Christin Jahns

Transformationsforscherin Maja Göpel „Nachhaltigkeit ist nicht immer teurer und weniger profitabel“

Transformationsforscherin Maja Göpel
Transformationsforscherin Maja Göpel: „Nachhaltigkeit ist nicht immer teurer und weniger profitabel.“
© Anja Weber / Collage: Christin Jahns mit Canva

DAS INVESTMENT Academy: Frau Göpel, wir sprechen oft von Wohlstand. Was bedeutet das für Sie und ist Wohlstand nur mit Wirtschaftswachstum möglich?

Maja Göpel: Wohlstand hat zwei Aspekte: einen objektiven und einen subjektiven. In der Forschung betrachten wir zunächst objektive Wohlstandsindikatoren, die fragen: Bin ich ausreichend versorgt? Dabei haben Gesellschaften natürlich unterschiedliche Ansprüche entwickelt. Es gibt Länder, wo es wirklich um die Grundversorgung geht – Nahrung, Gesundheit, Bildung. Und dann gibt es Anspruchsniveaus, die wir gerade in den reichen Gesellschaften nach oben offenhalten. Das bringt uns in die Gefahr, die Grundlagen für zukünftigen Wohlstand zu gefährden.

Weniger Wachstum, mehr Lebensqualität?

Die zentrale Frage sollte sein: Wann fühle ich mich gut versorgt? Das klingt vielleicht nach Kirche, ist aber eigentlich eine ökonomische Kernfrage: Welche Ziele will ich mit begrenzten Ressourcen erreichen?

Wachstum sollte kein Selbstzweck sein.

Stattdessen müssen wir fragen: Was wollen wir erreichen, etwa gute Bildung oder Gesundheitsversorgung für alle? Was muss dafür wachsen und worauf können wir verzichten? Manchmal kann weniger sogar mehr Lebensqualität bedeuten.

Können Sie das an einem Beispiel verdeutlichen?

Göpel: Nehmen wir das Gesundheitssystem. Wie wäre es, wenn wir mehr in Prävention investieren würden, statt in teure operative Eingriffe wie künstliche Gelenke? Das würde Menschen erlauben, einen Lebensstil zu entwickeln, bei dem sie gesund bleiben. Das hält die Lebensqualität sicher höher, als wenn man ständig zum Arzt rennen muss. Aber es ist aus kurzfristiger Sicht ein schlechteres Geschäft für das Gesundheitssystem.

 

Deshalb ist es so wichtig, dass wir immer überlegen: Wofür ist Wachstum ein guter Begriff? Auf der makroökonomischen Ebene bedeutet Wachstum ja zunächst nur, dass mehr Geld für Dienstleistungen und Angebote bezahlt wurde. Aber die entscheidende Frage ist: Was ist gute Versorgungssicherheit und welche Geschäftsmodelle müssen dafür florieren?

Was macht Sie in der Nachhaltigkeitsdebatte, gerade mit Blick auf die Finanzbranche, wütend? Was wird Ihrer Meinung nach verpasst?

Göpel: Mich frustriert, dass das Wissen längst da ist, aber nicht konsequent umgesetzt wird. Die Finanzbranche bewegt die großen Geldsummen. Sie ist die treibende Kraft, die Veränderungen ermöglichen oder verhindern kann. Geld ist eine der verrücktesten Sozialtechnologien, die wir uns je ausgedacht haben. Kredite waren wahnsinnig wichtig, um Arbeitsteilung und zukunftsorientiertes Handeln zu ermöglichen.

Jetzt muss die Branche diese Verantwortung für die Lenkungswirkung ernst nehmen. Sie muss sich fragen: Habe ich wirklich alle Effekte in der Bilanz? Oder externalisiere ich Kosten? Natürlich gibt es Sachzwänge, aber das sind keine Naturgesetze.

Man kann Rahmenbedingungen ändern und sich dafür einsetzen, statt zu sagen „Da kann ich nichts machen“.

