Wirtschaftswissenschaftler Thorsten Lange
Stresstest für den Wohnungsmarkt

Thorsten Lange arbeitet als Analyst bei der DZ Bank. Foto: DZ Bank
Der steile Zinsanstieg beendet den Preisauftrieb von Wohnimmobilien. Jetzt sinken die Preise, gebremst vom knappen Angebot. Zudem würgen steigende Finanzierungs- und Baukosten den Neubau ab. Dabei steigt der Wohnungsbedarf durch ukrainische Kriegsflüchtlinge. Hier gibt Thorsten Lange von der DZ Bank einen Überblick über aktuelle Trends am Immobilienmarkt.
Das Thema Nachhaltigkeit bewegt Unternehmen, Kapitalmärkte, Gesetzgeber. Und Menschen. Deshalb präsentieren wir dir hier die Analysen und Thesen der bedeutendsten Nachhaltigkeitsexperten, Top-Ökonomen und Großinvestoren – gebündelt und übersichtlich. Sie sollen dir die wichtigen Entwicklungen auf dem Weg zur nachhaltigen Gesellschaft und Finanzwelt clever und zuweilen kontrovers aufzeigen.
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Für eigenkapitalstarke Käufer bietet das aktuelle Marktumfeld Chancen, weil die Verkäufer verhandlungsbereiter werden sollten. Eigenmittelschwache Kaufinteressenten müssen dagegen über ein hohes Einkommen verfügen, um nicht an den viel höheren Kreditraten zu scheitern. Für viele Familien dürfte das Eigenheim daher in weite Ferne rücken. Freibeträge für Erstkäufer bei der Grunderwerbsteuer könnten hier helfen. Der Schaden für die öffentlichen Kassen hielte sich sogar in Grenzen, weil ausbleibende Immobilienkäufe mangels Finanzierbarkeit ebenfalls geringere Einnahmen bei der Grunderwerbsteuer nach sich ziehen.
Gedämpfter Neubau verschärft Anspannung am Wohnungsmarkt
Nicht nur der Eigenheimkauf, sondern auch das Mieten von Wohnungen wird noch schwieriger. Durch den kräftigen Zuzug und den zugleich verlangsamten Neubau wird der für einen funktionierenden Wohnungsmarkt erforderliche Leerstand weiter abschmelzen, sodass die Chancen für Neubürger und Umzugswillige auf eine passende Wohnung sinken. Das ohnehin anspruchsvolle Neubauziel der Regierung von 400.000 Wohnungen jährlich inklusive 100.000 Sozialwohnungen ist angesichts der stark gestiegenen Bau- und Finanzierungskosten als utopisch hoch einzuschätzen.
Die im „Bündnis für bezahlbares Wohnen“ vorgesehene Förderung des sozialen Wohnungsbaus oder der Maßnahmen zum innovativen und seriellen Bauen sind perspektivisch hilfreich, doch sie wirken nur langsam. Damit können viele Hemmnisse, die jetzt den Wohnbau bremsen, nicht überwunden werden. Neben gestiegen Bau- und Finanzierungskosten zählen ein Wust von zigtausenden Bauvorschriften, höheren Neubau-Standards oder auch die gekappte Effizienzhaus-Förderung dazu. Wenig förderlich ist der mit Mietpreis- und Kappungsgrenzen, Umwandlungsverboten oder Milieuschutzsatzungen überregulierte Wohnungsmarkt. Die Folgen sind vielfältig. So fehlen in vielen Städten große Wohnungen. Diese werden nicht selten von Senioren mit Uralt-Mietverträgen bewohnt, die durch den gewaltigen Abstand von Bestands- und aktueller Marktmiete kaum einen wirtschaftlichen Anreiz zum Umzug in kleinere Wohnungen haben.
Bislang nahmen Investoren vieles in Kauf. Schließlich galt der deutsche Immobilienmarkt als krisenfest und konnte durch den wegen negativer Kapitalmarktrenditen hohen Anlagedruck erhebliche Immobilieninvestitionen auf sich ziehen. Die niedrigen Mietrenditen konnten zudem mit günstigem Fremdkapital nach oben gehebelt werden. Doch diese Zeiten sind vorüber. Die äußerst schwierigen Rahmenbedingungen bei Wohnbauprojekten könnten Projektentwickler veranlassen, sich im Zweifel eher für unregulierte Büroprojekte zu entscheiden. Moderne Büroflächen sind knapp, die Mieten steigen auch hier kräftig und sind zudem inflationsindexiert.
Wer schon eine Weile im Eigenheim lebt, ist meist fein raus. Mit den Wertsteigerungen der zurückliegenden Jahre – oft im sechsstelligen Bereich – lassen sich moderate Preisrückgänge, etwas höhere Zinsen oder die Kosten für eine neue Heizung einigermaßen gelassen verschmerzen. Für Kaufwillige sieht es schlechter aus, weil sie ihr Immobilienprojekt entweder verkleinern, vertagen oder aufgeben müssen. Besonders ungünstig sind jedoch die Aussichten für die Suche nach einer Mietwohnung, vor allem, wenn sie günstig sein muss. Das Angebot wird knapper, die Mieten steigen weiter und die Heizkosten von älteren Bestandswohnungen sind oft erhöht. Die goldenen Zeiten am Immobilienmarkt sind vorüber, Wohnen wird für alle teurer. Zudem ist die Unsicherheit angesichts stark veränderter Immobilienmarktbedingungen und der Kumulation vieler Krisen hoch.
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