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Konsumstory und Rezession Warum Brasilien trotz massiver Probleme für Anleger interessant bleibt

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Karneval und Wohnungsnot

Mein Team und ich reisten Anfang März nach Brasilien. Erste Etappe war Rio de Janeiro, das zum Karneval, einem Fest vor der christlichen Fastenzeit, die Millionen anzieht. Viele Einheimische fliehen zwar vor dem Lärm und den Staus aus der Stadt, doch andere kommen aus ganz Brasilien und anderen Teilen der Welt, um eine Woche Spaß und Spektakel zu erleben.

Der Karnevalsball im kultigen Copacabana Palace Hotel direkt am gleichnamigen Strand ist der Auftakt zur Feier bis in die Morgenstunden. Dann verlagert sich das Geschehen ans Sambodromo, eine einen Kilometer lange Tribünenstraße für 80.000 Zuschauer, vor denen die Sambaschulen aus verschiedenen Bezirken mit den besten Umzugswagen, Trommlern und musikalischen Darbietungen in einer atemberaubenden Parade gegeneinander antreten.

In allen Vierteln Rios bilden sich auf den Straßen sogenannte „Blocks“ aus Hunderten oder gar Tausenden Feierwütigen, die trinken und zur Musik ihrer eigenen Sambabands tanzen. Das führt natürlich zu Gedränge und Lärm auf den Straßen, wo die Reinigungsmannschaften in grellorangen Overalls mit großen Besen rund um die Uhr versuchen, dem Chaos Herr zu werden.

Da sich viele von ihnen unterbezahlt fühlen, halten ihre Gewerkschaften den Karneval für eine günstige Zeit, höhere Löhne zu fordern. Wir haben selbst erlebt, wie ein großer Trupp in einem Bezirk die Arbeit niederlegte. Glücklicherweise wurde der Konflikt mit Stadtvertretern beigelegt, was nach meinen Informationen in diesem Fall zur Zusage höherer Löhne führte.

Sicherung von Eigentumsrechten der Favela-Bewohner macht Fortschritte

Auf der Fahrt auf der Küstenstraße in Ipanema, wo der berühmte Song „Girl from Ipanema“ herkommt, konnte ich die Slums (Favelas) sehen, die sich an den Hängen über dem Strand hochzogen. Ich wandte mich an meinen Taxifahrer und meinte, die Menschen in den Hütten auf der Anhöhe hätten einen tollen Blick, und es sei schade, dass die wenigsten rechtmäßige Eigentümer des Landes wären.

Sonst könnten sie ihre Lebensumstände verbessern und bei steigenden Immobilienpreisen ihre Grundstücke eines Tages sogar für ein nettes Sümmchen verkaufen. Zu meiner Freude hörte ich, dass ein Regierungsprogramm zur Sicherung von Eigentumsrechten der Favela-Bewohner Fortschritte macht.

Ich halte dieses Programm für äußerst bedeutsam, da Eigentumssicherheit auch Kapital zur Sanierung der Behausungen von Favela-Bewohnern und ganzer Viertel freisetzen kann. Aus diversen Medienberichten geht hervor, dass über 100.000 beziehungsweise rund 23 Prozent der Wohnungen in den Favela-Gemeinden Rios derzeit ins Eigentum ihrer Bewohner übergehen.

Kriminalität in den Favelas sinkt


Das Verfahren ist komplex. Mehrere Behörden sind daran beteiligt. Doch es besteht Hoffnung, und Artikel in brasilianischen Zeitungen treten für die Träume von Favela-Bewohnern ein, eines Tages rechtmäßige Immobilienbesitzer zu werden.

Allgemein sind die Immobilienpreise in Rio explodiert, und die Kosten für Wohnraum haben sich in manchen Fällen in den letzten drei Jahren verdoppelt. Eigentumsurkunden belegen nicht nur Besitzansprüche an Vermögenswerten, die im Wert steigen könnten, sondern geben Bewohnern auch eine von Gerichten und Banken anerkannte Adresse, was die Kreditaufnahme erleichtert.

Außerdem geschieht etwas gegen die Kriminalität in den Favelas, die bereits sinkt. Statt nur regelmäßig Razzien gegen Drogen- und Waffenhändler durchzuführen, hat die Polizei dort Dienststellen eingerichtet. Das neue Programm macht das Leben in den Favelas sicherer.