Die Finanzbranche hat eine enorme Gestaltungskraft. Sie muss diese Macht erkennen und verantwortungsvoll nutzen. Es geht darum, langfristig zu denken und nicht nur auf kurzfristige Gewinne zu schauen.

Grüne Fonds und ETFs waren ein großer Trend, sind aber zuletzt etwas abgestürzt. Sind diese aus Ihrer Sicht der richtige Weg zu einer nachhaltigen Wirtschaft oder bräuchte es etwas anderes?

Göpel: Wir sehen in der Gesellschaft und bei Anlageentscheidungen immer zwei Motivationen: Es gibt diejenigen, die aus Überzeugung handeln, weil sie finden, so sollte gewirtschaftet werden. Und es gibt andere, die es erst in dem Moment tun, wenn die Renditen die konventionellen Anlagen übertrumpfen.

Zum Teil muss man das sportlich nehmen. Nehmen wir erneuerbare Energien: Sie sind jetzt pro Kilowattstunde endlich günstiger als fossile Energien, vor allem wenn man die Subventionen für fossile Energien herausrechnet. Das schafft einen klaren Business Case.

 

Aber wenn wir nur nach der kurzfristigen Business-Case-Logik argumentieren, erreichen wir nie die Nachhaltigkeit und Innovationsgeschwindigkeit, die wir brauchen. Deshalb sind politische Initiativen wie CO₂-Bepreisung so wichtig. Sie verändern die Rahmenbedingungen, damit sich die Wirtschaftlichkeit auch anders darstellt.

Nachhaltigkeit darf keine Zusatzaufgabe sein, die man nebenbei erledigt. Und wir müssen wegkommen von der Idee, dass Nachhaltigkeit immer teurer oder weniger profitabel ist.

Stattdessen sollten wir die Chancen sehen: neue Technologien, neue Märkte, neue Arbeitsplätze. Aber dafür braucht es eben auch mutige Investoren und eine weitsichtige Politik.

Das neue Rentenpaket wurde verabschiedet, die Sozialversicherungsbeiträge steigen. Junge Menschen müssen sich Gedanken um ihre Altersvorsorge machen. Haben Sie Tipps, wie man nachhaltig vorsorgen kann?

Göpel: Die zentrale Frage ist: Wobei habe ich Vertrauen, dass es langfristig funktioniert? Es gibt etablierte nachhaltige Anlagefonds, die schon lange vor dem jüngsten Hype existierten. Diese Fonds schließen nicht nur Waffen und Öl aus, sondern auch Big-Tech-Unternehmen wegen problematischer Steuerpraktiken. Das hat ihre Performance zuletzt gedrückt, als Tech-Aktien boomten. Auf lange Sicht liegen sie aber oft nicht weit zurück. Ich würde auf Anbieter setzen, die schon lange dabei sind und ihre Prinzipien konsequent verfolgen.

Spannend finde ich auch neue Modelle wie öffentlich-private Partnerschaften für Zukunftsinfrastrukturen, etwa erneuerbare Energien. Hier könnte der Staat Nutzungsentgelte garantieren. Solche Modelle könnten mehrere Bedürfnisse zusammenbringen: Langfristigkeit, Lebensqualität und Zukunftssicherheit. Man wüsste: Ich trage zu wichtigen Entwicklungen bei und habe gleichzeitig eine solide Anlage. Das wären für mich zukunftsweisende Modelle, die hoffentlich bald gedacht und umgesetzt werden.

 

Bei der Europawahl haben rechte Kräfte zugelegt. Was bedeutet das für die Klimapolitik?

Göpel: Es wird definitiv schwieriger. Der Populismus hat regelrecht darauf gewartet, Klima als nächstes großes Thema zu instrumentalisieren. Wir kennen das Playbook, auch aus den USA: Erst ging es gegen den Euro, dann gegen Migration, jetzt gegen Klimaschutz. All das sind Themen, die konzertiertes staatliches Handeln erfordern, weil strukturelle Veränderungen nötig sind.

