DAS INVESTMENT: Wefox galt einst als das Vorzeigebeispiel unter den deutschen Insurtechs. 2019 erlangte der Start-Up den Einhorn-Status – als einziges Insurtechs in Deutschland. Es folgten weitere erfolgreiche Finanzierungsrunden. Nun scheint das Unternehmen mächtig in die Krise geraten zu sein: Sogar ein Verkauf unter dem Unternehmenswert stand zur Debatte, konnte aber noch abgewendet werden. Haben die Investoren und die Medien etwas übersehen?

Carsten Maschmeyer: Generell kommen in der Start-up-Welt immer mal wieder Überbewertungen einzelner Unternehmen vor. Manche Start-ups werden wegen sehr großer Versprechungen und ambitioniert kommunizierter Visionen zum Unicorn. Vereinzelt gibt es Investoren, die den Einstieg in ein potenzielles Unicorn nicht verpassen wollen. Der Drang auch mal bei einem entstehenden Unicorn dabei zu sein, schafft quasi das Unicorn, durch eine Art selbst erfüllende Prophezeiung. Mitunter gibt es dann eine Art Dauerfundraising zu immer höheren Bewertungen, auch weil damit geworben wird, wer schon alles investiert ist, und das zieht wiederum weitere Geldgeber an. Die Erreichbarkeit der Planzahlen sowie die Chance auf Break Even spielen dann keine große Rolle mehr. 

Und was schätzen Sie, wie es mit Wefox weiter geht? 

Maschmeyer: Ich hoffe natürlich, dass es für Wefox weitergeht, vor allem für die Mitarbeitenden und die deutsche Insurtech-Szene. Ich gehe davon aus, dass der Rückzug aus Deutschland, um Liquidität zu erzielen, nicht dauerhaft ist. Die größte Volkswirtschaft Europas mit vielen eher risikoaversen Einwohnern ist doch für ein Versicherungsstartup ideal. 

Wie kam es zur Anfrage an Sie, den Verwaltungsratsvorsitz bei Wefox zu übernehmen? Lief der Kontakt über den Vater des Wefox-Mitgründers Julian Teicke, Hartmut Teicke, der bis August 2002 Manager beim AWD war?

Maschmeyer: Mich haben sowohl Gründer als auch Investoren kontaktiert. Es gehört sich nicht, sich zu Details zu äußern. 

Und warum lehnten Sie ab?

Maschmeyer: Zum einen scheinen mir viele Stakeholder, von den Aktionären bis hin zum Board, zerstritten. Auch dass die Offerte an mich überhaupt presseöffentlich wurde, scheint mir ein Ausdruck dieser schwierigen Gesamtlage zu sein. Zum anderen, und das ist der Hauptgrund: Wefox steht offensichtlich vor gewaltigen Herausforderungen und benötigt meines Erachtens einen Fulltime Chairman. Das kommt für mich nicht in Frage. Ich fühle mich den vielen Investorinnen und Investoren unserer Venture-Fonds verpflichtet und konzentriere mich deshalb auch weiterhin auf unsere 150 Start-ups zwischen Tel Aviv und San Francisco, denen ich, genauso wie meinen Teams, meine volle Energie als Investor und Mentor gebe. 

 

Sie sind seit 2020 in Neodigital investiert. Was zeichnet dieses Insurtech aus Ihrer Sicht aus?

Maschmeyer: Neodigital ist der erste digitaler Vollversicherer auf Basis von Künstlicher Intelligenz und das vollautomatisiert und mit Bafin-Lizenz. Das bedeutet, wenn ein Kunde beim Antrag seine Informationen eingibt, prüft die Software auf Basis von KI, ob die Underwriting-Regeln erfüllt sind. Die Software stellt in Sekundenschnelle die Police aus und das natürlich papierlos. Viele sogenannte Insurtechs sind nur Lead-Generierer: Sie locken Kunden an und verkaufen hinterher die Adressen. Kein Gründer-Team, das ich kenne, hat so viel Verständnis von Versicherungen und relevante Erfahrung wie Stephen Voss und Dirk Wittling. 

An welchen weiteren Insurtechs beteiligen Sie sich derzeit?

Maschmeyer: Vor allem in den USA sind wir an vielen Insurtech-Unternehmen beteiligt, wie beispielsweise Ascend, Authentic Insurance und District Cover. In Großbritannien sind wir unter anderem in Flock investiert, ein Start-up für digitale Flottenversicherung. 

Sind Insurtechs ein lohnendes Geschäft für Investoren? Schließlich schreiben nur die wenigsten von ihnen – in Deutschland zum Beispiel nur Clark – schwarze Zahlen. 

