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Aktualisiert am 07.07.2023 - 10:42 Uhrin WirtschaftLesedauer: 10 Minuten

Pilnys Asia Insights Taiwan: Die wichtigste Insel der Welt im Fokus von China

Lage zwischen Taiwan und China
Taiwan im Fokus von China | Foto: IMAGO / NurPhoto

Seit Russland am 24. Februar 2022 die Ukraine angegriffen hatte, stellt sich die Frage, ob nun auch die VR China versuchen wird, Taiwan zu annektieren - mit katastrophalen Folgen für die Weltwirtschaft und Europa.

Taiwan unterhält nur zu 13 der 193 Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen und zum Vatikanstaat diplomatische Beziehungen.

Fast alle anderen Mitgliedstaaten betrachten die Regierung der Volksrepublik (VR) China in Beijing als legitime Regierung Chinas, was auch Taiwan miteinschließt.

Die strategische Bedeutung Taiwans, sowohl für die Vereinigten Staaten als auch für die zunehmend offensiv auftretende VR China, kann nicht hoch genug eingeschätzt werden.

Die Lage, die Wirtschaft und die Sicherheit der Insel sind für die Weltwirtschaft, die USA und benachbarte Staaten wie Japan, Südkorea, die Philippinen, Vietnam und die pazifischen Inselgruppen von existentieller Bedeutung.

Sollte Taiwan nach dem Vorbild Hongkongs "ein Land, zwei Systeme" oder gar durch militärische Annexion Teil der VR China werden, würde China auf einen Schlag zur dominanten pazifischen Macht aufsteigen.

Für die VR China stellt Taiwan einen Teil Chinas dar, der aufgrund der japanischen Kolonialzeit (1895-1945) beziehungsweise der nachfolgenden Verwaltung durch die Republik China (1945 bis heute) "abtrünnig" wurde und ebenso wie das ehemals britische Hongkong oder das portugiesische Macau an die VR China "zurückgegeben werden sollte", um das Jahrhundert der Erniedrigungen nach den Opiumkriegen im 19. Jahrhundert endgültig zu beenden.

Technologiemacht Taiwan

Die VR China hätte nach der Übernahme Taiwans auch die Kontrolle über modernste Technologien etwa im Bereich der Halbleiterfertigung und Infrastruktur und wäre in der Lage, Öllieferungen nach Japan und Südkorea zu unterbinden.

Denn trotz seiner nur rund 24 Millionen Einwohnern (0,3 Prozent der Weltbevölkerung) gehört Taiwan zu den weltweit führenden Volkswirtschaften im globalen Handel.

Taiwan stand 2021 mit einem Anteil von fast zwei Prozent des globalen Warenhandels auf Rang 16 aller Volkswirtschaften der Welt – verglichen mit gerade einmal Rang 57 der bevölkerungsreichsten Staaten.

Wichtigster Absatzmarkt ist mit rund 42 Prozent China (inklusive Hongkong), gefolgt von den Asean-Staaten (16 Prozent), den USA (15 Prozent), der EU (7 Prozent) und Japan (7 Prozent).

Besonders erfolgreich ist Taiwan in der Elektronikindustrie. Rund die Hälfte der Warenexporte Taiwans entfallen auf elektrische und elektrotechnische Güter.

Neben vielen erfolgreichen kleinen und mittleren Unternehmen, stehen dahinter auch einige Weltmarktführer wie TSMC.

Hauptsitz von TSMC (Taiwan Semiconductor Manufacturing Co.)
Der japanische Gouverneur Ikuo Kabashima zu Gast in Taiwan beim Hauptsitz von TSMC (Taiwan Semiconductor Manufacturing Co.), dem größten Auftragshersteller für Computerchips. © IMAGO / Kyodo News

Befeuert durch den Ukrainekrieg mehren sich die Spekulationen ob China womöglich angespornt wird Taiwan heimzuholen. Von 2025 -2027 ist dann die Rede, vom Vermächtnis Xi Jinpings der am 15. Juni diesen Jahres Siebzig wird und vielem mehr.

