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KI-Experte René Jansen im Interview

DAS INVESTMENT: René, hast Du auf der Maklermesse MMM neue Erkenntnisse zum Thema KI gewonnen oder entsprach das Präsentierte deinen Erwartungen?
René Jansen: Inhaltlich habe ich nichts grundlegend Neues gehört. Dafür hat die Fonds Finanz die Weiterentwicklungen in ihrem AI-Hub vorgestellt und im Vergleich zur letzten Messe ist eine deutliche Professionalisierung beim Thema Künstliche Intelligenz im Vermittlervertrieb erkennbar. Überfüllte Vortragsräume zeigen: KI ist in aller Munde und in praktisch jedem Vortrag präsent. Die meisten haben verstanden, dass diese Technologie gekommen ist, um zu bleiben.
Gerade im Versicherungsbetrieb reicht es nicht, einzelne Insellösungen zu etablieren. KI entfaltet erst ihr volles Potenzial, wenn sie gezielt in klar definierte, miteinander verbundene Prozessketten integriert wird. So lassen sich nicht nur einzelne Aufgaben beschleunigen, sondern es entsteht ein echter strategischer Mehrwert für das gesamte Unternehmen. Es wäre wichtiger, zunächst zu analysieren: Wo steht mein Unternehmen überhaupt? Welche Prozesse habe ich etabliert? Und mit welchem Ziel setze ich KI im Unternehmen ein?
Beobachtest Du bei den Messebesuchern ein ausreichendes Problembewusstsein für den Umgang mit KI? Oder folgen viele unreflektiert den präsentierten Lösungen, weil ihnen selbst das Grundverständnis fehlt?
Jansen: Bei vielen fehlt das Grundverständnis, wie KI funktioniert und woher sie ihre Informationen bezieht. Entscheidende Fragen zum Urheberrecht, zur Datenherkunft oder zum Datenschutz werden kaum gestellt. Wie zum Beispiel geht man mit inhaltlich fehlerhaften KI-Antworten um, die ich an Kunden weitergegeben wurden. Dieses kritische Problembewusstsein fehlt weitgehend.
Welche Fragen werden denn gestellt?
Jansen: Die Teilnehmer interessieren sich hauptsächlich dafür, was mit KI leichter und schneller erledigt werden kann – etwa das einfachere Versenden von Briefen oder die Automatisierung wiederkehrender, rudimentärer Tätigkeiten. Dies sind genau die Anwendungsfälle, für die KI im ersten Schritt auch konzipiert wurde: Routinearbeiten vereinfachen, um mehr Zeit für die Themen Vertrieb und Kundenbindung zu schaffen. Wer zum ersten Mal mit diesen Tools arbeitet, ist oft begeistert von der Qualität und Effizienz – neigt aber auch dazu, Inhalte ungeprüft zu übernehmen und weiterzugeben.
„Wer zum ersten Mal mit diesen Tools arbeitet, neigt dazu, Inhalte ungeprüft zu übernehmen und weiterzugeben“
Und daraus resultieren sicherlich Probleme, oder?
Es birgt erhebliche Risiken: Wenn etwa eine KI-generierte Antwort unbemerkt falsche Informationen enthält und ungeprüft an Kunden weitergegeben wird, drohen potenzielle Haftungsrisiken, Imageschäden und Vertrauensverlust. Ein Vermittler, der ungeprüfte KI-Ergebnisse einsetzt, könnte sich plötzlich in einer schwierigen rechtlichen Situation befinden.
Wie bist Du persönlich zum Thema KI gekommen und wie kam es dazu, dass Du dich als Berater in diesem Bereich selbstständig gemacht hast?
Jansen: Ich war schon immer sehr offen für technologische Entwicklungen. Da merke ich jetzt mit 50 Jahren echte Unterschiede zu meinen Kollegen und Freunden. Vor acht Jahren habe ich meine sichere Position in einem Versicherungskonzern aufgegeben, um bei einem Insurtech einzusteigen, das sich auf Digitalisierung und Automatisierung konzentrierte. Dort sollte ich meine Versicherungsfachlichkeit der vergangenen Jahre einbringen und mit der digitalen Transformation verbinden. In diesem Umfeld bin ich vor etwa fünf Jahren intensiver mit dem Thema Künstlicher Intelligenz in Berührung gekommen und habe mich eingehend damit beschäftigt.
Als ich dann die ersten Vorträge aus den Facebook-Gruppen von Andreas Lohrenz heraus zum Thema KI auf Vermittlertagen hielt, wurde mir klar, dass die Menschen Orientierung in diesem Bereich suchen. Der typische Vermittler probiert etwas aus, meistens mit ChatGPT, trägt dort das eine oder andere ein, ist vom Ergebnis begeistert, macht sich aber keine Gedanken darüber, wie das ganzheitlich ins Unternehmen zur Unterstützung integriert werden sollte. Daraus wurde mein Beratungsansatz. Ich arbeite eng mit einem IT-Dienstleister aus Norddeutschland zusammen und helfe dabei, KI zunächst kennenzulernen, sie richtig einschätzen und dann strategisch sinnvoll im Arbeitsalltag einzusetzen zu können.
Unsere Kunden sind einerseits Versicherungsmakler, also eigenständige, bereits professionalisierte Betriebe mit fünf bis 15 Mitarbeitern. Andererseits kleine und mittlere Versicherungsgesellschaften – nicht die ganz großen Konzerne.
Welche konkreten Projekte hast Du in deiner Start-up-Tätigkeit auf den Weg gebracht?
Jansen: 2018 habe ich bei einem Digitalversicherer angefangen, der gegründet wurde, um technisch und organisatorisch unabhängig vom Konzern agieren zu können. Der Fokus lag dabei auf Prozessexzellenz. Wir haben analysiert, welche Bestandsprozesse es gibt, welche Kernthemen in einer Unternehmens-IT relevant sind und wie man ein modernes, cloudbasiertes Bestandsführungssystem mit entsprechenden Automatisierungsfunktionen aufbauen kann.
Wie wurden diese neu entwickelten Prozesse dann in die Muttergesellschaft integriert?
Jansen: Wir waren nicht nur für die Entwicklung zuständig, sondern über eine weitere Tochtergesellschaft auch selbst Risikoträger. Das heißt, wir haben die Prozesse nicht nur entwickelt, sondern das Geschäft auch selbst auf den Markt gebracht. Wir haben vom Abschluss über Schadenregulierung, Bestandsverwaltung bis hin zur Beitragsanpassung bei KFZ-Versicherungen alles selbst gebaut – mit eigenen Prozessen und selbst entwickelter Technologie.
Wo sind heute die konkreten Anwendungsfälle, bei denen der KI-Einsatz bereits einen nachweisbaren Mehrwert bringt?
Jansen: Besonders deutlich wird dies bei der Bearbeitung von Serviceanfragen. Im KFZ-Versicherungsgeschäft, das ja sehr saisonal geprägt ist, kommt zum Jahresende eine große Menge an Anfragen herein. In diesem Bereich haben wir begonnen, E-Mails nicht nur zu kategorisieren, sondern auch auszulesen, anzureichern und individuelle Antworten vorzubereiten.
Das Ergebnis: Mit geringerem Personaleinsatz erzielten wir einen höheren Output. Genau das ist auch der Mehrwert, den ich mit KI erzielen möchte: Mitarbeiter und Vermittler bei Routineaufgaben im Arbeitsalltag entlasten, damit sie mehr Zeit für komplexere Tätigkeiten haben und die persönliche Verbindung zum Kunden aufrecht erhalten können.