LinkedIn DAS INVESTMENT
Suche

Die Kunst der Marktanalyse „Vergessen Sie Prognosen“ – Warum Mabrouk Chetouane auf die Macht der Gegenwart setzt

Mabrouk Chetouane ordnet für Natixis Investment Managers die Märkte ein
Mabrouk Chetouane ordnet für Natixis Investment Managers die Märkte ein | Foto: Natixis IM

DAS INVESTMENT: Herr Chetouane, wie sieht ein typischer Arbeitstag für Sie aus?

Mabrouk Chetouane: Das hängt wirklich stark vom aktuellen Thema ab, aber typischerweise beginnt mein Tag meist damit, dass ich mich durch eine Flut von Daten und Nachrichten wühle. Stellen Sie sich vor, Sie schauen auf ein riesiges Puzzle, bei dem ständig neue Teile hinzukommen. Den Großteil meiner Zeit verbringe ich damit, Daten zu analysieren und das Marktverhalten zu beobachten. Auf Basis dieser Datenströme passe ich meine Einschätzung der aktuellen Wirtschafts- und Finanzlage und im Übrigen auch das zentrale Szenario von Natixis Investment Manager Solutions an. Die Märkte haben ihre eigenen Szenarien, und diese spiegeln sich in den Preisen wider. Mein Ziel ist es, diese Marktinformationen mit makroökonomischen Daten zu kombinieren und meine eigenen Szenarien immer wieder herauszufordern.

Mit welchem Ziel?

Chetouane: Um die eine, alles entscheidende Frage zu beantworten: Wo stehen wir gerade in punkto Marktordnung und Konjunkturzyklus? Das mag simpel klingen, aber glauben Sie mir, es ist die komplexeste und wichtigste Frage, die wir uns stellen müssen, wenn es um die richtigen Entscheidungen beim Investieren geht.

Warum ist diese Frage so wichtig?

Chetouane: In unserer Branche sind alle besessen von Prognosen. „Wie wird der Dax in sechs Monaten stehen?“, „Wie hoch werden Wachstum und Inflation in zwölf Monaten sein?“ – das sind die Fragen, die man ständig hört. Aber um effiziente Entscheidungen für unsere Portfolios zu treffen, müssen wir zuerst verstehen, wo wir uns befinden. Es ist wie bei einer Reise: Wenn Sie nicht wissen, wo Sie starten, bringt Ihnen die beste Karte nichts.

Aber vernachlässigen Sie damit nicht den Blick in die Zukunft?

Chetouane: Keineswegs. Prognosen sind wichtig. Sie helfen uns, Narrative zu entwickeln und Überzeugungen zu festigen. Aber sie sind nur so gut wie unser Verständnis der Gegenwart. Wenn Sie genau wissen, wo sich Ihre Wirtschaft im Konjunkturzyklus befindet, also wie groß die Produktionslücke ist, und wo der Markt im Finanzzyklus steht, können Sie viel präzisere und zuverlässigere Vorhersagen treffen.

Wie gehen Sie bei Ihrer Analyse vor?

Chetouane: Wir kombinieren verschiedene Quellen. Natürlich lesen wir das Researchund beobachten die Marktreaktionen auf unseren Bildschirmen. Der entscheidende Punkt ist aber, möglichst viele Daten zu sammeln und sie so zusammenzufügen, dass wir die aktuelle wirtschaftliche Situation identifizieren können. Das ist keine leichte Aufgabe. Wenn ich zwei Ökonomen oder Strategen frage, wo wir gerade stehen, bekomme ich oft unterschiedliche Antworten. Die meisten haben eine Vorstellung, wo es hingeht, aber keine klare Idee von der exakten Position.

Viele Kunden fragen ihre Berater oft: „Was passiert in sechs Monaten?“ Ist das die falsche Frage?

Chetouane: Nein, das ist keine falsche Frage. Sechs Monate sind ein vernünftiger Zeithorizont. Wir wissen, dass Prognosen für die nächsten drei, maximal sechs Monate noch recht zuverlässig sind. Darüber hinaus wird es schwierig, weil wir der Überzeugung sind, dass wir in einem nicht-linearen Umfeld leben. Ein Halbjahresausblick gibt Ihnen eine Vorstellung davon, was bis zum Jahresende passieren könnte. Wir brauchen beispielsweise ein Zinsszenario. Ohne das können wir weder verstehen, was auf dem Markt passieren wird, noch es antizipieren.

