Kolumnist Heiko Faust Lebensversicherer stehen vor 6 großen Herausforderungen
Ist die deutsche Lebensversicherung am Ende? Diese Frage stellen mir – sowohl im privaten wie auch im beruflichen Kontext – in letzter Zeit ziemlich viele Leute. Die deutsche Lebensversicherung gibt es seit fast 200 Jahren. Bereits 1827 wurden in Deutschland Lebensversicherungen von der Gothaer Lebensversicherungsbank verkauft, dem ersten deutschen Lebensversicherer.
In diesen fast 200 Jahren gab es ziemlich viele historische Ereignisse, die Einfluss auf die Lebensversicherung bzw. die deutschen Lebensversicherer hatten und die sie bisher alle überstanden haben; mehrere Wirtschaftskrisen, Währungsreformen, Kriege und zwei Pandemien. Historisch gesehen ist die Lebensversicherung also ziemlich robust und krisenerprobt.
Wenn man genauer hinschaut stehen die Lebensversicherer allerdings vor einer Fülle von Herausforderungen, die es so tatsächlich noch nicht gab:
- Die lange und anhaltende Niedrigzinsphase
- Zunehmende Regulierung
- Hoher Kostendruck
- Zunehmender Wettbewerb durch Back-Book-Konsolidierer, Vermögensverwalter, Insurtechs, etc.
- Demografische Entwicklung
- ESG/ Nachhaltigkeit
Ich will hier nun gar nicht auf alle Herausforderungen im Detail eingehen, sondern nur ein paar Aspekte herausgreifen, die Einfluss auf die sich verändernde Produktwelt der deutschen Lebensversicherung nehmen: Die anhaltende Niedrigzinsphase und die zunehmend strengeren Vorschriften bezüglich der Kapitalanforderungen.
Anhaltende Niedrigzinsphase
Die anhaltenden Niedrigzinsen (und der korrespondierende Rechnungszins) haben dafür gesorgt, dass so gut wie kein Versicherer mehr Produkte mit Zinsgarantien anbietet, sondern maximal eine Beitragsgarantie. Mit der Absenkung des Höchstrechnungszins von 0,9 Prozent auf 0,25 Prozent ab dem kommendem Jahr sind die klassischen Lebensversicherungen noch viel weniger sinnvoll als jetzt schon und auch bei den fondsgebundenen Policen wird man sich nun endgültig von der 100-prozentigen Beitragsgarantie verabschieden, da diese technisch und kalkulatorisch nicht mehr abgebildet werden kann.
Unter diesen Umständen stellt sich die Frage, ob Garantien in jeglicher Form, also auch Beitragsgarantien mit 80 Prozent oder weniger überhaupt noch Sinn machen. Versicherer können solche Garantien nicht mehr abbilden und für die Kunden sind diese Produkte unattraktiv, weil sie die Rendite deutlich schmälern. Um seine Versorgungslücke zu schließen, braucht der Kunde Produkte, die möglichst viel des Guthabens so anlegen, dass die notwendige Rendite überhaupt erzielt werden kann.
Der Abschied von der 100-prozentigen Beitragsgarantie stellt insofern zusätzlich ein signifikantes Problem dar, weil diese in manchen Produkten verpflichtend ist – in der Riester-Rente und auch der betrieblichen Altersversorgung. Da der Gesetzgeber bisher keine Anstalten macht hier aktiv zu werden, stehen diese Produkte faktisch vor dem Aus. Die Absenkung des Rechnungszinses isoliert betrachtet ist sinnvoll, aber ohne weitere Maßnahmen schafft die Politik im Prinzip Riester und die Beitragszusage mit Mindestleistung in der bAV ab.
Leider kann man noch nicht einmal sagen, das wäre nicht bekannt gewesen, die Branche warnt seit langem vor diesem Szenario. Besonders schlimm ist, dass damit die einzige staatlich geförderte Altersvorsorge für niedrige Einkommensklassen und sozial Schwächere abgeschafft wird. Man kann hier nur den Kopf schütteln über die Politik.
Insgesamt sieht man einen Trend zu fondsgebundenen Produkten ohne Garantien und hin zur reinen Risikoabsicherung, wie zum Beispiel Berufsunfähigkeit.
