DAS INVESTMENT: Herr Erb, Sie sind seit Jahren zwischen Investmentpraxis bei Stepstone und Verbandspolitik beim BAI unterwegs. Wie prägt diese Doppelrolle Ihren Blick auf Private Markets?
Matthias Erb: Der Markt und die Politik geben die Themen vor, die Regulierung reagiert darauf. Man versucht dann, Strukturen zu schaffen, die das Gewünschte möglich machen. Diese Doppelrolle ist spannend: Man hat einen direkten Draht zum Marktgeschehen und kann gleichzeitig mit Lobbying bei Behörden die nötigen Türen öffnen. Die Themen entwickeln sich meist sequenziell, nicht parallel.
Ihr Karriereweg hat Sie von der Zurich Versicherung zu Stepstone geführt. Was haben Sie aus der Versicherungswelt mitgenommen?
Erb: Ich war bis 2003 bei Zurich, bereits damals mit dem Fokus auf Private-Markets-Investments. Die wichtigste Erkenntnis aus all den Jahren: Versicherungen brauchen Daten und Transparenz, um überhaupt investieren zu können. Heute liefern wir alles, was eine Versicherung im eigenen Risikomanagement benötigt – zum Beispiel für Solvency Calculations, ALM, SAA. Noch immer haben jedoch etliche Versicherungen in Deutschland, verständlicherweise zumeist kleinere, keine eigenen Private-Markets-Modelle in diesen Bereichen.
Ist das die größte strukturelle Hürde für Versicherungen?
Erb: Unter Solvency II sind die Hürden meines Erachtens gar nicht mehr so hoch. Regulierung, die auf Quoten beruht wie die Anlageverordnung, halte ich für problematisch. Beim Prudent-Person-Principle sind die Türen offen, sofern man das Risikomanagement im Griff hat und den Lookthrough liefern kann. Natürlich gibt es noch Herausforderungen: Private Equity zum Beispiel hat bei der Kapitalunterlegung mit 39 bis 49 Prozent eine deutliche Hürde. Mit der Eiopa diskutiert man nun die Long-Term Equity Qualification, die die Kapitalunterlegung auf 22 Prozent bringen soll. Das wäre für Versicherungen natürlich deutlich attraktiver. Aber der Weg dorthin ist noch steinig.
Sind Pensionskassen und Versorgungswerke mit Blick auf Private Markets schon da, wo sie sein sollten?
Erb: Das Quotenthema beschäftigt uns auch beim BAI. Die BAI führte, unterstützt durch dessen Mitgliederunternehmen, unter anderem Gespräche mit der Bafin über Quotenerweiterungen in der Anlageverordnung. Am 6. Februar dieses Jahres trat die neue AnlV in Kraft mit gutgemeinten Änderungen wie der Einführung einer separaten Infrastruktur-Quote von 5 Prozent, der Erhöhung der Risikokapitalquote von 35 auf 40 Prozent und einer vereinfachten Nutzung der Öffnungsklausel. Eine weitere Anpassung der Anlageverordnung insbesondere im Hinblick auf die Harmonisierung für Kreditfonds in Europa darf nach der Verabschiedung des FondsrisikobegrenzungsG und StandortFörderG erwartet werden.. Trotz dieser Erweiterungen werden die meisten fortschrittlichen Versorgungswerke an diese Anlagegrenzen stossen. Solange man mit diesem System leben muss, müssen die Quoten erhöht werden, sonst entstehen teure und aufwendige Umgehungskonstrukte.
Wie weit ist Deutschland davon entfernt, international aufzuschließen?
Erb: Es gibt eine große Disparität. Die größeren Versorgungswerke stoßen definitiv an die Quoten. Die kleineren suchen ihren Weg, sind stark im liquiden Bereich tätig oder auch im Real-Estate-Segment – wo nicht alle in den vergangenen ein bis zwei Jahrenglücklich geworden sind. Wenn man die Risikoquote mit 40 Prozent voll ausnutzt, Infrastruktur nebendran hat, Strukturierungen nutzt, ist man theoretisch gar nicht so weit weg von der Prudent-Person-Principle-Welt. In der Praxis sehen wir aber viele, die nach Quoten suchen.
In den Nullzinsjahren war Private Debt vor allem Renditebringer. Hat sich mit höheren Zinsen die Rolle verändert hin zum Risikopuffer?
