Volkswirt Johannes Mayr
Droht eine Lohn-Preis-Spirale?
Aktualisiert am

Johannes Mayr ist Chefvolkswirt der Anlagegesellschaft Eyb & Wallwitz. Foto: Eyb & Wallwitz
Treiben höhere Löhne die Inflation? In der Theorie trifft das zu, in der Praxis nicht immer. Hier erklärt Johannes Mayr von der Anlagegesellschaft Eyb & Wallwitz, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit die Preise steigen.
Wenn die Geldmenge steigt, steigen die Preise. Und wenn die Preise sinken, rutscht die Wirtschaft in eine Krise. Die ökonomische Debatte ist gerade im Bereich Inflation von Glaubenssätzen geprägt. Ein aktuell sehr relevanter ist: Kräftige Lohnsteigerungen führen in eine Lohn-Preis-Spirale. Möglich ist das. Die Theorie zeigt diesen Zusammenhang klar. Die Erfahrungen sagen aber etwas anderes. Dam...
Märkte bewegen Aktien, Zinsen, Politik. Und Menschen. Deshalb präsentieren wir dir hier die bedeutendsten Analysen und Thesen von Top-Ökonomen - gebündelt und übersichtlich. Führende Volkswirte und Unternehmensstrategen gehen den wichtigen wirtschaftlichen Entwicklungen clever und zuweilen kontrovers auf den Grund.
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Wenn die Geldmenge steigt, steigen die Preise. Und wenn die Preise sinken, rutscht die Wirtschaft in eine Krise. Die ökonomische Debatte ist gerade im Bereich Inflation von Glaubenssätzen geprägt. Ein aktuell sehr relevanter ist: Kräftige Lohnsteigerungen führen in eine Lohn-Preis-Spirale. Möglich ist das. Die Theorie zeigt diesen Zusammenhang klar. Die Erfahrungen sagen aber etwas anderes. Damit das auch diesmal so kommt, sollten sich Tarifpartner auch am makroökonomischen Rahmen orientieren. Altruismus ist nicht notwendig.
Inflationsausgleich: Für Arbeitnehmer ein Muss, für Ökonomen ein Graus
In Deutschland sind die für den öffentlichen Dienst zuständigen Gewerkschaften mit Forderungen nach einem Lohnplus in Höhe von 10,5 Prozent in die Tarifverhandlungen gegangen. Der zusätzlich geforderte Mindestbetrag von 500 Euro pro Monat hätte in den unteren Entgeltgruppen Steigerungen von mehr als 20 Prozent zur Folge.
Hintergrund der hohen Lohnforderungen ist der Inflationsanstieg nach der Corona-Krise. In vielen Ländern sind die Verbraucherpreise 2022 so stark gestiegen wie seit Jahrzehnten nicht – in Deutschland um 8,6 Prozent. Trotz einem kräftigen Lohnplus um 4,7 Prozent sind die Reallöhne also um fast 4 Prozent gefallen.
Eine Trendwende ist noch nicht in Sicht. So ist die Inflationsrate in Deutschland im März zwar auf 7,4 Prozent gesunken. Die Kernrate lag aber bei fast 6 Prozent, Tendenz steigend. Gleichzeitig ist die Arbeitslosigkeit nach wie vor sehr niedrig. Das stärkt die Verhandlungsposition der Arbeitnehmer.
Angesichts der hohen Zahl von 2,7 Millionen Beschäftigten im öffentlichen Dienst hat die laufende Tarifrunde eine erhebliche gesamtwirtschaftliche Bedeutung. Der Blick von Ökonomen richtet sich besorgt auf diese Zweitrundeneffekte. Befürchtet wird, dass zu starke Lohnanstiege die Teuerung zusätzlich antreiben. Dabei wird oft auf die Kluncker-Runde im Jahr 1974 verwiesen, als die Gewerkschaften vor dem Hintergrund einer hohen Inflationsrate eine Lohnsteigerung von 11 Prozent erstritten.
