Kolumnist Heiko Faust Lebensversicherer stehen vor 6 großen Herausforderungen
Nachhaltigkeit/ ESG
Wie in meiner ersten Kolumne umfassend beschrieben gewinnt Nachhaltigkeit im öffentlichen Dialog rasant an Bedeutung und die Politik macht Ernst. Sie implementiert die notwendigen Rahmenbedingungen, um die Agenda 2030 voranzutreiben. Politik, Investoren und Kunden wollen, dass Versicherungen sich ESG-konform verhalten, investieren und entsprechende Produkte bereitstellen.
Bezogen auf die Produkte ist nun auch klar, dass ab dem 2. August 2022 die Umsetzung von ESG-Pflichten sowohl im Beratungsprozess als auch in der Produktentwicklung gesetzlich verpflichtend sind. Der europäische Gesetzgeber hat hier ordentlich Tempo gemacht. Die neuen Regeln für Nachhaltigkeit im Beratungsprozess sollen nicht erst im Herbst oder zu Jahresende, wie eigentlich erwartet Anwendung finden, sondern schon ab Anfang August 2022 gelten.
Zusammengefasst stehen die Versicherer nun vor der Herausforderung „Nachhaltige fondsgebundene Lebens- beziehungsweise Rentenversicherungen ohne Garantien“ anzubieten und auch zu verkaufen.
Bei fondsgebundenen Produkten ohne Garantien stellt sich die Frage, ob ich den Versicherer beziehungsweise den Versicherungsmantel brauche oder gleich den Fonds direkt kaufe. Wenn ich die fondsgebundene Lebensversicherung (FLV) mit einem Fonds vergleiche müssen die Steuervorteile des Versicherungsmantels die Provision und die Verwaltungskosten aufwiegen.
Wenn ich statt einer FLV eine fondgebundene Rentenversicherung (FRV) mit einem Fonds vergleiche, kommt das Alleinstellungsmerkmal (der USP) der Versicherer zum Tragen, sie können Langlebigkeit also lebenslange Renten abbilden.
Die fondsgebundenen Produkte nun „grün“ zu machen ist bei der FLV relativ einfach, ich nehme einfach einen ESG-konformen Fonds und schon ist meine FLV auch „grün“. Bei der FRV ist das eine andere Herausforderung. Wenn ich einen „grünen“ Fonds in eine FRV packe, wird zwar die Akkumulationsphase „grün“, aber die Dekumulationsphase, also die Rente nicht.
Den Versicherern ist dieses Problem bewusst, wie die Frequently Asked Questions (FAQ) eines grossen deutschen Lebensversicherers zeigen:
Frage: Warum ist eine „fondsgebundene Rente XYZ“ mit 100% Fondsanlage im Basket Nachhaltigkeit kein Produkt gemäß Artikel 8 der EU-Transparenzverordnung (TVO)?
Antwort: Sobald der Kunde in die Rentenphase einsteigt, wird das Vertragsguthaben im Sicherungsvermögen der Versicherung gehalten. Eine Rentenversicherung hat eine Aufschub- und eine Rentenbezugszeit. Derzeit ist es noch ungeklärt, ob beide Teilbereiche einzeln oder zusammen betrachtet werden sollen. Der Gesamtverband GDV strebt hierzu eine Klärung an.
Die Politik ist hier nicht konsistent: Sie forciert richtigerweise das Thema Nachhaltigkeit, lässt die Versicherer aber allein mit dem Problem, dass eine Rentenphase über das Sicherungsvermögen bisher meistens nicht ESG-konform abbildbar ist.
Ich hoffe trotzdem, dass hier nicht eine politische Lösung gefunden wird, sondern die deutschen Versicherer stattdessen kreativ werden und in Zukunft mit innovativen Lösungen aufwarten. Der erste deutsche Versicherer hat schon ein Produkt am Start, das über eine ausländische Tochter, welche über einen nachhaltigen Deckungsstock verfügt, eine nachhaltige Rentenphase abbildet.
Ist die deutsche Lebensversicherung am Ende? Ich glaube nein. Die Chance für die Lebensversicherer besteht aus meiner Sicht darin, dass sie mit einer „Fondsgebundenen Lebens- beziehungsweise Rentenversicherungen ohne Garantien“ den Kunden ein großartiges Produkt für die Altersvorsorge anbieten können. Die große Herausforderung besteht darin, diese Produkte „grün“, also nachhaltig zu bekommen.
Über den Autor:
Heiko Faust ist Partner im Bereich Versicherungen von Oliver Wyman. Er hat mehr als 20 Jahre Erfahrung als Manager und Strategie-Berater in der Versicherungsbranche. Seine Schwerpunkte liegen speziell in der Lebensversicherung mit einem Fokus auf Strategie, Bestandsmanagement, Operational Excellence und Digitalisierung sowie Nachhaltigkeit.