Hoher Kostendruck
Zusätzlich zum niedrigen Zins und zur Regulatorik sind die Kostenquoten in der klassischen Lebensversicherung (LV) sowieso schon hoch, was es zusätzlich schwierig macht. Die Versicherer, die noch alte Leben-Bestandssysteme im Einsatz haben, haben diese überwiegend abgeschrieben, aber die immer aufwendigere Wartung und die zunehmende Regulierung drücken auf die Kosten. Zusätzlich wird der Druck immer größer, die Alt-Systeme zu ersetzen oder zu modernisieren – was Investitionen in signifikanter Höher erfordert.
Nicht jeder kleinere Lebensversicherer ist im Stande diese Investitionen zu stemmen. Zusätzlich müssen die Investitionen auch wieder auf die Kosten umgelegt werden. Die Versicherer, die ihre Systeme bereits erneuert oder modernisiert haben, stehen meistens etwas besser da, aber wie bereits erwähnt, drücken die Investitionen auf die Kosten. Die Versicherer müssen insgesamt deutlich kosteneffizienter werden.
Hallo, Herr Kaiser!
Anmerkung: Hier können zum Beispiel sog. TPAs (Third Party Administrator) wie Syncier (Allianz) oder bald auch das ERGO/ IBM Jointventure helfen Rein auf die Kostenquoten bezogen sind neuere Produkte wie fondsgebundene Versicherungen in vielen Fällen jedenfalls günstiger für den Kunden.
Zunehmender Wettbewerb
Der Wettbewerb hat in den letzten Jahren signifikant zugenommen und die etablierten Lebensversicherer stehen von verschiedenen Seiten unter Druck.
Back-Book-Konsolidierer haben sich etabliert und bedrängen die Lebensversicherer auf der Kosten- und Investment-Seite. Sie machen vor, wie man Altbestände profitabel und effizient managen kann. Der Aufschrei auf der Kundenseite ist ausgeblieben, da die Konsolidierer die Kunden weder schlecht behandeln noch die Verträge finanziell ausquetschen. In Teilen profitiert der Kunde sogar davon, wenn der Bestand effizienter gemanaged wird und die Kosten sinken.
Insurtechs bedrängen die Versicherer an verschiedenen Fronten, aber vor allem versuchen sie die Interaktion mit den Kunden effizienter, bequemer und transparenter zu gestalten. Rating-Agenturen, Vergleichsplattformen und sogenannte Versicherungs-Manager haben gleichzeitig dafür gesorgt, dass sich die Transparenz stark erhöht hat. Die Auswirkungen sind vor allem bei Risikoleben oder Berufsunfähigkeit zu sehen, wo ein starker Preisdruck entstanden ist.
Auf der Vorsorgeseite konkurrieren die Versicherer mit Banken, Vermögensverwaltern und auch Fondsgesellschaften.
Insgesamt lässt sich festhalten, dass sich die Produktlandschaft in der Lebensversicherung in Richtung fondsgebundener Produkte und kosteneffiziente Risikoabsicherung verschoben hat. Diese Entwicklung hat in vielen Ländern Europas bereits stattgefunden. Deutschland ist hier eher Nachzügler als Vorreiter.
Demografische Entwicklung
Die Demografie verschiebt sich in den nächsten Jahren in Deutschland signifikant - die Gesellschaft altert. Die Lebenserwartung in Deutschland wächst stetig von 67 im Jahr 1950 auf 82 im Jahr 2020 und wird voraussichtlich auf 83 im Jahr 2030 steigen. Die Menschen werden schon in viel jüngerem Alter in ihre Altersvorsorge investieren müssen. Zudem steigt das Rentenalter seit etwa 2000 wieder an.
Durch höhere Lebenserwartung und einer generellen Verschiebung der Alterspyramide steigt auch das Abhängigkeitsverhältnis. Bevölkerungsprognosen gehen davon aus, dass der Altersabhängigkeitsquotient bis 2050 auf etwa 50 Prozent ansteigen wird, wenn auf jeden älteren Menschen zwei Personen im erwerbsfähigen Alter kommen werden. Auf die Altersvorsorge bezogen bedeutet das, dass entsprechender Bedarf für eine Langlebigkeitsabsicherung, also eine Rente besteht.