DAS INVESTMENT: Sie werben damit, dass alle Prozesse bei Ihnen vollständig digital ablaufen. Seit wann ist das so?

Patrycia Gracia Reinecke: Seit 2020 erfolgt die Beratung zu 100 Prozent online. Auch die Unterschriften hole ich online ein. Ich verschicke keine Unterlagen mehr mit der Post.

Wenn ich Sie in Ihrem Büro besuche, würde ich also keine Briefmarken finden?

Reinecke: Doch. Die Briefmarken brauchen wir, um handgeschriebene Geburtstags- und Weihnachtskarten zu verschicken. Alles andere erledigen wir digital. Ich weiß zum Beispiel nicht, ob unser Drucker noch funktioniert. Ich kann mich auch nicht mehr erinnern, wann ich die letzte Druckerpatrone gekauft habe.

Was gab den Ausschlag, auf digitale Beratung umzusteigen?

Reinecke: Wir haben schon vor 2020 hybrid gearbeitet, also sowohl online als auch offline. Dann kam die Corona-Pandemie und wir mussten uns schnell umstellen. Anschließend habe ich mir eine dreimonatige Auszeit mit meiner Familie auf Teneriffa gegönnt.

 

Und wie nahmen das die Kunden auf? Es heißt ja oft, dass die Menschen persönliche Gespräche einem Online-Abschluss vorziehen.

Reinecke: Die Kunden fanden das super. Denn wie bei vielen anderen Innovationen auch befinden sich die Hürden meist im Kopf. Schließlich hatten viele Kunden auch zuvor schon keine Lust gehabt, eine Maklerin bei sich im Wohnzimmer sitzen zu haben und Zeit mit Kaffeetrinken und Small Talk zu verschwenden. Sie wollen ihre Finanz- und Versicherungsangelegenheiten effizient, schnell und kompakt erledigen – und das geht online viel einfacher.

Das hängt wohl auch vom Alter der Kunden ab.

Reinecke: Nicht unbedingt. Rund 20 Prozent meiner Kunden gehen bereits in fünf bis sieben Jahren in den Ruhestand. Und auch sie nehmen das Online-Angebot dankend an. Natürlich bekomme ich manchmal Anfragen von Menschen, die sich gerne persönlich auf einen Kaffee treffen möchten, aber das kommt vielleicht drei Mal im Jahr vor.

„Durch Spezialisierung und Digitalisierung zur verminderten Stornoquote“, so lautete der Titel Ihres Vortrags auf der Fonds-Finanz-Messe MMM in München. Üblicherweise heißt es oft, dass man gerade durch den persönlichen Kontakt die Stornoquote senken kann. Wie soll es denn durch die Digitalisierung gelingen?

Reinecke: Online kann ich schneller auf Kundenanfragen reagieren. Auch Probleme werden so schneller geklärt und gelöst – der Kunde braucht nur ein Handy dafür. So sind die Kunden ständig im Austausch mit ihrem Berater und haben keine Lust, sich abwerben zu lassen. Auch die bereits erwähnten handgeschriebenen Postkarten tragen zum positiven Kundenerlebnis bei. So liegen die Stornoquoten im Branchendurchschnitt bei 22 bis 24 Prozent, bei mir betragen sie aber nicht mal 10 Prozent. Rechnet man die Verträge heraus, die aufgrund veränderter Lebensumstände sowieso beendet worden wären, liegt die Stornoquote effektiv sogar bei nur ungefähr 5 Prozent.

Und was ist mit der emotionalen Kundenbindung? Entsteht sie nicht ausschließlich durch den persönlichen Kontakt, indem man sich trifft, auch über private Themen spricht und so ein Vertrauensverhältnis aufbaut?

Reinecke: Nicht unbedingt. Auch Gespräche über Videotelefonie – ich nutze zum Beispiel Microsoft Teams – können sehr vertraulich sein. Und sie stärken die Bindung noch mehr. Schließlich entfällt bei Videotelefonie die Notwendigkeit, Small-Talk-Themen wie die Anfahrt, das Wetter und ähnliches abzuhandeln. Man kann gleich über konkrete Themen reden – die auch sehr persönlich sein können. Es gibt sogar Kunden, die mir ihre Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen weiterleiten und sich wundern, dass sie diese nur an ihren Arbeitgeber schicken müssen.

Über die Interviewte:

Patrycia Gracia Reinecke ist Chefin und Gründerin des Finanz- und Versicherungsmaklers Finanzmakler am Alten Rathaus. Das Unternehmen aus Hannover hat sich auf Beamte spezialisiert.