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Aktualisiert am 27.05.2020 - 13:45 UhrLesedauer: 4 Minuten
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Konflikt in der Eurozone Europas Stunde der Wahrheit

Der französische Präsident Emmanuel Macron, EZB-Chefin Christine Lagarde und Bundeskanzlerin Angela Merkel (v.l.): Die politischen Entscheider müssen noch entschlossener vorgehen und an einem Strang ziehen.
Der französische Präsident Emmanuel Macron, EZB-Chefin Christine Lagarde und Bundeskanzlerin Angela Merkel (v.l.): Die politischen Entscheider müssen noch entschlossener vorgehen und an einem Strang ziehen. | Foto: imago images / Belga

Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) in der Eurozone ist bereits im ersten Quartal 2020 stark gefallen und wird wahrscheinlich im zweiten Quartal noch tiefer abstürzen. Das ist im Einklang mit unserer Prognose, wonach die Wirtschaft der Eurozone in diesem Jahr um rund zehn Prozent schrumpfen wird. Es besteht sogar das Risiko, dass die Rezession noch stärker ausfallen wird. Diese Risiken beruhen zum Teil auf möglichen Zweitrundeneffekten für die Wirtschaft infolge höherer Arbeitslosigkeit, Firmenpleiten, fehlender Zuversicht und ganz allgemein Veränderungen im Verhalten der Konsumenten und Unternehmer.

Wenn man sich so umhört, erhält man konkrete Hinweise darauf, dass diese Risiken sehr präsent sind. Eine große Fluggesellschaft kündigte an, dass sie wahrscheinlich ein ganzes Drittel ihrer Belegschaft entlassen muss. Berichte aus Großbritannien legen nahe, dass drei Viertel aller Bar- und Restaurantbesitzer pleitegehen könnten. In Italien und Spanien trägt der Tourismus dem „World Travel & Tourism Council“ (WTTC) zufolge in einem normalen Jahr zwölf respektive 14 Prozent zum BIP bei. Es ist schwer vorstellbar, dass dieses Niveau auf absehbare Zeit wieder erreicht werden kann. In Dänemark warnten die Behörden in der vergangenen Woche davor, eine frühe Rücknahme von Lock-down-Maßnahmen im Land könnte wieder zu einem Anstieg der Infektionszahlen führen.

Die Tatsache, dass es für viele Geschäftsmodelle auf lange Zeit – und in einigen Fällen auch für immer – keine Rückkehr zur Normalität geben wird, spricht dafür, fiskalpolitische Hilfen nicht nur offensiv und schnell zu gewähren. Sie müssen vielmehr dauerhaft und umfassend sein und zum Beispiel auch vermehrt Beihilfen und Kapitalspritzen für angeschlagene Branchen beinhalten. Die Zentralbank muss derweil ihre Strategie mit den fiskalpolitischen Entscheidungen der Mitgliedsländer koordinieren und den öffentlichen Bilanzen der einzelnen Staaten Stabilität verleihen.

Um das Risiko abzuwenden, dass die Krise das gesellschaftliche Gefüge über die Ländergrenzen hinweg erschüttert, müssen die politischen Entscheider entschlossen handeln und an einem Strang ziehen.

Außergewöhnliche Zeiten erfordern außergewöhnliche Maßnahmen

Unsere Analyse legt folgenden Schluss nahe: Um die gesamtwirtschaftlich überhaupt erst wirksame Summe von einer Billion Euro – oder mehr – für den sehnlich erwarteten Wiederaufbaufonds der EU zu erreichen, müsste ein Großteil der Unterstützung für die Empfängerländer in Form von Darlehen und nicht in Form von – nicht-rückzahlungspflichtigen – Beihilfen oder Zuschüssen gewährt werden. Andernfalls wäre die Europäische Kommission vermutlich nicht in der Lage, so viele Anleihen am freien Markt zu begeben, ohne das Triple-A-Rating zu verlieren. Theoretisch wäre es nur dann möglich, noch umfangreichere Beihilfen auf den Weg zu bringen, wenn die Länder sich dafür entschieden, das EU-Budget auf mehr als ein Prozent aufzustocken – und zwar nicht nur für zwei oder drei Jahre, sondern längerfristig. Das ist nach unserer Auffassung aber unwahrscheinlich. Die Vorschläge für den Wiederaufbaufonds der EU in seiner jetzigen Form haben schon genug Hürden zu nehmen.

