Haben Sie schon mal versucht, einem Katzenbesitzer zu erklären, warum sein Stubentiger gefälligst an der Leine gehen sollte? Das Gesicht, das Sie dann zu sehen bekommen, ähnelt verblüffend dem eines Bankers, dem man mitteilt, er müsse künftig wieder jeden Tag ins Büro.

Die britische Großbank HSBC hat nun eine besonders raffinierte Lösung für dieses Problem gefunden: Wer als Vorgesetzter nicht mindestens 60 Prozent seiner Zeit im Büro oder beim Kunden verbringt, bekommt weniger Bonus. Das ist wie Pawlow'sche Konditionierung für Erwachsene – nur dass statt Glöckchen das Pling des Zahlungseingangs die Motivation ankurbeln soll.

In der Finanzbranche ist der große Homeoffice-Frust eingezogen. Wie gespalten die Unternehmen sind, zeigte neulich auch unsere exklusive Umfrage. Jamie Dimon von J.P. Morgan beschwerte sich öffentlich, dass freitags niemand mehr erreichbar sei. Der Mann, der eine der mächtigsten Banken der Welt lenkt, klingt dabei ein wenig wie ein Vater, der sich wundert, warum die Kinder nicht pünktlich zum Abendessen erscheinen, nachdem er ihnen erlaubt hat, draußen zu spielen.

 

Mein Lieblingsstück in diesem Theater ist jedoch die Citigroup-Geschichte: Die Bank eröffnete 2022 einen Standort in Málaga. 30 Juniorbanker sollten dort mit weniger Geld, dafür mit Sonne und Meer arbeiten. Es sollte das Paradies für die Generation Work-Life-Balance sein. Die Sache ist grandios gescheitert. Was vermutlich daran liegt, dass Banken am Strand etwa so gut funktionieren wie ein Fitnessstudio in einer Konditorei.

Das Vertrauens-Paradox

Besonders rührend sind die Versuche, das Problem technisch zu lösen. Früher reichte ein Blick, um zu sehen, wer im Büro ist. Heute braucht es dafür Berater, Big Data und Analytics. Manager, die sonst komplexe Märkte analysieren, scheitern daran herauszufinden, wo ihre eigenen Leute stecken.

Dabei ist das Ganze ein Paradox. Nie wurde so viel über Vertrauen geredet wie in den vergangenen Jahren. Vertrauensarbeitszeit hier, eigenverantwortliches Arbeiten dort. Und jetzt plötzlich elektronische Zeiterfassung, Magnetkarten-Überwachung und Bonus-Kürzungen für Homeoffice-Sünder.

Deloitte lässt seine amerikanischen Mitarbeiter nun digital dokumentieren, wo sie arbeiten. PwC und EY überwachen ihre Büroauslastung. Das ist wie zu sagen: „Ich vertraue dir völlig, aber hier ist sicherheitshalber eine Kamera.“

Der HSBC-Ansatz mit den Bonus-Kürzungen ist dabei besonders entlarvend. Er zeigt, dass nicht die Arbeitsqualität, nicht die Ergebnisse, sondern lediglich die physische Anwesenheit zählt. Wie früher im Hörsaal: Wichtig ist nicht, ob man etwas gelernt hat, sondern ob man da war. Und die Debatte zeigt auch, dass die meisten Arbeitnehmer anscheinend nur monetär zu motivieren sind. 

 

Die Kommunikations-Katastrophe

Was all diese Unternehmen eint: Sie können nicht erklären, warum sie die Leute zurückwollen. Dabei gäbe es durchaus ehrliche Gründe:

  • Zufällige Begegnungen fördern Kreativität.
  • Komplexe Projekte lassen sich persönlich besser abstimmen.
  • Neue Mitarbeiter lernen schneller, wenn erfahrene Kollegen in der Nähe sind.

Aber das klingt weniger nach Vision und mehr nach Pragmatismus.

Eine Ausnahme ist Goldman Sachs. Die US-Bank forderte schon 2023 komplette Büro-Anwesenheit – ohne große Begründung, ohne Prozentrechnung der Anwesenheitstage, ohne Bonus-Spielchen. Oder Berenberg: Die Privatbank bietet sechs flexible Homeoffice-Tage pro Jahr für seine mehr als 1.000 Mitarbeiter in Deutschland. „So machen wir das, basta.“ Kann man nicht gut finden, aber es ist klar und ehrlich.

Viele andere lavieren herum, als müssten sie ein diplomatisches Abkommen aushandeln. Dabei geht es nur darum zu sagen: „Wir wollen euch hier vor Ort haben.“ Punkt.

Am Ende zeigt diese ganze Posse vor allem eines: Wie schnell sich die Machtverhältnisse verschieben können. Plötzlich sind es nicht mehr die Unternehmen, die den Ton angeben, sondern die Mitarbeiter. Die Manager müssen betteln, tricksen und bestechen, um ihre Leute ins Büro zu locken.

Das ist eine historische Umkehrung – und vermutlich der eigentliche Grund für die ganze Aufregung: Es geht gar nicht ums Homeoffice. Es geht darum, wer das Sagen hat. Und das ist plötzlich nicht mehr so klar, wie es mal war.

Dies ist ein persönlicher Kommentar, der ausschließlich die subjektive Meinung und Sichtweise des Autors widerspiegelt. Die hier dargestellten Ansichten, Interpretationen und Schlussfolgerungen repräsentieren nicht notwendigerweise die Position oder offizielle Haltung des Unternehmens.