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Prognosen: Welche Produktivitätsgewinne durch KI?

Die generative KI hat einen enormen Hype ausgelöst. Selbst wenn sich manche Vorhersagen als zu hoch gegriffen erweisen, sind wir überzeugt, dass generative KI das Wirtschaftswachstum auf mittlere Sicht kräftig antreiben wird.

KI wird Routineaufgaben automatisieren, Abläufe optimieren und eine effizientere Ressourcennutzung ermöglichen – durchweg Faktoren, welche die Produktivität der Wirtschaft steigern. Das ist wichtig, denn die Arbeitsleistung pro Kopf wird mit dem demografischen Wandel abnehmen.
Wie groß der wirtschaftliche Einfluss der KI tatsächlich sein und wann er spürbar wird, ist vorerst umstritten. KI setzt sich allerdings rasant durch: 24 Monate nach der Einführung kam ChatGPT in den USA auf einen Nutzeranteil von rund 40 Prozent – doppelt so hoch wie der Anteil der Internetnutzer nach einem ähnlichen Zeitraum. Fast jeder Vierte hatte KI in der Woche vor der Umfrage mindestens einmal genutzt, und mehr als jeder Zehnte nutzt sie täglich bei der Arbeit (Bick et al., “The Rapid Adoption of Generative AI”).
In bestimmten Nischen sind die wirtschaftlichen Auswirkungen der KI bereits spürbar. So verlor der US-Bildungstechnologieanbieter Chegg 99 Prozent seines Werts, nachdem Schüler und Studierende für Hilfe bei Hausaufgaben und Hausarbeiten zunehmend auf ChatGPT setzen. Doch bisher hat generative KI vor allem im privaten Bereich Einzug gehalten, während sich Unternehmen außerhalb der Technologiebranche eher zurückhalten.
Die Produktivitätsdebatte
Das hat die Fachwelt jedoch nicht daran gehindert, Vorhersagen über die transformativen Effekte zu treffen. Verschiedene Wissenschaftler und Beratungsfirmen haben versucht, die Auswirkungen der KI auf die wirtschaftliche Produktivität zu prognostizieren. Insgesamt gehen sie von erheblichen wirtschaftlichen Gewinnen aus – mit einer bemerkenswerten Ausnahme: Daron Acemoglu, Wirtschafts-Nobelpreisträger 2024, schätzt den jährlichen Produktivitätszuwachs in den USA in den kommenden zehn Jahren auf lediglich 0,07 Prozent (Acemoglu 2024, The Simple Macroeconomics of AI). Dagegen sagen die Wissenschaftler Aghion und Bunel (Aghion and Bunel 2024, AI and Growth: Where Do We Stand?) aus dem Gegenlager den USA für denselben Zeitraum mit derselben Methodik jährliche Produktivitätssteigerungen von 0,68 Prozent voraus. Nach Schätzungen der Industrie rangieren die jährlichen Produktivitätssteigerungen zwischen 0,5 und 3,4 Prozent, mit Schwerpunkt im Bereich von 0,7 bis 1,3 Prozent.
Am wahrscheinlichsten erscheint uns, dass die Produktivität in den nächsten Jahren nur langsam zu- oder sogar abnehmen wird und danach ein Schneeballeffekt einsetzt.
Bevor wir Produktivitätszuwächse erwarten können, müssen wir lernen, welche Fähigkeiten die KI überhaupt bietet und wie sie sich nutzen und in verschiedene Funktionen integrieren lässt. Diese Dynamik hat sie allen großen Innovationen gemein – von der Dampfkraft bis zum Silizium. Entscheidend ist, wie schnell sich diese Effekte einstellen, denn die Durchsetzung neuer Technologien ist mitunter ein langsamer Prozess.
Zunächst jedoch werden die Investitionen in die Stromversorgung und die Chips, die für KI-Systeme benötigt werden, die gesamtwirtschaftliche Produktivität bremsen, wobei KI-Firmen sogar davon sprechen, eigene Kraftwerke zu betreiben. Bertin Martens von der Universität Tilburg in den Niederlanden argumentiert in einem kürzlich erschienenen Artikel, dass „die aktuelle Entwicklung der Investitionskosten ohne signifikante Produktivitätssteigerungen nicht durchzuhalten sei“ (Martens 2024, The tension between exploding AI investment costs and slow productivity growth). Er kalkuliert, „dass 3 Prozent Produktivitätswachstum jährlich in den Industrieländern bis 2030 erforderlich wären, um die extrapolierten Kosten von KI-Modellen zu tragen.“
Zum zusätzlichen kurzfristigen Kostenfaktor für diese Investitionen könnte eine höhere Inflation werden, besonders wenn entsprechende Produktivitätssteigerungen ausbleiben. Längerfristig dürfte der Produktivitätsanstieg jedoch inflationshemmend wirken, wenn die Löhne nicht ebenso schnell steigen, wovon wir ausgehen.
Friktionen am Arbeitsmarkt
Verwerfungen am Arbeitsmarkt dürften sich als weitere kurzfristige Zusatzkosten von Produktivitätssteigerungen durch generative KI erweisen. Ein Sektor, in dem die Gefährdung der Arbeitsplätze besonders auf der Hand liegt, ist der Verkehr. Voll autonome Fahrzeuge sind bereits in mehreren Städten im Einsatz und dürften sich aufgrund von KI weiter verbreiten. Allein in den USA gibt es rund 4 Millionen Arbeitsplätze für Kraftfahrer, darunter 3,1 Millionen Lkw-Fahrer, so das Occupational Outlook Handbook. Für Berufskraftfahrer bedeutet der Einsatz von KI oft den Verlust der Existenzgrundlage – für Pendler hingegen bringt er einen spürbaren Gewinn an Zeit und Komfort. Wer autonome Fahrzeuge nutzt, gewinnt pro Tag im Durchschnitt eine zusätzliche Stunde, die sich produktiver oder angenehmer verbringen lässt, als sich auf den Straßenverkehr konzentrieren zu müssen (Zhang and Steinbach 2024, American Driving Survey: 2023, Washington, DC, AAA Foundation for Traffic Safety).
Wo die größten Gewinne durch den KI-Einsatz anfallen, ist derzeit nicht ganz klar. Anzeichen deuten darauf hin, dass KI dazu beitragen kann, gering qualifizierte Arbeitskräfte auf den Durchschnitt zu heben – ebenso könnte KI sie aber auch komplett ersetzen. In einigen Branchen werden höher Qualifizierte ihre Routineaufgaben an die KI abgeben können, um sich auf Tätigkeiten zu konzentrieren, die echten Mehrwert schaffen.
Fleißige KI
Die Branchen mit den höchsten KI-Investitionen – Gesundheitswesen, Pharma, Biotechnologie, IT-Infrastruktur und -Hosting, Medien, soziale Plattformen und Marketing – dürften auch die größten Produktivitätssteigerungen und die stärksten Auswirkungen auf ihre Arbeitskräfte verzeichnen.
McKinsey hat Branchenexperten dazu befragt, wie sie die Auswirkungen der generativen KI auf den erwarteten Umsatz der einzelnen Branchen einschätzen (McKinsey 2024, The economic potential of generative AI – The next productivity frontier). Am stärksten profitiert demnach die Hightech-Branche mit einem Umsatzanstieg von 4,8 bis 9,3 Prozent, gefolgt von Pharma und Medizinprodukten mit 2,6 bis 4,5 Prozent, dem Gesundheitswesen mit 1,8 bis 3,2 Prozent sowie Medien und Unterhaltung mit 1,8 bis 3,1 Prozent.
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