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Marktkommentar „Ich empfehle, keine europäischen Staatsanleihen zu kaufen“

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Prognose für die Zukunft?

Interessant wird es, wenn man das Modell von heute aus weiterdenkt. Dazu nimmt man die aktuelle Rendite für zehn Jahre und versucht aus dem Wert auf die zukünftige Wirtschaftsentwicklung zu folgern: Die Rendite sollte also in etwa die Erwartung für das zukünftige Nominalwachstum widerspiegeln.

Zunächst einmal wieder das Beispiel USA: Dort ergibt sich (wieder abzüglich der oben genannte Halteprämie) aus der aktuellen Rendite von 2,25 Prozent für den zehnjährigen US Treasury also ein zu erwartendes durchschnittliches Nominalwachstum in den kommenden Jahren von 2 Prozent.

Angesichts der letzten veröffentlichten nominalen Wachstumsrate von 4 Prozent für die USA ist das zunächst einmal wenig. Meint man aber, dass die Inflation (derzeit ca. 1,7 Prozent) auf Grund des starken Dollars und den nach wie vor hohen Überkapazitäten in vielen Branchen fallen dürfte und dass der begonnene Entschuldungsprozess der US-Wirtschaft das Wachstum bremsen könnte, liegen die aktuellen Renditen durchaus in einem gemäß dem Modell nachvollziehbaren Bereich.

Wie gesagt: Eine eins-zu-eins-Übertragung dieses Modells auf die Eurozone ist nicht möglich. Aber es ist durchaus interessant, das Modell einmal durchzuspielen, was ich im Folgenden tue. Zunächst ist es schwer, einen passenden Zins zu finden: Es gibt keine Anleihen, die mit US Treasuries vergleichbar wären.

Gesamtschuldenstände, Haushaltsdefizite, (Jugend-)Arbeitslosigkeit, Struktur der Wirtschaft und Verwaltung, Staatsquote, Sozialversicherungssysteme, Infrastruktur, Bildungssysteme und so weiter sind in den einzelnen Mitgliedsländern der Eurozone so unterschiedlich, dass die Agenturen und Anleger den verschiedenen Länder unterschiedlich gute Ratings geben. Und diese führen dann notwendigerweise zu Renditeaufschlägen für die schlecht benoteten Länder an den Finanzmärkten. Daher sind Anleihen von Italien oder Spanien als Referenz ungeeignet. Auch Anleihen Deutschlands und anderer Staaten, die auf Grund ihrer Sicherheit als Pfand für Interbankengeschäfte besonders begehrt sind und daher mit Renditeabschlägen gehandelt werden, sind ebenfalls nur eingeschränkt verwendbar.

Als Referenzzins bietet sich aber ein anderer an: der zehnjährige Swap. Als Folge der Finanzkrise sind die höchstrangigen Verpflichtungen der großen Banken der Eurozone als praktisch risikofrei zu werten, da diese auch in Zukunft in einer Krise von den jeweiligen Staaten oder von der Europäischen Union gerettet werden. Und selbst komplett zusammengebrochen war, ist er heute wieder einer der liquidesten Märkte weltweit. Daraus ergibt sich, dass der unter diesen Banken gehandelte langfristige Zinssatz – der sogenannte zehnjährige Swap – die meiner Meinung nach beste Referenzgröße für das hier beschriebene Modell darstellt.

Der aktuelle zehnjährige Swap-Satz für Euro beträgt etwa 1 Prozent. Unter Berücksichtigung der Halteprämie erwartet der Anleihenmarkt also ein durchschnittliches nominales Wirtschaftswachstum der gesamten Eurozone von etwa 0,75 Prozent pro Jahr. Das ist angesichts fallender Inflationsraten und schwacher Wachstumsperspektiven in der Eurozone durchaus vorstellbar.

Die Frage ist nun für einen Anleger, ob er diese Einschätzung teilt. Entsprechend würde er Anleihen kaufen beziehungsweise verkaufen.

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Entwicklung der zehnjährigen Renditen 2014



Inflations- und Wachstumserwartungen

In der Tat gibt es weltweit deflationäre Tendenzen: Überkapazitäten in vielen Branchen, strukturell deflationäre Industrien wie die IT-Hardware-Branche, viele Länder, die versuchen, ihre Währungen abzuwerten, Abbau des Schuldenberges in den USA und so weiter. Dennoch wird meiner Meinung nach die Inflation in der Eurozone nicht gänzlich verschwinden. Die Ursachen dafür sehe ich zum einen in der Lohnentwicklung in Deutschland und anderen von der Krise weniger betroffenen Ländern, zum anderen in den so genannten administrierten Preisen.

Über viele Jahre haben die Lohnstückkosten und damit die Reallöhne in Deutschland kaum zugelegt. Die in diesem Zeitraum entstandenen Produktivitätsgewinne gingen daher zu Gunsten des Kapitals. In den vergangenen Monaten hingegen gab es vermehrt – teilweise auch streikbedingte – Lohnabschlüsse, die über der Inflation liegen. Und eben diese Einkommensentwicklung war historisch gesehen die wichtigste Ursache für Inflation.

Administrierte Preise sind zunächst die vom Staat direkt festgelegten oder genehmigten Preise wie Gebühren für Müllabfuhr, Autobahnmaut, Rundfunk, öffentliche Einrichtungen oder auch Honorare für bestimmte Berufsgruppen. Administriert werden aber auch viele andere Preise durch direkte Verbrauchssteuern wie die Mehrwert- oder Tabaksteuer sowie durch Zölle oder Subventionen.

Angesichts des Schuldenstands der staatlichen Haushalte und das allgemeine Streben nach ausgeglichenen Budgets spricht vieles dafür, dass diese Preise beziehungsweise Steuern steigen. Die Faustregel, nach der eine Erhöhung der Mehrwertsteuer um 1 Prozentpunkt zu einer um 0,5 Prozent höheren Inflation im Folgejahr führt, belegt den inflationären Charakter dieser Staatsregulierung.
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