Schöpferische Zerstörung Diese Branchen wird künstliche Intelligenz durcheinanderwirbeln
Die Einführung von Chat GPT hat künstliche Intelligenz (KI) ins Rampenlicht katapultiert. Die Technologie stellt an sich bereits einen Fortschritt dar. Noch wichtiger ist jedoch: Sie ermöglicht die Entwicklung neuer Produkte und Dienstleistungen. „Wir stehen an der Schwelle zu einer Reihe von technologischen Revolutionen in verschiedenen Sektoren“, sagt Matthijs Leendertse, der in Amsterdam als Berater und Dozent für digitale Innovation tätig ist. Dies bedeute eine Zeit der schöpferischen Zerstörung, in der Veränderungen schnell vonstattengehen, bestehende Akteure von neuen Herausforderern überholt werden und in rasanter Geschwindigkeit neue Lösungen für alte Probleme entstehen.
Wo KI besonders großes Potenzial bietet
„Chat GPT hat zwar für Schlagzeilen gesorgt. Die großen Sprünge nach vorne werden aber wahrscheinlich von spezifischen Anwendungen in einzelnen Sektoren kommen“, sagt Leendertse. In drei Branchen sieht er besonders großes Potenzial:
Gesundheitswesen: Hier rechnet der Technologieexperte mit der zunehmenden Nutzung personalisierter Medizin. Dadurch werde sich die allgemeine gesundheitliche Lage verbessern und die Belastung der Gesundheitssysteme in den entwickelten Volkswirtschaften durch die alternde Bevölkerung abnehmen.
Im Bereich der Diagnoseinstrumente beschleunigt sich die Entwicklung ebenfalls rasant: „Bei der Brustkrebsvorsorge beispielsweise kann KI schnell Millionen von Bildern durchforsten und Anomalien deutlich genauer erkennen als ein Arzt“, erläutert Leendertse.
Bei der Entdeckung und Entwicklung von Arzneimitteln werde KI bereits eingesetzt, um neue Arten von Antibiotika zur Bekämpfung von Resistenzen zu entdecken, berichtet der Experte. „Darüber hinaus kann sie zur Vorhersage der Wirksamkeit von Medikamenten und zur Beschleunigung von Tests verwendet werden.“
Bildungswesen: KI hat aus Sicht von Leendertse das Potenzial, der große Gleichmacher im Bildungswesen zu werden und die Unterschiede zwischen den Ländern sowie staatlichen und privaten Bildungssystemen zu beseitigen. Er führt aus: „Es gibt zahlreiche Anwendungen für personalisierte Lernansätze – von der zielgenauen Hilfe für leistungsschwache Kinder bis hin zur Unterstützung bei der Integration von Menschen ohne entsprechende Sprachkenntnisse.“
Ebenfalls interessant sei der Bereich lebenslanges Lernen: „Regierungen auf der ganzen Welt haben erkannt, dass die Menschen sich aufgrund des technologischen Wandels weiterbilden müssen. In der Europäischen Union zum Beispiel sollen bis 2030 jährlich 60 Prozent der erwachsenen Bevölkerung an einer Weiterbildung teilnehmen. Daher entwickelt sich das Bildungsangebot zu einem riesigen Markt, auf dem KI-Technologien eine wichtige Rolle spielen können.“
Logistik und Mobilität: KI kann zu deutlichen Verbesserungen bei der Produktivität und der Effizienz führen. „Unternehmen können KI-Technologien für Nachfrageprognosen und zur Optimierung von Transportwegen einsetzen“, nennt Leendertse Beispiele.
