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Kreislauf des Grauens Wallwitz, Reuss und Pesarini über drohende Deflation

Von links: Michael Reuss (Huber, Reuss & Kollegen), Georg Graf von Wallwitz (Eyb & Wallwitz) und Luca Pesarini (Ethenea) samt Redakteur Ansgar Neisius (Fotos: Jürgen Heppeler)
Von links: Michael Reuss (Huber, Reuss & Kollegen), Georg Graf von Wallwitz (Eyb & Wallwitz) und Luca Pesarini (Ethenea) samt Redakteur Ansgar Neisius (Fotos: Jürgen Heppeler)
DAS INVESTMENT.com: Ende März ist die Inflation in der Eurozone auf kümmerliche 0,5 Prozent gefallen, liegt weit weg vom EZB-Ziel der 2 Prozent. Ist die Angst vor Deflation gerechtfertigt?

Georg Graf von Wallwitz: Zumindest die EZB sieht mittlerweile ein gewisses Risiko für Deflation. Das kann man aus Äußerungen von EZB-Verantwortlichen in den vergangenen Monaten schließen. Ebenso, dass sie das Risiko einer Deflation höher einschätzen als das einer Inflation. Wie groß ist das Risiko? Wir würden es bei rund 20 Prozent veranschlagen. Sicherlich ist es groß genug, um Portfolios dagegen abzusichern.

Luca Pesarini: Entscheidend ist in meinen Augen, ob man das Problem im Norden oder im Süden betrachtet. In Nordeuropa ist die Gefahr einer Deflation nicht so ausgeprägt. Die Wirtschaft läuft rund, die Arbeitslosigkeit ist gering. Im Süden dagegen ist die Deflation bereits omnipräsent. Und sie wird sich noch verschlimmern, fürchte ich. Man kann also nicht sagen, dass Deflation ein gesamteuropäisches Problem ist. Stattdessen muss man auf einzelne Länder schauen.



von Wallwitz: Die EZB definiert Deflation als eine sich selbst verstärkende Preisspirale nach unten, in einer Mehrheit der Länder oder Branchen. Derzeit erleben wir so etwas in Irland, Portugal und Griechenland. Das reicht aber nicht für eine Mehrheit. Etwa 20 Prozent der Branchen erleben fallende Preise. Und das ist wahrscheinlich das, womit man umgehen muss.

Michael Reuss: Für mich ist wichtig, herauszufinden, in welcher Phase der Entwicklung wir uns derzeit befinden. Mit einer Teuerung von 0,5 Prozent erleben wir derzeit noch eine Disinflation. In vielen Ländern der Eurozone sinkt die Teuerungsrate Schritt für Schritt. Gleichzeitig verringern die Staaten ihre Ausgaben und die Kreditvergabe sinkt.

Zudem bekommen wir derzeit Druck vom starken Euro, weil global ein Währungskrieg aus-gefochten wird. So hat der japanische Yen gegenüber dem Euro um knapp 40 Prozent abgewertet. Das stellt auch deutsche Exportunternehmen vor massive Probleme.

Nehmen Sie als Beispiele den Augsburger Maschinenbauer Kuka sowie sein japanisches Pendant Fanuc. Letzteres kann seit der Yen-Abwertung seine Produkte am Weltmarkt um besagte 40 Prozent billiger anbieten. Das sind deflationäre Kräfte, die da wirken. Insofern ist die Vorsicht der EZB vor den Risiken einer Deflation begründet.

DAS INVESTMENT.com: Warum hat die EZB bisher allerdings nicht den Eindruck erweckt, dass sie in Alarmbereitschaft ist?

Reuss:
Was ist das Schlimmste in einer Phase der drohenden Deflation? Doch wohl, dass alle darüber sprechen. Mario Draghi tut also gut daran, sich nicht hinzustellen und zu sagen, dass er Angst vor Deflation hat. Stattdessen muss er der Öffentlichkeit signalisieren, dass er die Deflationstendenzen für beherrschbar hält – was sie derzeit wahrscheinlich sogar noch sind.

Pesarini:
Ich glaube, dass unser Hauptproblem der Währungskrieg ist. Alle gegen alle. Keine Gefangenen. Die einen haben Waffen und nutzen sie. Sie drucken Geld, setzen ein Programm namens Quantitative Easing ein. Die anderen, beispielsweise Hongkong, Singapur, die Schweiz oder Norwegen, koppeln sich an eine Weltwährung.

Andere wiederum haben keine Waffen. Ihnen bleibt das laute Brüllen, vielleicht kann man das Gegenüber damit ein wenig erschrecken und verunsichern. Mehr aber auch nicht. In einer solchen Situation befindet sich EZB-Präsident Mario Draghi. Er kann nicht wirklich etwas einsetzen. Deswegen geht er verbal vor, was 2011 bestens funktioniert hat.

Das Bizarre an der gesamten Situation ist, dass wir vor zwei Jahren noch über die Implosion des Euro und die kommende Inflation heftig diskutiert haben. Jetzt sprechen wir über Deflation. Mir scheint, dass vieles zu kurzfristig betrachtet wird. Keiner macht sich Gedanken, was aus solchen Entwicklungen langfristig folgt.

Reuss: Auch ist ein detaillierterer Blick notwendig. Unterscheiden muss man, ob man über Vermögens- oder Konsumgüterpreise spricht. Bei den Vermögenspreisen haben wir zuletzt aufgrund der Geldmenge einen inflationären Trend gesehen. Beispiel Gold. Zwar ist der Preis des Edelmetalls im vergangenen Jahr um 30 Prozent eingebrochen. Aber er ist immer noch sehr hoch. Auch bei Aktien und Immobilien, vor allem an gefragten Standorten wie Berlin oder München, gibt es eine Vermögenspreisinflation.

Eine Teuerung der Konsumgüter würde man gerne erzeugen. Das ist das Ziel der Staaten – die Inflationierung der Verbindlichkeiten. Derzeit gibt es bei Konsumgütern allerdings eher deflationäre Tendenzen.

von Wallwitz: Ich glaube nicht, dass das Ziel der Politik eine Inflation ist. Es ist nicht allzu schwierig, Inflation zu kreieren. Wenn sie gewollt wäre, würden sich in Europa längst die Preise verteuern. Stattdessen haben in der EZB die Gläubigerländer das Sagen. Und die haben kein Interesse an Inflation. Deswegen halte ich es schlicht für falsch, anzunehmen, dass die EU-Staaten oder die EZB versuchen, ihre Staatsschulden wegzuinflationieren.
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