Es ist schwer vorherzusagen, ob es in den nächsten 3-5 Jahren zu einem Krieg um Taiwan kommen wird. Die politische Lage in der Region ist komplex und von einer Reihe von Faktoren abhängig, darunter die politischen und militärischen Beziehungen zwischen China, Taiwan und anderen Ländern wie den USA, Indien und Vietnam.

In jedem Falle würde ein Krieg um Taiwan zu erheblichen politischen, wirtschaftlichen und menschlichen Kosten führen und könnte massive Auswirkungen auf die internationale Sicherheit und Stabilität haben.

Die USA und ihre Verbündeten würden harte Sanktionen gegen China verhängen. Noch ist China bei mehr als 80 Prozent seiner Halbleiternachfrage vom Rest der Welt abhängig, wobei drei Fünftel aus den USA, Japan und der EU stammen.

Die Taiwan Semiconductor Manufacturing Company (TSMC) stellt fast alle der modernsten Halbleiter her. China würde einen schwerwiegenden wirtschaftlichen Abschwung erleben, der tiefgreifendere Auswirkungen im eigenen Land hätte, als es bei Russland derzeit noch der Fall ist.

Doch auch für die Weltwirtschaft und die EU wären die Folgen katastrophal.

Die große Bedeutung Taiwans im Welthandel ist umso bemerkenswerter, als es aufgrund der von China konsequent verfolgten „Ein-China-Politik“ bisher nur sehr wenige bi- oder multilaterale Investitions- oder Handelsabkommen abschließen konnte.

Allerdings konnte Taiwan 2002 – mit Zustimmung Chinas – der Welthandelsorganisation WTO beitreten und ist auch Mitglied wichtiger WTO-Abkommen.

Dies gilt insbesondere für das globale WTO-Informationstechnologie-Abkommen (ITA), das den vollständigen Abbau von Zöllen für zahlreiche Produkte im für die taiwanesische Wirtschaft so wichtigen Bereich der Informationstechnologie vorsieht.

Die Mitgliedschaft in WTO und ITA haben taiwanesischen Unternehmen geholfen, sich auch ohne bilaterale oder regionale Freihandels­abkommen eine zentrale Rolle innerhalb des „Produktionsnetzwerks Asien“ („Factory Asia“) und globaler Liefer- und Produktionsketten insbesondere im Elektronik- und IT-Bereich zu erarbeiten.

Aufgrund der aktuellen Zuspitzung fallen die Nachteile aufgrund des Fehlens regionaler und bilateraler Handels- und Investitionsabkommen immer stärker ins Gewicht.

Taiwan ist bei Handelsabkommen isoliert

Im Jahr 2018 haben elf Länder der Region das „Comprehensive and Progressive Agreement for Trans-Pacific Partnership“ (CPTPP) geschlossen.

Ende 2020 folgte mit der „Regional Comprehensive Economic Partnership“ (RCEP) das nach Bevölkerung und Wirtschaftsleistung der beteiligten Länder größte regionale Handelsab­kommen der Welt.

Asiatisches Freihandelsabkommen RCEP - ohne Taiwan
RCEP Veranstaltung in China - Taiwan bleibt Außen vor © IMAGO / Xinhua

Taiwan ist an keinem der beiden Abkommen beteiligt und auch nicht Teil der seit 2015 geschlossenen umfassenden bilateralen etwa Handelsabkommen mit Südkorea, Japan, Singapur und Vietnam.

Mit Neuseeland wurden die Verhandlungen kürzlich abgeschlossen, mit weiteren Partnern aus der Region wie Australien, Indien, Indonesien werden Verhandlungen intensiviert – jedoch nicht mit Taiwan.

Darum partizipiert Taiwan nicht an den in diesen Abkommen vereinbarten Handelsliberalisierungen und kann sich auch nicht an der Weiterentwicklung der darin vereinbarten Standards einbringen.

Außerdem wird durch das Fehlen eigener Handelsabkommen das Ziel Taiwans seine wirtschaftliche Abhängigkeit von China zu reduzieren stark beeinträchtigt.

Ein Beitritt zu den regionalen Handelsabkommen ebenso wie ein Abschluss bilateraler Handels- oder Investitionsabkommen mit seinen wichtigsten Handelspartnern wäre für den Inselstaat der gerade einmal so groß wie Baden-Württemberg ist daher von erheblichem wirtschaftlichem Vorteil.

