Volkswirt Thorsten Polleit
So funktioniert die Kriegswirtschaft
Thorsten Polleit ist Chefvolkswirt von Degussa Goldhandel. Foto: Degussa Goldhandel
Wladimir Putin richtet die volkswirtschaftliche Produktion in Russland zusehends per Staatseingriff auf Waren aus, die für den Ukraine-Krieg nötig sind. Experten sprechen in diesem Zusammenhang gerne von Kriegsökonomie. Hier erklärt Thorsten Polleit von Degussa Goldhandel, wie die Wirtschaftsordnung funktioniert.
Im ZDF wurde jüngst folgende Frage erörtert: Braucht Deutschland eine Kriegswirtschaft? Auch Wolfgang Ischinger, früherer Top-Diplomat und langjähriger Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, griff die Frage auf. Manfred Weber, Vize-Chef der bayerischen CSU, sagte: „Wir brauchen – auch wenn der Begriff kein einfacher ist – eine Art Kriegswirtschaft in der EU, um Stabilität und Sicherheit gewährleisten zu können“. Aus rein ökonomischer Sicht hätte die Einrichtung einer Kriegswirtschaft für die Volkswirtschaften des Westens tiefgreifende Folgen. Zwei Aspekte sind in diesem Zusammenhang von besonderer Bedeutung: Die Einführung einer allgemeinen Wehrpflicht und die Art und Weise, wie die Kriegswirtschaft...
Märkte bewegen Aktien, Zinsen, Politik. Und Menschen. Deshalb präsentieren wir dir hier die bedeutendsten Analysen und Thesen von Top-Ökonomen - gebündelt und übersichtlich. Führende Volkswirte und Unternehmensstrategen gehen den wichtigen wirtschaftlichen Entwicklungen clever und zuweilen kontrovers auf den Grund.
Da diese Artikel nur für Profis gedacht sind, bitten wir Sie, sich einmalig anzumelden und einige berufliche Angaben zu machen. Geht ganz schnell und ist selbstverständlich kostenlos.
Im ZDF wurde jüngst folgende Frage erörtert: Braucht Deutschland eine Kriegswirtschaft? Auch Wolfgang Ischinger, früherer Top-Diplomat und langjähriger Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, griff die Frage auf. Manfred Weber, Vize-Chef der bayerischen CSU, sagte: „Wir brauchen – auch wenn der Begriff kein einfacher ist – eine Art Kriegswirtschaft in der EU, um Stabilität und Sicherheit gewährleisten zu können“. Aus rein ökonomischer Sicht hätte die Einrichtung einer Kriegswirtschaft für die Volkswirtschaften des Westens tiefgreifende Folgen. Zwei Aspekte sind in diesem Zusammenhang von besonderer Bedeutung: Die Einführung einer allgemeinen Wehrpflicht und die Art und Weise, wie die Kriegswirtschaft finanziert wird. Wie die nachfolgende, rein ökonomische Betrachtung deutlich macht, können beide Aspekte zu einer zunehmenden Abkehr von marktwirtschaftlichen Grundlagen führen und Wohlstand und Freiheit der Bürger und Unternehmer erheblich einschränken. Für eine abschließende Diskussion sind die Überlegungen in diesem Artikel natürlich durch politische Aspekte zu ergänzen.
Wie der Krieg im 19. Jahrhundert funktionierte
Noch gegen Ende des 19. Jahrhunderts war der Heereskrieg die vorherrschende Kriegsform. Kriegshandlungen waren auf Söldnerheere beschränkt. Die Zivilbevölkerung nahm nicht aktiv am Kriegsgeschehen teil. Man unterschied zwischen kämpfenden Soldaten (Kombattanten) und nicht-kämpfenden Bürgern (Nicht-Kombattanten). Zwar wurde bei Heereskriegen die Zivilbevölkerung oft ebenfalls in Mitleidenschaft gezogen, dennoch gab es die allseits anerkannte Trennung zwischen Kombattanten und Nicht-Kombattanten.
Das änderte sich mit der Idee, der Krieg solle nicht mehr nur Angelegenheit zwischen kriegsführenden Söldnerheeren sein, sondern alle Personen angehen, die irgendwie tauglich sind. Die alles verändernde Idee war die allgemeine Wehrpflicht. Das bedeutet, dass der Staat zunächst nur einen Teil der wehr- und kriegsfähigen Personen einzieht und für die Kriegsführung schult. Doch dabei bleibt es im Ernstfall nicht. Man denke beispielsweise an die Geschehnisse im Ersten und Zweiten Weltkrieg: Der Staat zog immer mehr wehr- und kriegstaugliche Männer ein. Dadurch wurden die Arbeitskräfte im Hinterland, die für die Versorgung von Armee und Zivilbevölkerung benötigt wurden, zusehends knapp.
Daraufhin begann der Staat, nicht nur zwischen Kriegstauglichen und Nicht-Kriegstauglichen zu unterscheiden, sondern auch zwischen abkömmlichen und unabkömmlichen Bürgern. Die für die Versorgung der Armee unabkömmlichen Männer wurden nicht in die Kampftruppen eingereiht und die als abkömmlich eingestuften Männer zogen in den Krieg. Die Militärführung verfügte damit unmittelbar über die Verwendung und Einteilung der Arbeitskräfte. Diese Aufgabe erfüllte also nicht mehr das Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage im freien Arbeitsmarkt. Doch damit nicht genug: Gibt es eine allgemeine Wehrpflicht, soll jeder, der kriegstauglich ist, Krieger werden.
So führt der Staat die Wehrpflicht ein
Daher befehligt die Militärführung bald, dass einige der Arbeiten im Hinterland, die bislang von unabkömmlichen wehr- und kriegstauglichen Männern wahrgenommen wurden, auch von den bislang als nicht kriegstauglich angesehenen Personen (Frauen, Alten, Kranken, Schwachen, Kindern) übernommen werden. Der Anteil der für die Kriegshandlungen Abkömmlichen an der Gesamtbevölkerung steigt, und entsprechend nimmt der Anteil der für die Kriegshandlungen Unabkömmlichen ab. Und weil dadurch auch die eigentlich Kriegsuntauglichen zusehends einem Dienstzwang zu Erledigung der Arbeiten, die von der Militärführung für die Kriegsführung als unverzichtbar angesehen werden, unterworfen werden, untersteht der Militärführung dann früher oder später die ganze Bevölkerung.
Unter dieser Bedingung kann die Mobilmachung allumfassend sein: Die gesamte Bevölkerung kann in die Kriegsführung beziehungsweise in die Erzeugung der Güter, die zur militärischen Kampfführung erforderlich sind, einbezogen werden. So gesehen kann die allgemeine Wehrpflicht – wenn sich ihre Logik im Ernstfall schrankenlos entfaltet – eine ungewollte Folge haben: Denn jede der Kriegsparteien wird dann nicht nur die Soldaten des gegnerischen Landes als Kombattanten ansehen, sondern auch dessen Zivilbevölkerung.
Über den Autor