Eine Lohn-Preis-Spirale ist unwahrscheinlich
Der Zusammenhang von Löhnen und Preisen ist in der Theorie trivial. Die Preise werden von den Unternehmen entsprechend ihren Grenzkosten gesetzt, die sich mit der gleichen Rate entwickeln wie die Lohnstückkosten (Angebotsinflation). Allerdings haben Unternehmen meist eine gewisse Preissetzungsmacht und können Kostenanstiege über eine Anpassung ihrer Margen abfedern.
Klar ist, dass der Einfluss von Löhnen auf die Preise umso höher ist, je personalintensiver die Produktion und je geringer der Importanteil der Vorleistungen ausfallen. Im Durchschnitt liegt der Lohnanteil an den Produktionskosten in Deutschland bei etwa 30 Prozent. Ein Lohnplus um ein Prozent erhöht die Verbraucherpreise im Zeitraum von drei Jahren empirisch um rund 0,3 Prozent.
Eine Lohn-Preis-Spirale ist rein mit Blick auf die Kostenseite der Unternehmen deshalb zwar auch bei kräftigen Lohnanstiegen wenig wahrscheinlich. Allerdings kann sich der Disinflationsprozess spürbar verlangsamen und die Herausforderungen an die Geldpolitik vergrößern.
Makroökonomisch noch problematischer kann die Entwicklung vor allem dann werden, wenn die Lohnsteigerungen deutlich über der Inflationsrate liegen, also auch die Reallöhne kräftig steigen und damit Kaufkraft und Nachfrage weiter anschieben (Nachfrageinflation). Vor allem ein Anstieg der Reallöhne oberhalb des Produktivitätsfortschritts ist dann ein Risiko. Soweit die Theorie.
Ein Blick auf historische Phasen von Lohn- und Preisanstiegen zeigt, dass eine solche Entwicklung vor allem dann wahrscheinlicher wird, wenn:
- Der zugrunde liegende Inflationsschock aus dem Arbeitsmarkt selbst kommt, dieser also besonders eng ist,
- Arbeitnehmer zu einem hohen Grad organisiert sind und Lohnsteigerungen insbesondere im verarbeitenden Gewerbe auftreten
- politische Maßnahmen den Lohndruck von unten erhöhen (zum Beispiel über eine Anhebung des Mindestlohns),
- Haushalte und Unternehmen ihre Inflationserwartungen vor allem adaptiv mit Blick auf die Vergangenheit bilden und diese deshalb weniger stark verankert sind und
- Unternehmen eine starke Preissetzungsmacht haben
In diesen Fällen gelingt es Notenbanken häufig nicht, die Inflationserwartungen und damit die Preisdynamik kurzfristig wieder in den Griff zu bekommen. Einige dieser Voraussetzungen sind aktuell erfüllt. Zwar kann der initiale Preisschub in Europa vor allem den globalen Angebots- und Lieferengpässen sowie einem kräftigen Anstieg der Energiepreise zugeschrieben werden. Allerdings hat eine hohe Auslastung am Arbeitsmarkt diese Dynamik deutlich beschleunigt und strukturelle Faktoren sprechen für eine anhaltende Knappheit an Arbeitskräften.
Unternehmen haben Preismacht
Zudem dürften gerade in Deutschland die Inflationserwartungen noch einige Zeit ungewöhnlich stark von den bis zuletzt sehr hohen Inflationsraten beeinflusst sein. Und angesichts der Finanzpolster der Konsumenten aus der Covid-Pandemie haben die Unternehmen in vielen Bereichen auch eine relativ hohe Preissetzungsmacht.
Zwar erhöhen Lohnsteigerungen im öffentlichen Dienst nicht unmittelbar die Produktionskosten in der Privatwirtschaft. Gerade in Kombination mit der deutlichen Anhebung des Mindestlohns können sie über den Arbeitsmarkt aber starke Signalwirkung für andere Wirtschaftsbereiche haben. Das Potenzial für Zweitrundeneffekte ist also erheblich. Vor diesem Hintergrund ist es umso wichtiger, dass sich Tarifparteien in allen Bereichen der Wirtschaft dieser Zusammenhänge bewusst sind.