Ein Beitritt zum RCEP erfordert jedoch die Zustimmung aller Mitglieder, mithin auch von China. Immerhin wäre ein Beitritt Taiwans zur CPTPP grundsätzlich denkbar und sowohl Taiwan als auch China haben bereits einen Beitrittsantrag gestellt. Doch selbst ein gemeinsamer Beitritt von Taiwan und China wird von China abgelehnt.

Auch der Abschluss bilateraler Handels- oder Investitionsabkommen mit der EU, den USA oder anderen wichtigen Handelspartnern würde eine massive Ablehnung seitens Chinas auslösen.

Die zunehmende Isolation Taiwans ist mit erheblichen Kosten verbunden. Die technologischen und wirtschaftlichen Potenziale Taiwans insbesondere im Bereich der Elektronikindustrie geraten in Gefahr und können das Land wirtschaftlich noch abhängiger von China machen. 

Zwar laufen Bemühungen die Chip Industrie durch Errichtung neuer Fertigungsstätten etwa von TSMC in Japan und den USA robuster aufzustellen, doch dies ist teuer und kostet Zeit.

Die Geschichte Taiwans

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Zwar ist Taiwan ein souveräner Staat, doch es gibt eine lange politische Debatte über seinen Status. Einige Länder betrachten Taiwan als Teil der Volksrepublik China, während andere es als eigenständigen Staat anerkennen.

Die Regierung in Taipei, Taiwan, beansprucht die Kontrolle über die gesamte Insel, einschließlich der Provinzen Fujian und Guangdong auf dem Festland, aber diese Ansprüche werden nicht universal anerkannt.

Die chinesische Regierung in Peking betrachtet Taiwan als Teil ihres Staatsgebiets und drängt auf seine Wiedervereinigung mit dem Festland.

In den letzten Jahren hat sich die wirtschaftliche und politische Bedeutung Taiwans erhöht, und es hat engere Beziehungen zu einer wachsenden Anzahl von Ländern aufgebaut.

Obwohl es politische Spannungen zwischen Taiwan und China gibt, bleibt es ein wichtiger Handelspartner für viele Länder und ein Zentrum für Technologie und Innovation.

Wie sich die politische Lage in Taiwan und zwischen Taiwan und China weiterentwickeln wird ist unklar, doch es bleibt wichtig, dass die internationale Gemeinschaft eng zusammenarbeitet.

Unabhängig von der Anzahl an militärischer Hardware sollte man auch die „Soft Factors“, also Mentalität und Kultur nicht außer Acht lassen.

Gefühlslage in der VR China

Der "chinesische Traum" von Präsident Xi Jinping will China wieder zum Zentrum Ostasiens, ja der Welt machen und baut auf einer historischen Mission auf.

Für eine erfolgreiche Übernahme Taiwans gilt es noch als wichtig, die taiwanische Bevölkerung von den Vorteilen eines Groß-Chinas zu überzeugen.

Seit den späten 1980er Jahren fördert die VR-chinesische Regierung bereits die kulturellen, sozialen und verwandtschaftlichen Beziehungen zu den Bürgern und Bürgerinnen Taiwans.

Man ging davon aus, dass sich die Taiwanerinnen und Taiwaner durch mehr kulturelle Kontakte und soziale Kommunikation den Menschen auf dem Festland annähern würden.

Die politischen Maßnahmen zeigen jedoch das Gegenteil. Mit mehr Kommunikation und Kontakten sehen die Taiwanesen zunehmend ihre Unterschiede zu den Festlandschinesen.

Der Versuch Taiwan gewaltsam zu erobern, was militärisch gar nicht so einfach ist, dürfte bei der großen Mehrheit der chinesischen Bevölkerung auf volle Unterstützung stoßen.

In den Medien wird Taiwan konsequent als "untrennbarer Teil" der VR China ausgewiesen und so betont etwa die Global Times dass "die sezessionistische Demokratische Fortschrittspartei (DPP) in Taiwan selbstgefällig Empathie für die Situation der Ukraine zum Ausdruck bringt, was die böswillige Absicht der DPP verbirgt, die Taiwan-Frage – eine rein interne Angelegenheit – zu 'internationalisieren' und Anti-Festland-Stimmungen auf der Insel zu schüren".