Populisten bedienen diese Themen besonders gerne, weil sie damit Misstrauen gegen demokratische Institutionen schüren können. Sie behaupten, „die Eliten“ würden sich selbst bereichern und „das Volk“ ausnehmen. Das erschwert es enorm, Mehrheiten für die notwendigen strukturellen Veränderungen zu finden.

Was mich besonders beängstigt, ist, wie rasant die offene Leugnung des Klimawandels nach der Europawahl wieder salonfähig wurde.

Hier braucht es starke Gegenstimmen aus Wissenschaft und Medien, aber auch von aufgeklärten Bürgern. Sonst verlieren wir jede Chance auf eine faktenbasierte, transparente Debatte.

In der Klimadebatte dominieren Verbote und Katastrophenszenarien, die die Fronten verhärten und in der Vergangenheit zu nicht viel geführt haben. Wie kann man Klimathemen besser kommunizieren?

Göpel: Ich wünsche mir, dass wir bei jedem Thema, über das berichtet wird, zunächst fragen: Worum geht es eigentlich? Oft wird nur eine einzelne Maßnahme diskutiert, etwa ein vermeintliches Verbot. Stattdessen sollten wir den größeren Kontext betrachten.

Nehmen wir das Beispiel Fleischkonsum:

  • Wir haben ein Klimaproblem,
  • nicht tiergerechte Haltungsformen,
  • Umweltschäden durch intensive Landwirtschaft
  • und unfaire Arbeitsbedingungen.

Statt nur über Verbote zu diskutieren, sollten wir fragen:

Wieso wollen wir dieses System eigentlich beibehalten? Was ist der zivilisatorische Fortschritt, den wir anstreben?

Dann können wir die Vorteile von Veränderungen aufzeigen. Weniger Fleischkonsum ist besser für die eigene Gesundheit, schützt das Grundwasser, erhält die Biodiversität in ländlichen Räumen. Zudem könnten wir Kosten einsparen, die bisher für das „Saubermachen“ der Ökosysteme auf die Steuerzahler abgewälzt werden.

Was kostet das „Weiter so“?

Gleichzeitig sollten wir die Folgen des „Weiter so“ beleuchten. Das bestehende System muss sich ja nie rechtfertigen, nur die Alternativen. Aber was passiert, wenn wir so weitermachen wie bisher? Diese Frage müssen wir stellen.

Wichtig sind auch Erfolgsgeschichten: Wo klappt der Wandel schon? Was machen diese Vorreiter und warum ist es für sie gar nicht so schwierig? Es gibt tolle Ersatzprodukte, innovative Unternehmen, die den Geschmack treffen, ohne die negativen Folgen.

Haben Sie konkrete Tipps für die Umsetzung im Alltag?

Göpel: Wichtig ist, schrittweise zu denken. Was ist der nächste logische Schritt, nicht die Maximalforderung? Man kann sich fragen: Vielleicht ist es normal, dass nicht jeden Tag Fleisch angeboten wird. Wenn man seine Geschmacksknospen an Neues gewöhnt, findet man es oft gar nicht mehr so schlimm.

Mein Lieblingsbeispiel sind Festivals und Veranstaltungen, die einfach auf vegetarisches Essen umstellen, ohne großes Tamtam. Oft beschwert sich niemand, weil es als völlig normal wahrgenommen wird. Das zeigt: Manchmal ist es am besten, Veränderungen einfach umzusetzen und sie normal erscheinen zu lassen, statt große Debatten zu führen.

 

Über die Interviewte

Maja Göpel ist Politikberaterin, Bestseller-Autorin, Rednerin und Honorarprofessorin für
Nachhaltigkeitstransformationen an der Leuphana Universität Lüneburg. Die diplomierte Medienwirtin und promovierte Politökonomin ist Mitglied im Club of Rome, dem World Future Council, der Balaton Group, Mitbegründerin der Initiative „Scientists4Future“ und Gründerin von „Mission Wertvoll“. Sie war Mitglied im Bioökonomierat der Bundesregierung.

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