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Krankenversicherung: GKV-Schwächen stärken den PKV-Vertrieb

Die private Krankenversicherung (PKV) legt zu: „Aus vertrieblicher Sicht war das vergangene Jahr für die PKV äußerst erfolgreich“, berichtet Alexander Kraus, Fachkoordinator Krankenversicherung beim Kölner Analysehaus Assekurata. „Die Nachfrage nach Zusatzversicherungen stieg 2023 erwartungsgemäß an, doch überraschend war auch der Zuwachs bei der Vollversicherung.“ In ihrem Kerngeschäftsfeld verzeichnet die Branche bereits das sechste Jahr in Folge, dass mehr Menschen aus der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) in die private wechseln als andersherum. Der Wechselsaldo lag bei 49.800 Versicherten (siehe Grafik unten), 19.500 mehr als 2022.

Daher blieb der Vertragsbestand in der Vollversicherung im Jahresvergleich auch nahezu stabil, sank nach Abzug der Sterbefälle dennoch leicht auf 8,7 Millionen Versicherte. Da die Zahl der Zusatzversicherungen um 1,5 Prozent auf 29,6 Millionen stieg, gibt es hierzulande nun insgesamt 38,3 Millionen PKV-Kontrakte. „Immer mehr Menschen nutzen die private Vorsorge, um das Leistungsniveau der GKV aufzustocken“, interpretiert PKV-Verbandschef Thomas Brahm die Zahlen. „Die Versicherten schätzen neben dem hohen Niveau der medizinischen Versorgung auch die Stabilität der lebenslangen Leistungsgarantie in der PKV.“

Leistungslücken der GKV
Das bestätigt Bastian Kunkel: Viele Menschen wünschen sich demnach „eine Gesundheitsabsicherung, bei welcher nicht so einfach einseitig Leistungen gekürzt werden können und gleichzeitig die Beiträge deutlich steigen“, sagt der Gründer und Geschäftsführer von Versicherungen mit Kopf (VMK) Versicherungsmakler im Interview mit DAS INVESTMENT. Nach seiner Ausbildung zum Kaufmann für Versicherungen und Finanzen beim PKV-Marktführer Debeka studierte er Betriebswirtschaftslehre und Recht, bevor er sich beruflich selbstständig machte.
Aktuell beobachtet Kunkel ein besonders hohes Interesse vieler Kassenpatienten: „Wir nehmen wahr, dass das Thema Gesundheit eine noch wichtigere Rolle für die Kunden spielt.“ Doch oftmals weisen ihre Krankenkassen „die ein oder andere Leistungslücke auf, die sehr gut mit einer Zusatzpolice gefüllt werden kann“, berichtet er aus dem Beraterleben. „Mit zunehmendem Stress im Alltag und der Pandemie noch im Nacken wollen die Bürger insgesamt mehr für die Absicherung ihrer Gesundheit tun. Dies ist auch die Hauptmotivation, warum Kunden in die private Krankenversicherung wechseln möchten: Sie suchen die bestmögliche medizinische Versorgung.“
Beitrag auf Rekordniveau
Aber medizinische Spitzenleistungen kann das gesetzliche Kassensystem den Versicherten bereits heute nicht gewähren – und in der Zukunft ist mit weiteren Einschnitten zu rechnen: Seitdem 1989 die Zuschüsse beim Brillenkauf zusammengestrichen wurden, flogen immer weitere Pflichtleistungen peu à peu aus dem Kassenkatalog. Gleichzeitig stiegen die Zusatzbeiträge, die GKV-Kunden seit 2015 als Zuschlag auf den allgemeinen Krankenkassenbeitrag von nach wie vor 14,6 Prozent zahlen. Diesen Extrabeitrag erhöhen die Anbieter der gesetzlichen Gesundheitsvorsorge in der Regel jeweils zum Jahreswechsel, um ihre chronisch klammen Kassen zu füllen.
In diesem Jahr aber musste mehr als die Hälfte aller noch 95 verbliebenen Krankenkassen hierzulande vorab ihre Sätze hochreißen. Im August erhöhte beispielsweise die KKH Kaufmännische Krankenkasse aus Hannover ihren Zusatzbeitrag „noch einmal kräftig auf Rekordniveau“, berichtet das Internetportal Krankenkasseninfo.de. „Die betroffenen Mitglieder zahlen nun den höchsten Beitragssatz unter allen Kassen der gesetzlichen Krankenversicherung.“ Bereits zu Jahresbeginn kletterte der KKH-Zusatzbeitrag auf knapp 2 Prozent. „Nach nur sieben Monaten steigt er noch einmal um mehr als die Hälfte auf 3,28 Prozent.“
Unerwartet hohe Kosten
Nach Angaben der KKH ist die aktuelle „Anpassung des Beitragssatzes auf unerwartet hohe Kostensteigerungen in der gesamten GKV zurückzuführen“. Kostentreiber seien vor allem Ausgaben im Krankenhaus- und Arzneimittelbereich. Zwischen 2012 und 2022 stieg die Zahl der Patienten mit der Diagnose Adipositas unter den rund 188.000 KKH-Versicherten um 41 (Männer) beziehungsweise 26 Prozent (Frauen). Besonders stark wuchsen die Fallzahlen bei Männern im Alter von 25 bis 29 Jahren (69 Prozent) und Frauen zwischen 45 und 49 (47).
Aber ganz egal, ob über-, unter- oder normalgewichtig: Die KKH-Mitglieder und ihre Arbeitgeber müssen jetzt insgesamt 17,88 Prozent des Bruttoverdienstes an die Krankenkasse abführen, die sich aktuell noch 110 Geschäftsstellen und 4.000 Mitarbeiter leistet. Preisführer unter den bundesweit geöffneten Krankenkassen ist hingegen die zwölf Geschäftsstellen und etwa 300 Mitarbeiter zählende BKK Firmus aus Bremen mit einem Zusatzbeitrag von 0,90 Prozent (Gesamtbeitrag: 15,5 Prozent). Es folgen die ebenfalls in Bremen ansässige Handelskrankenkasse (HKK; Zusatzbeitrag: 0,98 Prozent) und die Audi BKK (Zusatzbeitrag: 1,00 Prozent). Auch die letztgenannte Betriebskrankenkasse aus Ingolstadt muss jeden Pflichtversicherten aufnehmen – unabhängig von seiner jeweiligen finanziellen oder gesundheitlichen Situation.
Alternative für Top-Verdiener
Der Kassenwechsel kann sich lohnen: Selbstständige unter den rund 1,6 Millionen KKH-Versicherten zahlen inklusive Pflegebeitrag nun bis zu 1.100 Euro als Monatsbeitrag. Solch ein vierstelliger Euro-Betrag erwartete die Top-Verdiener unter allen insgesamt 58,1 Millionen beitragspflichtigen GKV-Mitgliedern hierzulande erstmals im Januar. Grund dafür war die zum Jahreswechsel von 59.850 auf 62.100 Euro gestiegene Beitragsbemessungsgrenze. Bis zu diesem Jahreseinkommen wird der prozentuale Beitrag zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung vom Monatsbrutto abgezogen.


