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Marktkommentar „Ich empfehle, keine europäischen Staatsanleihen zu kaufen“

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Was das Wachstum angeht, so sprechen auch in Europa der private Schuldenabbau und die Sparpolitik der Regierungen für ein strukturell niedriges Wachstum. Dem stehen aber die vor allen in den sogenannten Krisenländern in Angriff genommenen Strukturreformen gegenüber. Sie reichen vielleicht noch nicht aus, sind aber erste Schritte in die richtige Richtung. Erste Anzeichen, dass die Reformen Auswirkungen auf Wirtschaft und Produktivität zeigen, sind schon jetzt zu erkennen.

In der Summe bin ich also der Meinung, dass der Markt das kommende Nominalwachstum mit prognostizierten 0,75 Prozent zu negativ einschätzt.

Verzerrungen am Markt

Zu den bereits erwähnten Schwierigkeiten bei der Anwendung des Modells in der Eurozone kommt hinzu, dass der (Staats-) Anleihenmarkt hier nicht dem freien Spiel der Märkte von Angebot und Nachfrage unterworfen ist. Viele institutionelle Anleger unterliegen entweder direkten Anlagevorschriften (zum Beispiel Versicherungen, Pensions- oder Investmentfonds) oder indirekten Regelungen (zum Beispiel Liquiditäts- und Asset-Tests bei Banken oder Anlegerprofile von Vermögensverwaltern), die zu einer künstlichen Nachfrage nach Staatsanleihen führen.

Teilweise bestanden die schon immer. Aber die Entwicklungen seit 2008 und die in den neuen Regulierungen verlangten Stichtage haben die Situation gerade in den vergangenen Monaten deutlich verschärft und die hierdurch induzierten Käufe von Staatsanleihen stark erhöht.

Des Weiteren wäre aber auch ein durchschnittliches nominales Wachstum von nur 0,75 Prozent pro Jahr in unserer aktuellen schuldenbasierten Wirtschaft ein sozio-ökonomisches Desaster. Dieser Wert stellt ja nur einen Mittelwert dar, und daher ist die Gefahr einer Deflation und/oder einer Rezession in den kommenden Jahren sehr real. Beides würde unweigerlich dazu führen, dass aus einer sehr hohen Verschuldung eine Überschuldung wird.

Genau daher unternimmt die Europäische Zentralbank alles, um vor allem eine Deflation zu vermeiden, und sie wird dies auch in Zukunft tun. Deswegen hat sie 2014 angefangen, massiv Pfandbriefe und andere Anleihen zu kaufen. Diese Vorgehensweise führt zu einer künstlichen Verteuerung der Anleihen und vor allem zu einem Kaufverhalten, das stark an die Voraussetzungen einer Spekulationsblase erinnert: Anleger kaufen die Staatsanleihen nicht mehr nur aus ökonomischen Gründen, sondern immer öfter mit dem Hintergedanken, dass früher oder später die EZB ihnen diese Anleihen (zu einem höheren Preis) abkaufen wird/muss.

Das wiederum setzt voraus, dass die EZB mit ihren Maßnahmen keinen Erfolg hat und daher in Zukunft umso mehr Anleihen kaufen wird. Die Anleger vertrauen also gleichzeitig auf eine Institution und auf das Versagen eben dieser Institution.

Das Kursrisiko

Sollte der EZB aber Erfolg beschieden sein und die Inflation auf 1,5 Prozent - 2 Prozent ansteigen, wird die EZB sicherlich keine Anleihen mehr kaufen, und ein alternativer rationaler Käufer wird Renditen verlangen, die mindestens die Inflation ausgleichen. Der heutige Anleger wird sich dann heftigen Kursverlusten gegenüber sehen. Sollte zum Beispiel die Rendite einer zehnjährigen Anleihe von heute 1 Prozent in einem Jahr auf 2 Prozent steigen, so fiele der Kurs um 8,25 Prozent.

Doch so dramatisch muss der Renditeanstieg gar nicht ausfallen: Schon ein kleiner Anstieg von 1 Prozent auf 1,12 Prozent in einem Jahr würde bedeuten, dass die Kursänderung der Anleihe höher wäre als der Kupon. Anders gesagt: Selbst ein Anstieg der Anleihenrendite, der völlig im Rahmen der wöchentlichen Volatilität ist, reicht aus, um dem Anleger eine negative Performance zu bescheren und damit ein schlechteres Ergebnis als ein unverzinstes Girokonto.

Angesichts dieses hohen Kursrisikos, des spekulativen Anlegerverhaltens und der meiner Meinung nach zu pessimistischen Bewertung der wirtschaftlichen Entwicklung in der Eurozone kann ich heute nicht empfehlen, europäische Staatsanleihen zu kaufen.

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