Bantleon-Volkswirt Jörg Angelé
Kommt die Stagflation?

Bantleon-Volkswirt Jörg Angelé
Die Energiepreise kennen in diesem Jahr nur eine Richtung: steil nach oben. Rohöl der Sorte Brent kletterte kürzlich auf knapp 85 US-Dollar je Fass – das entspricht einem Anstieg um etwa 200 Prozent seit April 2020. Die wahren Kapriolen schlagen jedoch die Preise für Strom und Gas. Hier ging es bei den Börsenpreisen seit Ende des vergangenen Jahres um 290 Prozent beziehungsweise 490 Prozent nac...
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Die Energiepreise kennen in diesem Jahr nur eine Richtung: steil nach oben. Rohöl der Sorte Brent kletterte kürzlich auf knapp 85 US-Dollar je Fass – das entspricht einem Anstieg um etwa 200 Prozent seit April 2020. Die wahren Kapriolen schlagen jedoch die Preise für Strom und Gas. Hier ging es bei den Börsenpreisen seit Ende des vergangenen Jahres um 290 Prozent beziehungsweise 490 Prozent nach oben (vergleiche Abbildung 1).
Abbildung 1: Gas- und Strompreise gehen durch die Decke
Für diese Preisexplosion gibt es mehrere Gründe. Infolge einer ungewöhnlich geringen Ausbeute bei Wind- und Sonnenenergie in diesem Jahr wurden vielerorts Gas- und Kohlekraftwerke hochgefahren, um die Lücke bei der Stromerzeugung zu schliessen. Der höhere Gasverbrauch wurde nicht bzw. nur teilweise durch höhere Gasimporte kompensiert. Aus diesem Grund sind die Gasspeicher in Europa deutlich weniger gut gefüllt als für diese Jahreszeit üblich. Da die Nachfrage nach Erdgas auch in Asien und den USA sprunghaft zugenommen hat, das globale Angebot aktuell jedoch begrenzt ist, bleibt als Ventil nur ein kräftiger Preisanstieg. Entlastung erwarten wir nicht vor dem Frühjahr 2022.
Weil in der EU rund 20 Prozent des produzierten Stroms aus Gaskraftwerken kommt, hat sich diese Art der Stromerzeugung ebenfalls erheblich verteuert. Das ist auch der Grund für den in die Höhe geschnellten Börsenstrompreis, da sich dieser immer an der teuersten Art der Stromproduktion orientiert.
Mit Blick auf die Inflation ist wichtig festzuhalten, dass die massiven Preissprünge zum Teil noch gar nicht bei den Verbrauchern angekommen sind. Zwar müssen Haushalte in Frankreich, Italien, Spanien und Belgien für Erdgas bzw. Strom bereits jetzt deutlich tiefer in die Tasche greifen, deutsche Konsumenten bekommen die höheren Preise bis dato jedoch quasi nur an der Tankstelle und beim Auffüllen ihrer Heizöltanks zu spüren. Der Grund: Die Versorger legen den Preis für Strom und Gas hierzulande in der Regel nur einmal jährlich fest. Vor allem bei Gas und Strom steht der Schock für viele Verbraucher somit in den kommenden Monaten noch bevor.
Vor diesem Hintergrund werden die Energiepreise für Endabnehmer wie bereits im laufenden Jahr auch 2022 um mehr als 10 Prozent anziehen, selbst wenn der Rohölpreis nicht weiter steigt. Das wird wesentlich dazu beitragen, dass die Inflationsrate in der Eurozone im nächsten Jahr deutlich über 2,0 Prozent liegen wird, nachdem sie 2021 im Jahresdurchschnitt voraussichtlich 2,4 Prozent erreicht.
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