Pro angeworbenem Neukunden zahlen die Kassen eine Aufwandsentschädigung von bis zu 106,05 Euro. Eine deutlich höhere Provision gibt es für einen vermittelten Systemwechsel von der GKV in die PKV. Infrage kommt das zum Beispiel für Angestellte, die oberhalb der allgemeinen Jahresarbeitsentgeltgrenze von derzeit 69.300 Euro verdienen. Denn ab dieser Verdiensthöhe, die laut einem Referentenentwurf im kommenden Jahr auf 73.800 Euro steigen soll, sind Kassenpatienten keine GKV-Pflichtmitglieder mehr. Diese Kunden mit Wahlrecht sollten sich „die PKV zumindest als Alternative anschauen“, sagt Thomas Wiesemann, Vertriebsvorstand der Allianz, im Interview mit DAS INVESTMENT.
Neuer Tarif nach 15 Jahren
Der Münchner Konzern hat im Mai seine neue Tarifserie Mein Gesundheitsschutz gestartet, die nach etwa 15 Jahren die PKV-Vollkostenversicherungen der Reihe Aktimed ablöste. Mit ihr sollen die Kunden ihre Police flexibel nach einem Baukastenprinzip kombinieren können sowie mehr Familien- und Vorsorgeleistungen und eine Beitragsrückerstattung von bis zu 40 Prozent erhalten. „Endlich hat es die Allianz auch getan“, kommentiert Sven Hennig, Versicherungsmakler aus Bergen auf Rügen. „Insgesamt ist es der Allianz hier gelungen, ein hochwertiges und teilmodulares System zu schaffen, mit dem verschiedene Zielgruppen gleichermaßen angesprochen und versichert werden können.“
Und weiter: „Auch die Prämien scheinen hier gut zu passen.“ Allerdings stehen nicht nur die gesetzlichen Kassen vor allgemeinen Problemen wie der sogenannten medizinischen Inflation, die Therapien, Medikamente oder Hilfsmittel stark verteuert. „Wir beobachten derzeit einen deutlichen Anstieg bei den Leistungsausgaben – also eine ähnliche Entwicklung wie die gesetzlichen Kassen“, erklärt Holger Eich, Chef-Mathematiker des PKV-Verbands. „Daher erwarten wir im Jahr 2025 steigende Beiträge.“
PKV-Gesamtzahl steigt auf 38,3 Millionen

Krankenkassen ziehen Preise an

Die Versicherungsleistungen der PKV-Branche stiegen 2023 deutlich um 8,1 Prozent auf 36,0 Milliarden Euro. Doch: „Im Zweifel wird ein höherer Zins eine notwendige Beitragserhöhung mindern“, wendet Eich ein. Hiervon profitieren die Körperschaften des öffentlichen Rechts im GKV-Markt hingegen nicht. Denn während die PKV-Branche allein rund 328 Milliarden Euro für die Alterungsrückstellungen ihrer Kunden verzinst am Kapitalmarkt anlegt, wird die Gesetzliche eigentlich nach dem Umlageverfahren finanziert – und ist abhängig von laufenden Finanzspritzen aus Steuermitteln.

Trotz des Bundeszuschusses von aktuell 14,5 Milliarden Euro dürfte der GKV-Gesamtbeitrag von durchschnittlich 16,3 Prozent 2025 auf 16,9 Prozent steigen, erwartet die Krankenkasse DAK-Gesundheit. Binnen zehn Jahren droht sogar ein Sprung auf 19,3 Prozent im Marktdurchschnitt. Aber auch die PKV hat mit Beitragssteigerungen zu kämpfen. Eine langfristige Analyse des PKV-Verbands zeigt, dass die Beitragseinnahmen je Privatversicherten zwischen 2004 und 2024 um durchschnittlich 2,8 Prozent pro Jahr gestiegen sind. Zum Vergleich: In der GKV waren es 3,2 Prozent.