben aktuell noch keine umfassenden Gesetze oder Regulatorik im Bereich der künstlichen Intelligenz, und solange das so ist, brauchen wir einen guten moralischen Kompass“, betont die Ethikerin.
Denn schlussendlich ist Nagel davon überzeugt, dass die Technologie den Menschen bei der Entscheidungsfindung helfen kann. Dem stimmt auch Hess zu: „KIs werden zunehmend als Zweitmeinung Einzug halten, und es wird in naher Zukunft selbstverständlich sein, dass
Vermögensverwalter, die Technologie nutzen.“