Erb: Es war immer beides. Senior Private Debt dient seit je als Fixed-Income-Ersatz und profitierte insbesondere 2023 von hohen Zinsen und Spreads. Wir hatten 12-13 Prozent Brutto-Yield im Senior Bereich – das habe ich in 30 Jahren nicht erlebt. Es wird als beides eingesetzt: als Stabilisator, nicht zinssensitiv wegen des Floating-Elements und Yield Enhancer. Mit heute rund 10 Prozent Yield und rund 5 Prozent und mehr Spread ist Senior Private Debt auf Relative-Value-Basis definitiv ein sehr valabler Yield Enhancer, denken Sie nur an die zur Zeit sehr engen Spreads im traditionellen Fixed-Income-Bereich.
Sie haben einige Krisen erlebt. Welche Lessons Learned gibt es für semiliquide Strukturen?
Erb: Ich war lange Gegner von semiliquiden Produkten auf illiquiden Asset-Klassen – bis vor drei, vier Jahren. Meine Einstellung diesbezüglich hat sich aber zwischenzeitlich insbesondere für den Private-Debt-Bereich stark gändert, denn nicht nur gibt es Private Debt inhärente Vorteile für solche Strukturen wie zum Beispiel, dass rund ein Drittel der Kredite jährlich zurückbezahlt werden und dass sich die Rendite als doch sehr stabil erweist, sondern es gibt heute ein viel breiteres und tieferes Transaktionsumfeld. Mit vielen Einzeltransaktionen ohne grosse Vorlaufzeit in der Anbahnung zum Beispiel via Co-Investments lässt sich auch ein semiliquider Fonds gut Asset-Liability-mäßig steuern, wenn man den Aufsatz richtig macht. Durch dieses Sourcing-Umfeld kann man feiner und modularer steuern. Entscheidend ist die Liquiditätssteuerung: Man braucht Gates, die Gleichbehandlung zwischen bleibenden und aussteigenden Investoren muss sichergestellt sein. Im Worst Case soll der Fonds in einen natürlichen Runoff übergehen wie bei einem Closed-End-Fund. Mit den Gates, einer angemessenen Kreditlinie und der oben genannten Asset Class spezifischen Vorteile hat man genügend Instrumente für ein funktionierendes ALM zur Hand.
Wo sehen Sie aktuell die größten Opportunitäten? Und wo warnen Sie vor Überhitzung?
Erb: Es fließt sehr viel Geld in Private Markets. Der Markt steht bei etwa 18 Billionen US-Dollar in Private Equity, Infrastruktur, Real Estate und Private Debt. Die Schätzung liegt in vier Jahren bei 28 Billionen. Das Wachstumspotenzial ist weiterhin enorm, insbesondere zukünftig wohl auch in Asien, wo der Marktanteil bislang noch sehr unterdurchschnittlich ist. Wir sehen bei gängigen Strategien wie etwa Large Buyouts oder Senior Lending zur Zeit wieder etwas tiefere Renditen, dafür jedoch höhere Volumina und im relativen Vergleich zu traditionellen Asset-Klassen attraktive Rendite-Pick-ups. Spannend sind auch die Themen, die ein under funding aufweisen wie zum Beispiel Asset Backed Financing / Specialty Credit , da es hier noch weniger Marktdruck und Wettbewerb gibt. Da lassen sich oft höhere Renditen mit weniger Risiko erzielen als bei Plain Vanilla. Bei Senior Lending geht es darum, Kapital intelligent und schnell zum Arbeiten zu bringen. Deshalb sind etwa Eltifs interessant, wo man am ersten Tag voll investiert ist. Grundsätzlich stellt man fest, dass der Core Plain Vanilla bleibt, die Satelliten-Strategien jedoch an Grösse gewinnen, nicht zuletzt zwecks Diversifikation und robuster Portfoliokonstruktion.
Stepstone wirbt mit Custom Solutions. Was bedeutet das konkret?
Erb: Wir haben früh Mandate errichtet, wo Kunden detaillierte Guidelines etwa auf Regulatorik vorgeben konnten. Das machen wir weiterhin. Was wir aber festgestellt haben: Gerade bei Plain-Vanilla-Themen wie Senior Lending sind die Bedürfnisse der Investoren gar nicht so unterschiedlich. Man muss nicht immer alles übermäßig anpassen. Wir neigen dazu, alles maßzuschneidern – das hat aber seine Grenzen. Beim Eltif waren bei den ersten Investoren auch Pensionskassen und Versicherungen dabei, nicht nur das Wealth Management, weil die ähnliche Bedürfnisse hatten. Ein gesunder Mix zwischen Customized und Pooling-Lösungen ist die Zukunft.