Welche Fähigkeiten und Erfahrungen sind in Ihrer Position am wichtigsten?

Chetouane: Es gibt harte und weiche Fähigkeiten, und die Kombination aus beiden ist entscheidend. Zu den harten Fähigkeiten gehören definitiv der Umgang mit Statistik und Ökonometrie. Wenn man in der Lage ist, Dinge zu messen und zu bewerten, kann man seine Überzeugungen effizienter entwickeln.

1.200% Rendite in 20 Jahren?

Die besten ETFs und Fonds, aktuelle News und exklusive Personalien erhalten Sie in unserem Newsletter „DAS INVESTMENT Daily“. Kostenlos und direkt in Ihr Postfach.

Und die weichen Fähigkeiten?

Chetouane: Die sind mindestens genauso wichtig. Dazu gehören vor allem Zuhören und der Austausch mit Portfoliomanagern und Kollegen. Ich glaube nicht an einen rein quantitativen Ansatz, um starke Überzeugungen auszubilden. Die Märkte sind zu komplex, stellenweise auch zu menschlich, wenn Sie so wollen. Die Kombination aus quantitativen Modellen und dem Austausch mit Praktikern, die täglich am Markt investieren, ist meiner Meinung nach der beste Weg, um in diesem Umfeld erfolgreich zu sein.

 

Wie funktioniert die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Investmentboutiquen innerhalb von Natixis Investment Management? Gibt es da nicht oft unterschiedliche Ansichten?

Chetouane: Natürlich gibt es die, und das ist auch gut so! Es ist wichtig zu verstehen, dass es in unserer Multi-Boutique-Struktur eine große Bandbreite an Fachwissen und Erfahrungen gibt, die unweigerlich zu unterschiedlichen Sichtweisen führen. Sie sind Quellen des Dialogs und ergänzen sich meist gegenseitig. Aus all diesen Meinungen und Sichtweisen formen wir dann unsere Anlageentscheidungen.

Führt das nicht zu Konflikten?

Chetouane: Erstaunlicherweise weniger, als man denken könnte. Diese beiden Ansätze sind nicht gegensätzlich, sondern ergänzen sich. Während wir allokieren und einen Top-down-Ansatz verfolgen, nähern sich die Boutiquen ihrem Anlageuniversum mit einem Bottom-up-Ansatz. Irgendwann konvergieren diese beiden Perspektiven, und genau das macht unsere Analysen so robust.

Aber was passiert, wenn ein Spezialist eine fundamental andere Meinung zur Marktentwicklung hat als Sie?

Chetouane: Dann haben wir eine sehr interessante Diskussion vor uns! In unserem Geschäft gibt es keine absoluten Wahrheiten. Alle Meinungen können nebeneinander existieren, solange sie gut begründet sind. Ich bin nicht derjenige, der sagt, „Du liegst falsch“ oder „Du hast Recht“. Es gibt einen Toleranzbereich, und genau der macht unsere Arbeit so spannend.

Sie betrachten die Finanzwelt holistisch. Wie wichtig sind neue Aspekte wie Kryptowährungen für Sie?

Chetouane: Ah, Krypto – das ewige Streitthema! Um ehrlich zu sein, beschäftigen wir uns nicht viel damit. Wir sind in diesem Markt nicht investiert, und das hat gute Gründe.

 

Welche sind das?

Chetouane: Zunächst einmal ist dieser Markt für uns als langfristig denkender Investor einfach zu volatil. Die Behauptung, Kryptowährungen seien ein sicherer Hafen, halte ich für Unsinn. Niemand kann ernsthaft glauben, dass so volatile Vermögenswerte sicher sein können. Zudem sind wir als regulierter Vermögensverwalter gar nicht berechtigt, in diesen Markt zu investieren. Er ist von extremen Schwankungen geprägt, die oft falsche Signale senden. Ich konzentriere mich lieber darauf, die richtigen Signale zu erfassen, um informierte Entscheidungen für unsere Portfolios zu treffen.

Wie hat Ihnen der Artikel gefallen?

Danke für Ihre Bewertung
Leser bewerteten diesen Artikel durchschnittlich mit 0 Sternen
PDF nur für Sie. Weitergabe? Fragen Sie uns.