Taiwan ist für die Chinesen ein aufgeladenes Thema, das wie so viele andere seine Wurzeln in der Geschichte eines von den westlichen Mächten im 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gedemütigten China hat.

Diese Themen finden immer wieder Erwähnung und fördern neben einer schwer überwindbaren nationalen Opfermentalität auch ein niemals verheilendes Trauma.

Die Kommunistische Partei Chinas macht sich das zunutze und präsentiert sich als den alleinigen Retter der Nation aus tiefster Erniedrigung.

Dies ist einer der Gründungsmythen der Volksrepublik und wird bis heute als eine der wichtigsten Legitimationen für die Herrschaft der Partei angesehen.

Taiwans Gefühlslage und komplexe Vergangenheit

Was wäre, wenn das Ergebnis eines hypothetischen Referendums in Taiwan ein klares Ja zur Unabhängigkeit wäre?

Bis zur Aufhebung des Kriegsrechts 1987 beharrten sowohl die Nationalpartei Kuomintang in Taiwan wie die Kommunistische Partei auf dem Festland in China darauf, dass es nur ein China gebe.

Als sich aber Taiwan zu Beginn der 1990er Jahre zu einer Demokratie wandelte, wurde die Regierungsform Teil der nationalen Identität.

Die Bürger sehen sich zunehmend als Taiwaner und betrachten Taiwan als eine Nation – und nicht als eine Provinz Chinas. Die meisten Bürger Taiwans sind sich des Dilemmas bewusst, dass die Geopolitik eine formale Unabhängigkeitserklärung einer taiwanischen Nation noch nicht zulässt.

Die Geschichte Taiwans seit dem Zeitalter der Entdeckungen ist weitaus komplizierter als die der meisten Teile Chinas.

Das Land wurde zweimal kolonisiert: von den Niederländern im 17. Jahrhundert und von den Japanern zwischen 1895 und 1945. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde es an die Republik China unter der Führung von Chiang Kai-shek zurückgegeben.

Seine Regierung vertrat China als eines der wichtigsten Gründungsmitglieder der UNO. Jedoch wurden Chiang Kai-shek und seine Anhänger im Bürgerkrieg 1945-49 von den Kommunisten besiegt und zogen sich daraufhin nach Taiwan zurück.

Die einheimische Bevölkerung Taiwans musste sich damals mit einer korrupten Regierung der Republik China abfinden, deren brutale Herrschaft eine tiefe Kluft zwischen ihnen und dem Festland hinterließ.

Zudem wurde Taiwan aus der UNO ausgeschlossen und verlor nach dem diplomatischen Tauwetter zwischen den USA und der Volksrepublik im Jahr 1972 schrittweise die diplomatischen Beziehungen zu allen Ländern und wurde so zum „Waisenkind Asiens“.

Ausblick: Wie geht die Situation zwischen Taiwan und China weiter?

Auf der einen Seite betont Xi Jinping sowohl im Weißbuch zu Taiwan als auch in seiner Rede zum 20. Parteikongress, dass Beijings Position zu Taiwan eindeutig sei: Die friedliche Lösung der Taiwan-Frage habe Priorität, und Verhandlungen über das Modell "ein Land, zwei Systeme" müssen vorangebracht werden.

Falls die taiwanische Seite aber den "Konsens von 1992" nicht akzeptiert, wird militärische Gewalt das letzte Mittel sein, um die "vollständige Wiedervereinigung" mit Taiwan durchzusetzen.

Auf der anderen Seite leuchtet ein, dass die "große Renaissance der chinesischen Nation" nicht erreicht werden kann, wenn eine Invasion Taiwans die Weltwirtschaft und damit auch China in eine schwere Rezession stürzt.

Man kann davon ausgehen, dass sich Xi Jinping und der Führungsapparat der Kommunistischen Partei Chinas dieses Dilemmas bewusst sind.

Wahrscheinlicher ist daher, dass China stattdessen versuchen wird, weiter die Schraube anzuziehen und Taiwan durch Cyber-Angriffe, wirtschaftliche Schikanen und Desinformation zur Kapitulation zu zwingen.

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