In Zukunft könnte es außerdem zu tiefgreifenden Veränderungen im Verkehrssystem kommen, wenn autonome Fahrzeuge auf optimierten Routen fahren. Der Amsterdamer Technologieberater zu den Vorteilen: „Damit lassen sich Staus reduzieren und sowohl Menschen als auch Güter viel schneller transportieren. Außerdem werden die Auswirkungen des Verkehrssektors auf die Umwelt verringert.“
Risiken und offene Fragen bei KI
Bei allem Potenzial der künstlichen Intelligenz sieht der Experte aber auch Risiken und Unsicherheiten. „Technologische Revolutionen können sowohl Arbeitsplätze vernichten als auch neue schaffen – daher der Begriff ‚schöpferische Zerstörung‘. Die kurzfristigen Auswirkungen auf die Lebensgrundlagen der Menschen können jedoch tiefgreifend sein und zu sozialen Unruhen führen. Gleiches gelte möglicherweise, wenn das ausgleichende Potenzial der KI nicht genutzt wird und die Technologie stattdessen nur den Wohlhabenden zugutekommt“, gibt Leendertse zu bedenken.
Darüber hinaus werden aus seiner Sicht Fragen des Dateneigentums und des Schutzes der Privatsphäre entscheidend dafür sein, wie sich die KI-Revolution entwickelt. „KI als Technologie ist neutral“, bekräftigt Leendertse. Vielmehr werde die Art und Weise der Nutzung ihre Auswirkungen auf unsere Zukunft bestimmen. „Die Regulierung muss ein Gleichgewicht finden zwischen der Schaffung eines attraktiven Investitionsumfelds, in dem Forschung und Entwicklung gefördert werden, und der Abmilderung bestehender Risiken.“
Wie können Investoren von KI profitieren?
Angesichts des revolutionären Potenzials von KI gehen die Investmentexperten von BNP Paribas Asset Management davon aus, dass 2024 ein entscheidendes Jahr für die mit KI verbundenen Anlagemöglichkeiten sein wird.
Portfoliomanagerin Pam Hegarty rechnet damit, dass die Infrastruktur für das Training von KI-Modellen stetig wachsen wird. „Die Investitionsausgaben von Cloud-Service-Anbietern und Großunternehmen werden Halbleiterproduzenten und Anbietern von Servern, Speicher- und Netzwerkausrüstung zugutekommen“, erwartet Hegarty. „KI wird wahrscheinlich für den Rest des Jahrzehnts ein wichtiger Treiber für die Halbleiternachfrage sein.“
Sie ergänzt: „Softwareunternehmen werden wohl weiterhin KI-Funktionen einbauen, um ihre Produkte zu verbessern.“ Es komme für sie jedoch darauf an, damit Geld zu verdienen: „Die Anleger werden sicherlich die Fähigkeit der Technologieanbieter beobachten, die neuen Features zu monetarisieren“, betont die Portfoliomanagerin.
KI als wichtiger Wachstumstreiber
Hegarty weist aber auch auf Risikofaktoren hin, die mit der zunehmenden Verbreitung von KI einhergehen. „Das Tempo und die Dauer der Infrastrukturentwicklung sind ungewiss“, gibt sie zu bedenken. „Es könnte während des Prozesses zu ‚Verschnaufpausen‘ kommen.“ Außerdem sei möglich, dass KI-Ausgaben die Budgets für andere Informationstechnologie-Projekte verkleinern.
Im ESG-Bereich könnten Nutzer KI für Überwachung, Hacking und die Verbreitung von Fake News missbrauchen. Darüber hinaus sei der hohe Energiebedarf für den Betrieb der Rechenzentren, in denen die KI-Modelle laufen, ein Problem. „Schließlich könnte die Stimmung unter den Anlegern ebenso schwanken wie die Bewertungen, wenn die Technologie den Adoptionszyklus durchläuft.“
Alles in allem sind Hegarty und ihre Kolleginnen und Kollegen aber optimistisch, was die Verbreitung von künstlicher Intelligenz und ihre Auswirkungen auf Cloud-Dienstleister, Softwareunternehmen, Datenbankenanbieter, die Halbleiterlieferkette und Unternehmen, die KI zur Verbesserung von Geschäftsprozessen einsetzen, angeht. „Angesichts ihres vielfältigen Potenzials erwarten wir, dass KI im Jahr 2024 und darüber hinaus ein wichtiger Wachstumstreiber sein wird.“