Volkswirt Hans-Jörg Naumer
Warum die Wirtschaft wachsen muss

Hans-Jörg Naumer leitet die Kapitalmarktanalyse bei Allianz Global Investors. Foto: Allianz Global Investors
Der CO2-Ausstoß in die Erdatmosphäre steigt, die Maßgabe ist klar: Das 1,5-Grad-Ziel darf nicht gerissen werden. Doch wie soll das gelingen, ohne die Konjunktur zu bremsen?
Zugegeben, ich habe kein Lastenfahrrad. Aber ich staune immer wieder, was sich so alles auf meinen guten alten Drahtesel packen lässt, wenn wir mal wieder Versorgungseinkäufe für die Familie erledigen. Radeln ist gut für die Gesundheit, gut für die Umwelt. Die Welt werden wir damit allerdings genauso wenig vor dem Klimawandel retten können wie mit einem noch stärker ausgefeilten Recycling, dem ...
Das Thema Nachhaltigkeit bewegt Unternehmen, Kapitalmärkte, Gesetzgeber. Und Menschen. Deshalb präsentieren wir dir hier die Analysen und Thesen der bedeutendsten Nachhaltigkeitsexperten, Top-Ökonomen und Großinvestoren – gebündelt und übersichtlich. Sie sollen dir die wichtigen Entwicklungen auf dem Weg zur nachhaltigen Gesellschaft und Finanzwelt clever und zuweilen kontrovers aufzeigen.
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Zugegeben, ich habe kein Lastenfahrrad. Aber ich staune immer wieder, was sich so alles auf meinen guten alten Drahtesel packen lässt, wenn wir mal wieder Versorgungseinkäufe für die Familie erledigen. Radeln ist gut für die Gesundheit, gut für die Umwelt. Die Welt werden wir damit allerdings genauso wenig vor dem Klimawandel retten können wie mit einem noch stärker ausgefeilten Recycling, dem Verbot von Verbrennern oder dem Unterlassen von Flügen – sei es im Inland, sei es nach Bali.
Dabei scheint sich die vorherrschende Diskussion, wie wir den Klimawandel stoppen können, genau darum zu drehen: weniger von allem. Ein „Zurück in die 70’er“ wurde bereits ausgerufen. Und warum schaffen wir unsere Marktwirtschaft nicht lieber gleich ab und führen dafür eine Kriegswirtschaft ein? Mit dieser These kann man bekanntlich Bestsellerautorin werden.
Im Kern steckt dahinter der Degrowth-Ansatz, verbunden mit der Hoffnung, der Staat könne es schon richten. Dieser Ansatz sieht seine Begründung in der Begrenztheit der Ressourcen und wurde bereits in der Studie „Die Grenzen des Wachstums. Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit“ im Jahr 1972 dargestellt.
Die Wirtschaft muss wachsen
Wachstum ist kein Selbstzweck, aber kein Wachstum ist auch keine Lösung, und zwar aus mindestens zwei Gründen:
- Der Degrowth-Ansatz müsste international sein und am Ende zu einer Weltwirtschaft frei von Treibhausgasen führen
- Menschen haben einen Anspruch auf ein menschenwürdiges Leben – und das ist bei weitem noch nicht überall erfüllt
Das Problem ist: Das Null- oder Negativwachstum müsste ein global durchgeführter Ansatz sein. Das wird etwa anhand der CO2-Emissionen deutlich. Nur ein kleinerer Teil davon – rund 12 Prozent – kommt aus der Europäischen Union, rund 2 Prozent aus Deutschland. Ein größerer, aber im Trend abnehmender Teil, stammt aus den USA. Auch Japan steuert verhältnismäßig wenig bei, während der Anteil Chinas und der aufstrebenden Staaten über die Jahrzehnte deutlich zugenommen hat.
Das zeigt: Selbst wenn wir Deutsche uns sprichwörtlich ganz schön abstrampeln, am Ende wäre unser maximaler Beitrag zur Reduktion der Treibhausgase vernachlässigbar. Und dies, während die Welt um uns herum weiter wächst. Nicht aus einem Selbstzweck heraus, sondern aus Notwendigkeit beziehungsweise als Ergebnis der demografischen Entwicklung.
Der Kampf gegen Armut muss weitergehen
Die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen erinnern uns daran, dass der Kampf gegen Hunger und Armut weitergeführt werden muss. Es ist zwar schon viel erreicht worden, wie sich etwa beim Anteil der weltweit in absoluter Armut lebenden Menschen zeigt. Aber wir sind noch nicht am Ziel. Denn die Weltbevölkerung wächst weiter – und zwar vor allem in den ärmeren Regionen.
