Krisenprogramm der EZB Das sagen Finanzexperten zu den neuen Anleihekäufen
„Auf den Spuren der Reichsbank“
Thorsten Polleit, Chefvolkswirt bei Degussa Goldhandel:
„Allein das PEPP-Programm entspricht einem Betrag, der etwa 10 Prozent der Euro-Geldmenge M3 ausmacht. Hinzu kommen die laufenden Anleihekäufe in Höhe von derzeit 140 Milliarden Euro, die – auf zwölf Monate hochgerechnet – ebenfalls etwa 10 Prozent der Euro-Geldmenge M3 entsprechen. Eine gewaltige monetäre Expansion! Im Kern heißt das: Die EZB-Geldpolitik finanziert die Neuverschuldung der Euro-Staaten mit der elektronischen Notenpresse.
Man mag geneigt sein zusagen, dass in der aktuellen Krisenlage der „Zweck die Mittel“ heiligt. Doch das ist bekanntlich ein gefährlicher, unzivilisierter Grundsatz: Denn nach ihm wäre auch gerechtfertigt, die Kaufkraft des Euro zu ruinieren, um die Staatskassen liquide zu halten.
Besonders problematisch ist bei all dem, dass jede Begrenzung für die Staatsverschuldung aufgehoben ist: Bereits am 23. März 2020 haben die EU-Finanzminister den Stabilitätspakt, der bisher der Neuverschuldung (zumindest auf dem Papier) Einhalt geboten hat, außer Kraft gesetzt. Jedes Euro-Land hat nun einen besonderen Anreiz, viele neue Schulden zu machen, zumal die EZB ja auch die Kreditzinsen auf beziehungsweise unter die Nulllinie gesetzt hat.
Die EZB-Geldpolitik, die die Staatsschulden finanziert, erinnert verdächtig an die Deutsche Reichsbank. Sie hatte auch nach Ende des Ersten Weltkrieges in ganz großem Stil Staatsschulden aufgekauft und mit neuem Geld bezahlt. Das führte erst zu Hochinflation, dann zu Hyperinflation, die die Kaufkraft der Mark völlig zerstörte.
„Entscheidung ohne Fingerspitzengefühl“
Markus Ferber, Europaabgeordneter der CSU:
„Dass die EZB genau das Programm ausweitet, bei dem es die geringsten Leitplanken gibt, ist mehr als unglücklich. Wenn die EZB langfristig und systematisch vom Kapitalschlüssel der EZB abweicht und keine Obergrenzen setzt, muss sie sich den Vorwurf der monetären Staatsfinanzierung gefallen lassen. Mit dieser Entscheidung bewegt sich die EZB auch immer weiter von den Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs weg. Bisher waren die Auswirkungen der Anleihenkäufe auf die Zinskurve und auf das Inflationsniveau sehr überschaubar. Ob immer mehr derselben Medizin tatsächlich die Lösung ist, ist mehr als zweifelhaft.
Gerade vor dem Hintergrund der aufgeheizten politischen Diskussion rund um das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Anleihenkaufprogramm hätte der EZB ein wenig Fingerspitzengefühl gut zu Gesicht gestanden. Das PEPP-Aufkaufprogramm ist zudem noch zu zwei Dritteln ungenutzt. Es ist keineswegs so, dass der EZB das Pulver ausgegangen wäre, wenn sie heute nicht das Programm ausgeweitet hätte. Die EZB wollte hier wohl auch ein politisches Signal setzen.“
„Hohe Markterwartungen übertroffen“
Wolfgang Bauer, Fondsmanager Anleihen bei M&G Investments:
„Natürlich ist es aus Sicht der EZB sinnvoll, den Schwerpunkt auf PEPP-Käufe zu legen. Angesichts der aktuell so unsicheren Wirtschafts- und Inflationsaussichten ist Flexibilität besonders wichtig. Und das unterscheidet das PEPP von anderen Kaufprogrammen. Wenn es hart auf hart kommt, könnte die EZB vom Kapitalschlüssel abweichen und beispielsweise mehr PEPP-Käufe von Staatsanleihen europäischer Peripherieländer vornehmen.
Folglich werteten die Anleihemärkte die heutige Aufstockung des PEPP als positives Zeichen für italienische BTPs, deren Risikoaufschlag gegenüber Bundesanleihen sogleich um etwa 20 Basispunkte fiel. Zum Thema mehr Flexibilität bei der Kreditqualität von Unternehmensanleihen machte Präsidentin Lagarde in der heutigen Sitzung deutlich, dass die EZB zumindest vorläufig nicht bereit ist, den Rubikon zu überschreiten, wenn es um den Kauf von Sub-Investment-Grade-Anleihen geht.
Weil sich die Renditeaufschläge europäischer Hochzinsanleihen seit März so stark erholt haben – der iTraxx Xover sank von über 700 auf etwa 375 Basispunkte – könnte es an der Zeit sein, Bestände zu reduzieren und Gewinne mitzunehmen. Da der technische Rückenwind durch EZB-Käufe fehlt, könnte die Anlageklasse anfälliger sein für eine eventuelle Verschlechterung der COVID-19-Situation oder für Wirtschaftsdaten, die schlechter ausfallen, als erwartet.“