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Konsequenzen aus dem Libor-Skandal

Herbert Walter
Herbert Walter
Die Manipulation von Libor und Euribor durch Mitarbeiter großer Banken erhitzt die Gemüter. Zwar liegen die entsprechenden Vorfälle mehrere Jahre zurück und die entsprechenden Untersuchungen laufen bereits seit knapp zwei Jahren. Aber die von der EU-Kommission verhängten Strafzahlungen in Höhe von insgesamt 1,7 Milliarden Euro gegen sechs europäische Banken haben das Thema Bankenregulierung zurück auf die politische Agenda gebracht.

Im Zentrum steht dabei die Frage, wie solche schwerwiegenden Vergehen in Zukunft verhindert werden können. Schließlich handelt es sich beim Libor und beim Euribor um Referenzzinsen für Bankkredite. Das heißt: Die Geschädigten dieser Machenschaften sind auch Hunderte Millionen Privat- und Firmenkunden rund um den Globus.

Vor diesem Hintergrund ist es besonders erstaunlich, dass eine begrenzte Anzahl an Händlern in Investmentbanken über Jahre hinweg für den Markt maßgebliche Preise nach Gutdünken festsetzen konnte – und zwar offenbar weitgehend ohne jede interne und externe Aufsicht.

Die Konsequenz daraus für die Zukunft kann nur lauten, dass eine zentrale staatliche Behörde die Ermittlung von Referenzpreisen – ob nun am Zins-, Währungs- oder Goldmarkt – auf Basis echter Daten übernimmt. Händler sollten nur in absoluten Ausnahmefällen einbezogen werden, etwa wenn es wie in der Krise 2008 keinen funktionierenden Markt mehr gibt.

Die USA haben entsprechende Gesetze bereits auf den Weg gebracht. In der Europäischen Union dagegen verlieren sich die Mitgliedsstaaten noch in Kompetenzgerangel. Vor allem Großbritannien achtet mit Argusaugen darauf, dass sein Finanzplatz London das Zentrum der wichtigsten Handelsaktivitäten im Wertpapierbereich bleibt. Eine zentrale EU-Aufsicht womöglich noch in Kontinentaleuropa würde diesem Interesse zuwiderlaufen.

Darüber hinaus müssen zukünftige Vergehen strafrechtlich verfolgt werden, und zwar sowohl aufseiten der betroffenen Mitarbeiter als auch auf Seiten der Banken. Denn die Kreditinstitute sind in der Pflicht, mit einem über jeden Zweifel erhabenen Risikomanagement Manipulationen im eigenen Haus von vornherein zu verhindern.

Der falsche Weg wäre es dagegen, im Zuge der neu entflammten Diskussion um die Regulierung der Finanzindustrie das Kind mit dem Bade auszuschütten und etwa Investmentbanken immer mehr die Luft zum Atmen zu nehmen. Sicher, das rasante Wachstum insbesondere des Wertpapiersektors hat in den vergangenen 30 Jahren in vielen Handelssälen zu einer höchst zweifelhaften Kultur geführt. Nicht wenige Banker haben sich in einem Anflug von Größenwahn ihre eigenen Regeln zurechtgezimmert und mit allen Mitteln versucht, ihre eigenen Boni in die Höhe zu treiben – wie wir jetzt sehen zum Teil mit eindeutigem Fehlverhalten.

Dennoch lohnt es sich auch für die verantwortlichen Politiker, nicht emotional, sondern nüchtern auf die Vor- und Nachteile der Wertpapierindustrie zu blicken. Ohne das Investmentbanking wäre etwa die Globalisierung der Weltwirtschaft und die damit einhergehenden Wohlstandsgewinne gerade in den Emerging Markets nicht möglich gewesen. Die Wertpapierindustrie ermöglicht es, aus illiquiden Forderungen wie etwa Krediten handelbare Wertpapiere zu machen. Sie übernimmt für große Industrieunternehmen die Absicherung von Preisschwankungen und reduziert damit Risiken für deren Aktionäre und Mitarbeiter. Sie bietet Privatanlegern Finanzlösungen wie zum Beispiel Indexfonds, um bei niedrigen Kosten Vermögen aufzubauen oder zusätzlich zur gesetzlichen Rente für den Ruhestand vorzusorgen.

All das darf in der aktuellen Diskussion und in den Bemühungen um mehr Stabilität des Finanzsystems nicht übersehen werden. Wir müssen die Exzesse und Verfehlungen der Jahre vor 2008/09 – so verwerflich sie auch sein mögen – als das begreifen, was sie waren: Auswüchse einer neuen, boomenden Branche, die im Grundsatz aber eine äußerst nützliche Funktion für moderne Volkswirtschaften und damit für die Gesellschaft hat.

Nun sind wir mitten in einer äußerst heilsamen Bereinigungskrise, in der wir vernünftige Lehren aus den Fehlern der Vergangenheit zu ziehen haben. Dazu gehört, die Wertpapierindustrie nicht pauschal zu verurteilen, sondern sie auf ihren Kernzweck zurückzuführen.

Für die Banken und insbesondere die Mitarbeiter in den Handelssälen heißt das: Die Zeit des schnellen Geldverdienens ist vorbei. Die Institute sind gut beraten, den Reinigungsprozess aktiv zu gestalten anstatt sich von Politik und Regulierern treiben zu lassen. Das heißt, sie sollten ihr Wertpapiergeschäft radikal auf das reine Kundengeschäft eindampfen und begreifen: Die vermeintlich schöne alte Welt der hohen Renditen und teils absurden Bonuszahlungen ist unwiederbringlich vorbei. Und das ist gut so.

Die Politik muss auf der anderen Seite erkennen, dass sie niemandem einen Gefallen damit tut, die Regulierung von Banken ohne Rücksicht auf die langfristigen Folgen als Selbstzweck zu sehen. Ihre Aufgabe ist es, mit einem klugen Regulierungsrahmen dafür zu sorgen, dass Kapital möglichst rasch dort ankommt, wo es gebraucht wird. Ohne eine innovative Wertpapierindustrie ist das im 21. Jahrhundert nicht möglich.


Zum Autor: Herbert Walter, 60, führte von 2003 bis 2009 die Dresdner Bank. Vorher war er bei der Deutschen Bank weltweit für Privat- und Geschäftskunden verantwortlich. Heute arbeitet Walter als selbstständiger Berater. Unternehmerisch engagiert er sich beim Finanzportal WhoFinance.de.

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