Wo genau ziehen Sie bei semiliquiden Strukturen die Grenze?
Erb: Bei Private Debt stehe ich 100 Prozent dahinter. Bei deutlich illiquideren Asset Klassen wie zum Beispiel Private Equity oder Infrastruktur muss man bei der Liquiditätssteuerung und/oder dem Aufsatz des Vehikels genau hinschauen. Wo ich kritisch bin: Wenn man Liquidität zu teuren Preisen in einem Produkt vermengt, also ein semiliquides Private-Markets-Produkt mit viel Cash oder liquiden Assets zu Private-Markets-Gebühren hat. Ich schaue immer zuerst, wie die Liquidität sichergestellt wird. Ist sie inhärent vorhanden oder zumindest durch intelligente Limitierung mitigiert? Oder gibt es einen riesigen Buffer mit günstigen Investments, die teuer berechnet werden?
Sind Evergreen-Vehikel für Versicherungen praktikabel?
Erb: Die meisten Eltifs gehören für mich ins Evergreen-Segment. Für Versicherungen machen grundsätzlich eher Drawdown-Strukturen mit natürlichen Runoff-Profilen ohne Leverage Sinn. Wir waren erstaunt, dass bei subscription-based Evergreens wie dem Eltif, wo man am ersten Tag voll investiert ist, Versicherungen nennenswert investiert haben. Das ist ein Triple Win: Die Versicherung ist sofort investiert und hat keine Kapitalkosten auf offenen Kapitalabrufen, hat bei Solvency II keinen Nachteil und kann die Liquiditätssteuerung für Capital Calls von anderen Private Markets Investments nutzen. Ein intelligenter Front Load also mit semiliquiden Produkten.
Die Demokratisierung der Private Markets wird oft mit Retail-Produkten verknüpft. Beflügelt oder stört dieser Trend die institutionelle Welt?
Erb: Im ersten Schritt stören sich institutionelle Anleger eher daran.. Die Sorge ist: Jetzt fließt extrem viel Kapital rein, werden die Renditen niedriger? Gibt es durch den Flow mehr Rendite-Schwankungen? Ein Supply-Demand-Thema, das man nicht steuern kann. Ich sehe das weniger kritisch. Institutionelle beginnen zu erkennen, dass sie semiliquide Strukturen sogar nutzen können. Die erste Reaktion war: Das finden wir nicht gut. Die zweite: Oh, da gibt es Features, die uns helfen. Und das Potenzial ist riesig – über 200.000 Firmen sind für Private-Debt-Investments zugänglich, 60 Prozent aller neuen Jobs im privaten Sektor sind diesem Segment zuzuordnen. Der Markt wächst, es gibt noch viel Platz.
Wenn Sie eine Regulierung abschaffen oder neu schreiben könnten – welche wäre das?
Erb: Ich würde das Prudent-Person-Principle auf allen Investitionssegmenten durchziehen. Und nicht mehr mit Quoten arbeiten. Man hat heute die Modelle, die Daten, die Transparenz dafür. Man sollte die Investoren behutsam von der Leine lassen – andere Länder haben bewiesen, dass das funktioniert. Das Zweite: Credit Funds. Da sind wir nicht zuletzt auch beim BAI in Gesprächen involviert, so dass die angestrebteHarmonisierung auf europäischer Ebene zügig auch in nationales Recht umgesesetzt wird und damit auch in Deutschland Credit Funds steuerlich nicht benachteiligt werden. Um diese Buzzwords wie Shadow Banking müssen wir rumkommen. Das wäre einer der letzten großen Bastionen.
Über den Interviewten:
Matthias Erb ist Partner bei Stepstone und Mitglied des Private-Debt-Teams. Er fokussiert sich auf die Beratung und Implementierung maßgeschneiderter Private-Markets-Lösungen mit Schwerpunkt auf Private Debt. Zudem ist er Teil der Insurance Practice von Stepstone. Vor seinem Wechsel zu Stepstone im Jahr 2003 war Erb Manager im Bereich Alternative Risk Financing & Transfer sowie Structured Finance bei Zurich Insurance in Zürich und New York. Erb ist außerdem Mitglied im Vorstand des Bundesverbands Alternative Investments (BAI).