Maschmeyer: Bei Insurtechs hat schon eine Marktbereinigung stattgefunden. Ich sehe vor allem im Bereich “Tech for Insurance” noch großes Potential für Start-ups, die einzelne Bereiche der großen Versicherer digitaler machen und automatisieren können. Die IT-Abteilungen der großen Konzerne sind mit ihrem Tagesgeschäft vollständig ausgelastet. Die Start-ups können mit ihren revolutionären Innovationen sehr viel Zeit, Kosten, Nerven und teilweise auch Personal sparen. Da gibt es immer noch erheblichen Bedarf und viel aufzuholen. Die Frage bei den Versicherern ist ja nicht, ob die zunehmende Digitalisierung und künstliche Intelligenz eingesetzt werden, sondern in welchen Bereichen und wie schnell. Die Gesellschaften, die das nur schleppend tun, werden Wettbewerbsnachteile haben. Und da kaum ein Versicherer in den eigenen IT-Abteilungen die Kapazität hat, diese selbst zu entwickeln, gibt es hier für Insurtechs großartige Möglichkeiten. Die besten Innovationen kommen von revolutionär denkenden Start-ups. 

Insurtech-Gründer und Finanzierer Daniel Feyler sagte in einem Interview, dass es bis 2022 nicht wichtig war, Gewinne zu schreiben, da das Wachstum wichtiger als der Gewinn war und man befürchtete, dass zu frühe Gewinne Wachstum kosten würden. Was halten Sie davon?

Maschmeyer: Die Zeit, dass man entweder Wachstum oder das Erreichen vom Break-Even als Alternativen sah, ist vorbei. Ein Start-up, das nie die Chance haben wird, Break-Even zu erreichen und profitabel zu arbeiten, ist genauso uninteressant für Investoren, wie wenn es nicht wächst. Wenn man nur eines von beiden erreichen müsste, wäre es sehr leicht ein Start-up erfolgreich zu machen. Die Kunst besteht genau darin, profitables Wachstum zu erzielen. Der Pfad zum Break-Even und zur Profitabilität muss sichtbar sein. Kein Investor ist mehr bereit, absurd hohe Burn-Rates zu finanzieren und Versuche zu unterstützen, mit Marketing-Geld einen Markt zu erobern. Da entstanden bizarre Missrelationen, in denen zehn Euro Umsatz 15 Euro Customer Acquisition Costs erforderten. Dann sind Sie zwar Marktführer, aber weit davon entfernt, jemals Gewinne zu erwirtschaften. Daniel Feyler hat aber recht mit dieser Aussage. Bis Anfang 2022 war das anders. Heute gilt vermehrt from burn to earn, trotzdem muss die Umsatzkurve natürlich nach oben zeigen. Gleicher Umsatz und gleiche Burn Rate bringen extrem unterschiedliche Bewertungen, wenn die Steigerungskurve des Wachstums unterschiedlich steil ist. 

Wenn Sie jetzt vor hätten, als Investor in ein Insurtech einzusteigen, bei dem Sie noch nie investiert waren: Welches wäre das?

Maschmeyer: Es gibt hervorragende Insurtechs und Start-ups, die überragende “Tech for Insurance”-Lösungen anbieten. Konkrete Firmen möchte ich nicht nennen, sondern mich lieber an ihnen beteiligen.

Welche Voraussetzungen muss ein Start-up-Unternehmen erfüllen, um erfolgreich zu werden?

Maschmeyer: Mit der Idee allein ist es keineswegs getan! Das sind Ideengeber, aber noch lange keine Unternehmerinnen und Unternehmer. Ich bin der festen Überzeugung, dass der Charakter, die mentale Stärke und der IQ von Gründerinnen und Gründer die Zukunft eines Start-ups bestimmen. Zudem müssen sie großartige Kommunikatoren sein und dazu gehört sehr viel emotionale Intelligenz und Empathie. Sie müssen kreativ, flexibel und spontan sein und aufgeschlossen für neue Ideen, unabhängig davon, von wem sie kommen. Und das Wichtigste ist, dass sie die Bedeutung des Vertriebs erkennen. Sobald das Produkt fertig ist oder das Geschäftsmodell eingeführt ist, müssen sie ihr Unternehmen auch als Vertriebsunternehmen betrachten. Ich glaube außerdem nicht an die One-Person-Show. Ein komplementäres Gründerteam ist der Schlüssel zum Erfolg. Mehrere Gründer mit denselben Kompetenzen bringen das Unternehmen nicht vorwärts.

Am 2. September kehrt die TV-Show „Die Höhle der Löwen“ mit einer neuen Staffel auf den Bildschirm zurück - und feiert ihr zehnjähriges Jubiläum. Sie waren fast von Anfang an dabei. Was hatte Sie damals dazu bewogen, bei dieser Sendung mitzumachen?

Maschmeyer: Ich bin in der dritten Staffel eingestiegen, im Jahr 2016. Als in den Weihnachts-Skiferien 2015 der Anruf mit dem Angebot kam, hatten wir eigentlich den Plan, dass ich mit meiner Frau Veronica ein Jahr in den USA verbringe. Wir haben uns dann gemeinsam eine Folge angesehen und Veronica meinte sofort: “Das ist das perfekte Format für Dich, das ist genau das, was du jeden Tag rund um die Uhr machst. Das musst Du annehmen!”. Fünf Wochen später gingen schon die Dreharbeiten los. 