Wenn nicht-rückzahlungspflichtige Zuschüsse aber nicht mehr als 0,5 Prozent des BIP der Eurozone ausmachen dürfen, würde der Löwenanteil der fiskalischen Unterstützung in Form von Krediten an die Mitgliedsländer gewährt. Solche Kredite könnten in bestimmten Fällen sinnvoll sein, wenn sie sehr lange Laufzeiten haben, sehr niedrig verzinst und an keine oder nur wenige Bedingungen geknüpft sind. Eine Einigung auf solche Bedingungen könnte jedoch ein anstrengender Kampf werden, wenn man an die aktuellen Kommentare einiger Verhandlungspartner aus Nordeuropa denkt.

Wir haben es in früheren Blogs („Das Anti-Krisen-Paket der Eurozone: Nicht gut genug“ und „Europa: Die Politik hat damit begonnen, Antworten auf die Krise zu geben, aber es muss noch mehr passieren“) bereits thematisiert: Die Last der von der Pandemie ausgelösten Wirtschaftskrise wird wahrscheinlich den nationalen Regierungen und der Europäischen Zentralbank (EZB) aufgebürdet. Diesbezüglich hat die EZB bei ihrer Sitzung am 30. April nicht wirklich geliefert. Sie hat lediglich großzügigere Bedingungen für ihre langlaufenden Tender (LTROs) verkündet, die die Liquidität im Interbankenverkehr sicherstellen sollen. Die EZB bemühte sich hervorzuheben, dass ihr 750 Milliarden Euro schweres Pandemie-Notprogramm (Pandemic Emergency Purchase Program, PEPP) aufgestockt und bei Bedarf angepasst werden kann, um die Wirtschaft zu stützen. Aber die Zentralbank unterließ es, eine unmissverständliche und vorbehaltlose Zusage zu geben, dass sie die Zins-Spreads bei Staatsanleihen im Zaum halten will. Die Aktionen der Zentralbank bestätigen ihre Botschaft: Die Wertpapierkäufe der EZB erfolgten vorzeitig und zielten sehr stark auf die Peripheriestaaten ab – sie konnten aber nicht verhindern, dass die Spreads dort volatil bleiben.

Ein weiteres Warnsignal – Italiens Herabstufung der Bonität

In der gleichen Woche stufte die Ratingagentur Fitch unerwartet die Bonität von Italiens Staatsschulden auf das Niveau „Low-BBB“ herab (allerdings mit einem stabilen Ausblick). Die Entscheidung der Agentur wurde außerhalb der üblichen Zeitfenster für die Notenvergabe verkündet. Fitch stellte fest, dass Italiens projektierte Schuldenquote von 156 Prozent des BIP für 2020 deutlich „über dem Durchschnittswert anderer BBB-Länder (36 Prozent des BIP)“ liege.

Zum Vergleich: Fitch gab Japan die Note „Mid-A“, als das Land 2019 eine Schuldenquote von mehr als 230 Prozent auswies und diese sogar noch weiter stieg. Der Unterschied lässt sich mit der vorbehaltlosen monetären Unterstützung der japanischen Notenbank für einheimische Staatsanleihen (JGBs) erklären sowie mit der Tatsache, dass der Markt für solche JGBs größtenteils ein inländischer ist. Das Vorhandensein solider geldpolitischer Anker erklärt auch, warum Fitch US-amerikanische und britische Staatsanleihen mit „AAA“ beziehungsweise „Low-AA“ bewertet – obwohl die Schuldenquote 2019 bei 110 beziehungsweise 85 Prozent des BIP lag und seither kräftig gestiegen ist. Es kommt also sehr stark darauf an, ob ein Land in der Lage ist, seine Schulden zu refinanzieren – und da liegt eben der große Unterschied zu großen Teilen Europas.

Eine engagierte und entschlossene fiskal- und geldpolitische Partnerschaft ist daher dringend vonnöten. Wir denken, dass Europas Politiker schlussendlich das tun werden, was getan werden muss – aber dafür bleibt nicht endlos Zeit: Je länger eine überzeugende politische Antwort auf sich warten lässt, desto größer ist das Risiko wirtschaftlicher und sozialer Schäden und auch das Risiko, dass alles außer Kontrolle gerät. Für Europa naht die Stunde der Wahrheit.

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