Aus makroökonomischer Sicht sollten Lohnverhandlungen grundsätzlich mit dem Blick nach vorne geführt werden und die volkswirtschaftlichen Gegebenheiten und die Ziele der Wirtschaftspolitik berücksichtigen. In der aktuellen Situation sollten die Reallöhne durch die Lohnanpassungen vor allem nicht in der Breite steigen. Denn ein starkes Lohnplus etwa zur Kompensation vergangener Kaufkraftverluste könnte die Verbraucherpreisinflation insgesamt erneut anschieben.
Und es gibt weitere Argumente für moderatere Lohnsteigerungen. So impliziert der hohe Anteil der Energieimporte an dem zurückliegenden Anstieg der Verbraucherpreise einen gesamtwirtschaftlichen Wohlfahrtsverlust in Höhe von etwa 3 Prozent am Bruttoinlandsprodukt (BIP), der von der Gemeinschaft insgesamt getragen werden muss. Bisher hat vor allem der Staat und damit der (künftige) Steuerzahler diese Rechnung durch die Entlastungspakete übernommen. Eine unmittelbare Gegenfinanzierung gibt es nicht.
Einmalzahlungen: Die Alternative zum Lohnplus
Über die Inflationssteuer wird ein Teil der Last indirekt auf Verbraucher und damit auch die Arbeitnehmer übertragen. Diese leisten so also einen Beitrag, von dem sie nicht voll befreit werden können. Zudem sind die Energiepreise notorisch volatil und zuletzt wieder deutlich gesunken. Hohe dauerhafte Lohnsteigerungen als Kompensation sind deshalb weniger zu rechtfertigen als gewöhnlich. Umfangreichere Einmalzahlungen können eine Alternative beziehungsweise Ergänzung sein.
Als Orientierung für den Inflationsausgleich sollte im Durchschnitt über alle Beschäftigten vielmehr die durchschnittliche Inflation in den kommenden Jahren dienen, also die Erwartungen zur künftigen Teuerung. Aktuell gehen Ökonomen in diesem Jahr von einer Inflationsrate von etwa 6 Prozent und für 2024 von etwa 3 Prozent aus. Hierauf wäre noch ein Plus von durchschnittlich etwa einem Prozentpunkt zu diskutieren, um dem erwartbaren Produktivitätsanstieg Rechnung zu tragen.
Ökonomisch schwieriger zu beantworten ist die Frage, in welchen Wirtschaftsbereichen überproportionale beziehungsweise unterproportionale Lohnsteigerungen gerechtfertigt sind. Dabei gilt: Die Tarifautonomie ist ein hohes Gut, und darf nicht in Frage gestellt werden. Die hohe Volatilität von Angebot und Nachfrage im Umfeld der Covid-Krise macht die Schätzung der absoluten wie auch der relativen Produktivitätsentwicklung aber komplex.
Politiker sollten den Weg bereiten
Zudem sind viele Bereiche der sozialen Dienstleistungen und der öffentlichen Hand nicht von marktwirtschaftlichen Strukturen geprägt. Die Politik kann hier Prioritäten formulieren und so wichtige Impulse geben.
Wichtig ist in jedem Fall, dass keine Automatismen zur Anpassung von Löhnen an höhere Preise eingeführt werden. Denn auch wenn der Verhandlungsprozess mühsam ist. Eine (Teil-) Lohnindexierung wäre ein sicherer Weg in Richtung eines nachhaltig höheren Inflationsumfeldes mit anhaltenden Verlusten von Kaufkraft wie auch von internationaler Wettbewerbsfähigkeit.
Und schließlich sollten die Tarifparteien bedenken, dass kräftige Lohnzuwächse die Geldpolitik auf den Plan rufen und für einen kräftigeren Zinsanstieg sorgen dürften. Und das kann für die Arbeitnehmer in ihrer Rolle als Kreditnehmer wie auch als Anleger zum Problem werden. Dies haben die Turbulenzen im Bankensystem der vergangenen Wochen eindrucksvoll gezeigt. Denn die Finanzstabilität kann rasch ins Wackeln kommen. Übermäßige Lohnsteigerungen können sich also schnell als Pyrrhussieg herausstellen.
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