Nach Schätzungen der Vereinten Nationen wird die Weltbevölkerung bis zum Jahr 2100 um weitere drei Milliarden auf rund elf Milliarden Menschen wachsen. Dabei spricht die Weltgesundheitsorganisation WHO schon jetzt von vergessenen drei Milliarden Menschen, die nicht über saubere Energie im Haushalt verfügen, sondern an offenen Feuern und unzulänglichen Öfen kochen – mit allen Implikationen für die Gesundheit bis hin zum frühen Tod.
Diesen Menschen Zugang zu sauber Energie zu verschaffen, wäre nicht nur ein wichtiger Schritt für die Gesundheit, sondern auch ein Beitrag gegen die Luftverschmutzung und für erhöhte Energieeffizienz – mit entsprechend verringertem Kohlendioxidausstoß. Kein Zweifel: Bevölkerungswachstum und der Kampf für bessere Lebensbedingungen erfordern Wirtschaftswachstum.
Die Lösung ist nicht der Degrowth-, sondern der Green-Growth-Ansatz, der vom Treibhausgasausstoß entkoppelt ist. Die gute Nachricht: Er ist kein Traum, sondern in vielen Ländern bereits Realität. Beispiel USA: Dort hat sich das Bruttoinlandsprodukt real seit dem Jahr 1970 ver-3,7-facht, während die CO2-Emissionen bis zur Jahrtausendwende um 0,4 Prozent gestiegen sind und seitdem sinken. Diese Entkoppelung muss konsequent fortgeführt werden, bis wir in der Netto-Null-Emissionswelt angekommen sind.
Wir haben also allen Grund, dem Klimawandel den Krieg zu erklären, aber ist Kriegswirtschaft – wie sie im Zweiten Weltkrieg Großbritannien gegen den Nationalsozialismus geholfen hat – die Lösung?
Im Kern ist die Kriegswirtschaft bestenfalls eine zentrale Plan- und Verwaltungswirtschaft, im schlechtesten Fall entartet sie in eine Diktatur, in der der Staat in alle Bereiche von Produktion und Konsum eingreift, also auch zuteilt, wie viel Auto gefahren werden darf und wie groß Wohnungen sein dürfen. Dabei wird alles dem CO2-Fußabdruck untergeordnet.
In diesem Modell gibt es ein immenses Wissens- und Anreizproblem. Wirtschaft ist nicht statisch. Sie lebt von Ideen und Innovationen. Hinzu kommt der Anreiz, mit verfügbaren Ressourcen möglichst effizient zu wirtschaften. Der Staat kann Verbote aussprechen, aber woher weiß er, welche Technologie morgen gewinnt? Ist das nicht Anmaßung von Herrschaftswissen? Und wie groß ist der Anreiz, möglichst effizient zu wirtschaften? Kein staatlicher Planer steht mit eigenem Vermögen im Risiko. Das alleinige Setzen auf den Staat ist somit ebenfalls nicht zielführend.
Die Umwelt braucht ein Preisschild
Wenn nun aber weder „weniger von allem“, noch „mehr Staat“ helfen, was hilft dann? Im Kern ist der Klimawandel auch ein ökonomisches Problem, das mit ökonomischen Mitteln beantwortet werden muss. Zum kleinen 1x1 der Wirtschaft gehört, dass alles seinen Preis haben muss, sonst ist die Produktion nicht effizient. Wenn Treibhausgase in die Luft entweichen und Schäden verursachen, müssen sie zu einem Kostenfaktor werden. Umweltverbrauch darf nicht kostenlos sein.
Genau hier setzen das European Trading Scheme (ETS) und unsere nationale Klimaabgabe an. Emissionsrechte haben einen Preis und sind über das ETS handelbar. Wer Emissionen spart, kann die Rechte verkaufen. Wer verbraucht, kann Rechte kaufen. Staat und Markt spielen dabei zusammen: Der Staat setzt den Rahmen, in dem er die Menge und den Pfad, auf dem Treibhausgas-Emissionen verringert werden, vorgibt.
Bis 2050 sollen die Treibhausgas-Emissionen in der Europäischen Union (EU) auf null sinken. Ihr Preis bildet sich über den Markt. Je mehr Emissionen, desto höher steigt der Preis und desto höher wird der Druck, klimaneutral zu produzieren. Die Emissionspreise fördern so Wettbewerb und Innovationen und Investitionen in klimaneutrale Technologien werden rentierlicher. Fehlt nur, dass alle Länder und Regionen mitmachen. Das ETS muss zum Klimaclub ausgebaut werden.
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