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Aktualisiert am 29.01.2020 - 11:27 UhrLesedauer: 4 Minuten
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Kommentar zur WTO Die Zukunft des Welthandels bleibt offen

Erinnern Sie sich noch an die sogenannten Guardian Angels? Um Verbrechen in einer vermeintlich gesetzlosen Zeit zu verhindern und Bürger zu schützen, ging in den 1980er Jahren eine Bürgerinitiative in New Yorker U-Bahn-Stationen auf Streife – in auffälligen Uniformen und knallroten Baskenmützen. Anfangs bezeichneten die Boulevardzeitungen die Guardian Angels als „Bürgerwehr“, die „das Gesetz in die eigene Hand nimmt“. Heute erinnert die Gruppierung daran, wie chaotisch es damals in New York zuging.

Die jüngsten Entwicklungen an der Handelsfront haben die Erinnerungen an die Guardian Angels wieder wachgerufen: Auch der Welthandel versinkt offenbar im Chaos. Mit einer protektionistischen Selbstjustiz scheinen einige Länder das Gesetz in die eigene Hand zu nehmen – weil die Welthandelsorganisation (WTO) schon bald handlungsunfähig sein könnte. Aber der Reihe nach.

Die WTO in der Existenzkrise

Als die WTO am 15. April 1994 gegründet wurde, erhielten die USA ein Vetorecht bei der Ernennungen von Posten für das siebenköpfige WTO-Schiedsgericht. Seit einigen Jahren nutzen die USA dieses Vetorecht als Waffe und blockieren die Nachbesetzung freiwerdender Posten in diesem Gremium. Damit könnten die USA die WTO schachmatt setzen: Das Mandat von zwei der drei verbliebenen Berufungsrichter – der Mindestanzahl, um Urteile fällen zu können – endete am 17. Dezember 2019.

Zwar ist die WTO nicht frei von Organisationsfehlern und die USA drängen zu Recht auf eine grundlegende Reform der Institution. Die Ernennung von Streitschlichtern zu blockieren ist aber kein konstruktiver Ansatz: Ohne Schiedsgericht könnte die WTO keine bindenden Entscheidungen mehr treffen und würde somit funktionsunfähig.

Umkehr der Globalisierung scheint möglich

Wie würde es dann weitergehen? Die WTO könnte nach wie vor Streitschlichtungsverfahren führen. Sie könnte aber keine Urteile durchsetzen, da die Länder ein Recht auf Berufung haben. Sollten sie eine Entscheidung nicht billigen, könnten sie deren Umsetzung auf unbestimmte Zeit hinauszögern – indem sie in Berufung gingen. Dies markiert den Beginn einer Ära „protektionistischer Selbstjustiz“: Immer mehr Länder würden an traditionellen Institutionen wie der WTO vorbei agieren und ihre Handelsinteressen eigenmächtig verfolgen.

Größere Wirtschaftsmächte dürften ihr Gewicht zum Nachteil kleinerer und aufstrebender Volkswirtschaften in die Waagschale werfen. Diese Demontage der WTO könnte zu einer weiteren Eskalation der seit Jahren schwelenden Handelsspannungen führen und die Globalisierung bremsen.

Handelskonflikte weiten sich aus

Anleger müssten sich entsprechend auf noch stärkere Auswirkungen der Handelskonflikte einstellen. Welche Spuren die Konflikte an den Märkten hinterlassen, ist schon jetzt deutlich erkennbar: Anfang Dezember äußerte US-Präsident Donald Trump, dass er ein Handelsabkommen mit China möglicherweise erst nach der Präsidentschaftswahl 2020 weiterverfolgen würde.

Die Aktienkurse brachen ein und erholten sich erst wieder, als China ankündigte, von Strafzöllen auf US-Sojabohnen und -Schweinefleisch abzusehen. Gleichzeitig ist es möglich, dass Donald Trump weitere Zölle verhängt. Und dass es den USA und China 2019 nicht mehr gelingt, sich auch nur auf ein „Phase 1“-Teilabkommen im Handelskonflikt zu einigen. Selbst wenn dies gelänge, würde die Einigung nur an der Oberfläche der Streitthemen kratzen.