Das 2009 angekündigte Regierungsprogramm „Minha Casa, Minha Vida“ („Mein Haus, mein Leben“) steht im Zusammenhang mit den Entwicklungen in Rios Favelas. Es wurde als Instrument zur Wohnungssicherung für Millionen von Familien gehandelt, die ansonsten keinen Zugang zu Wohnraum gefunden hätten.

Rio – bis 2016 sollen eine Million neue Wohnungen gebaut werden

Schätzungsweise sieben Millionen Familien leben unter suboptimalen Bedingungen. Für sie sollten bis 2016 eine Million neuer Wohnungen gebaut werden. Dieses bereits erreichte Ziel wurde seither höher gesteckt, was mit zig Milliarden Dollar enorme Kosten verursachte. Die Staatsbank Caixa Econômica Federal, die direkt vom Finanzministerium kontrolliert wird, vergibt zinsgünstige Kredite an Immobilienbesitzer, von denen viele in den Favelas wohnen.

Außerdem ist eine Reihe privatwirtschaftlicher Unternehmen an dem Programm beteiligt, die daran arbeiten, den Bedarf des Landes an Wohnraum zu decken. Wir haben mit dem Chef einer Firma gesprochen, die an jeder Phase der Entstehung von preiswertem Wohnraum beteiligt ist, vom Landerwerb über Planung, Bau und Verkauf.

In allen Städten, in denen das Unternehmen tätig ist, bietet es zwei für einkommensschwache Kunden konzipierte Produkte an: Wohnungen zwischen 40 und 55 Quadratmetern Nutzfläche zu einem Verkaufspreis von unter 100.000 brasilianischen Reals (Rs), rund 45.000 bis 46.000 US-Dollar, und einen weiteren Wohnungstyp mit 42 bis 70 Quadratmetern Nutzfläche zu Preisen zwischen 70.000 und 140.000 (Rs), also etwa 32.000 bis 64.000 US-Dollar.

Steigende Hypotheken könnten für manche Familien zur Belastung werden

Die Nachfrage ist hoch, und die Geschäftsführung geht davon aus, dass brasilianische Unternehmen viel weniger produziert haben, als der Markt aufnehmen könnte.

Ein weiterer Bauträger, den wir aufsuchten, beschäftigte sich mit einer breiten Palette fertiggestellter und verkaufter Häuser, die vor allem auf Kunden der oberen Mittelschicht und der oberen Einkommensschicht zugeschnitten sind. Er dringt aber mittlerweile auch aggressiver auf den Markt für bezahlbaren Einstiegswohnraum vor. Insgesamt fanden wir die Expansion bei Wohnbauprojekten in Brasilien ermutigend.

Natürlich muss der Erwerb von Wohneigentum in aller Regel finanziert werden. Es bestehen Bedenken, dass steigende Hypotheken, vor allem durch Finanzierung über staatliche Banken, für manche Familien zur Belastung werden könnten. Die private Verschuldung liegt in Brasilien derzeit bei über 40 Prozent des Einkommens. Rund ein Drittel dieser Schulden entfallen aktuell auf Hypotheken, doch der Anteil nimmt infolge staatlicher Förderprogramme zu.

Konsumstory im Fokus

Als in Brasilien engagierte Anleger betrachten wir distanziert die langfristigen Aussichten des Landes und konzentrieren uns stärker auf die Konsumstory als auf die politischen Entwicklungen. Unseres Erachtens könnte es vielen konsumorientierten Unternehmen im Einzelfall weiter gut gehen, was Bottom-up-Analysen und aktivem Management entscheidende Bedeutung verleiht. Der brasilianische Wohnungsmarkt ist nur ein Beispiel.

Wir nehmen die aktuellen Herausforderungen für Brasilien ebenso wahr wie die Sorge, dass Brasilien auf eine Rezession zusteuern könnte, die den Konsum und die Investitionen gefährden würde. Erhöht die brasilianische Regierung die Steuern in einer wirtschaftlich und sozial heiklen Phase, könnte das zusätzlich belastend wirken.

Wir sind zuversichtlich, dass die vielen positiven Ressourcen und das Potenzial, das Brasilien unserer Ansicht nach bietet, wieder in den Vordergrund treten, und dass die anstehenden sportlichen Großereignisse kräftige Impulse für Reformen, Investitionen und Wachstum im Land geben.


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