In der Sendung sieht es so aus, aus würden Sie sich mehr oder weniger aus dem Stegreif für eine Beteiligung an einem der vorgestellten Projekte entscheiden. Ist es tatsächlich so, oder bekommen Sie die Business Pläne und Präsentationen vorab zugeschickt, um sich auf die Sendung vorbereiten zu können?

Maschmeyer: Jedes Start-up, das in der Höhle pitcht, sehen wir tatsächlich zum ersten Mal. Die Bewerbungsverfahren sind streng geheim und am Drehtag sind wir räumlich von den Gründerinnen und Gründern getrennt, damit wir uns auf keinen Fall über den Weg laufen. Die Sendung wäre nicht das Gleiche, wenn wir vorab wüssten, wer oder was uns erwartet. Das macht den Charme der Sendung aus: echte Start-ups, echte Investoren, echte Deals und echte Überraschungen. Aber ein Pitch, der in der Sendung auf die spannendsten rund 15 Minuten zusammengeschnitten wird, dauert in Wahrheit durchschnittlich eine Stunde, es können auch schon mal zwei Stunden werden. 

Und wie treffen Sie solche Entscheidungen im echten Leben?

Maschmeyer: In meinem Alltag als Venture Capital Investor entscheide ich das selbstverständlich nicht allein. In allen unseren Fonds, Seed+Speed, Alstin und MGV arbeiten hochprofessionelle und erfahrene Investment-Experten. Diese erhalten tausende Pitchdecks pro Jahr, analysieren und bewerten diese. Anschließend entscheidet dann ein für jede Betrachtung neu gebildetes Tandem-Team, welches Start-up wir uns genauer ansehen und sobald wir uns dann mit den Gründerinnen und Gründern treffen, bin ich dabei. Ich habe sozusagen das “Ressort Mensch” und soll aufgrund meiner Erfahrung aus tausenden Gesprächen mit Gründerinnen und Gründern und aus früheren Bewerbungs- und Karrieregesprächen die Gründer mental und vom Leistungspotential beurteilen. Zwischen Pitchdeck, Live-Pitch, Due Diligence und Notartermin vergehen viele Wochen, manchmal sogar Monate.

Was war das letzte Projekt, in das Sie eingestiegen sind?

Maschmeyer: Ende August habe ich mit meinem Fonds Alstin Capital in das Schweizer Start-up Flowit investiert, eine digitale HR-Plattform. Sie haben einen digitalen KI-Coach entwickelt, der sich speziell an Non-Desktop-Mitarbeitende wie Servicetechniker und Pflegekräfte richtet. Die Plattform bietet Echtzeit-Feedback, agile Lernmethoden und Umfragen zur Mitarbeiterzufriedenheit, um die Personalentwicklung zu modernisieren.

Was würden Sie als Ihre bislang erfolgreichste Beteiligung bezeichnen und auf welche Beteiligung hätten Sie im Nachhinein lieber verzichtet?

Maschmeyer: Wir haben uns weltweit die am besten performenden Venture-Start-up-Fonds angesehen. Das sind nicht, wie man vielleicht denkt, diejenigen, die die wenigsten oder keine Pleiten haben. Sondern das sind die, die vor allem Start-ups auswählen, wo sie sagen, entweder verfünfzigfacht sich unser Geld oder das Start-up geht pleite. Venture heißt, wir müssen mit der Unsicherheit und mit dem Risiko leben. Es gibt keine Beteiligungen, die ich bereue. Dass Start-ups auch mal keinen Erfolg haben, ist normal, daher heißt es auch Venture Capital, eben weil es riskant ist. Wagniskapital ist kein festverzinstes Sparbuch. Ich führe auch kein “Hätte-ich-doch”-Portfolio mit Unternehmen, in die ich gerne investiert hätte. Ich habe hinten keine Augen und lebe nicht in der Vergangenheit.

Eines unserer erfolgreichsten Start-ups ist Modern Health, in das wir 2018 mit unserem US-Fonds MGV als einer der ersten Geldgeber investiert haben. Nach nur drei Jahren hatte Modern Health schon Unicorn-Status erreicht. Modern Health ist eine Plattform für psychisches und körperliches Wohlbefinden für die Mitarbeiter in innovativen Unternehmen. Sie bieten Therapie, Coaching und selbstgeführte Kurse in einer App an. So leistet Gründerin Alyson Watson mit ihrem Team einen enorm wichtigen Beitrag zur Bekämpfung von Burnout und anderer psychischen Berufskrankheiten. 

Es heißt, man sollte Kindern so früh wie möglich den Umgang mit Geld beibringen. Was war Ihre allererste Geldanlage? 

Maschmeyer: Von meinem ersten selbst verdienten Geld als Schüler, als ich Plakate an Bauzäune für Musikkonzerte geklebt habe, habe ich mir Jeans und Schallplatten gekauft. Die erste bewusste Investition war aber das Auto, um als Finanzberater zu Kunden zu fahren, sowie die Eröffnung eines ersten kleinen Büros, um auch im Geschäftsambiente beraten zu können.