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Nachhaltigkeitsexpertin Anette von Ahsen
Menschenrechte in der Lieferkette: Worüber berichten die Dax-40-Unternehmen?
Anette von Ahsen ist Professorin für Nachhaltigkeitsmanagement an der TU Darmstadt. Sie beschäftigt sich seit mehr als zwanzig Jahren mit Nachhaltigkeitsmanagement und -reporting sowie mit der Integration von Qualitäts-, Umwelt- und sozialen Managementsystemen in Unternehmen. Bildquelle: TU Darmstadt
Mit dem sogenannten Lieferkettensorgfaltspflichtgesetz (LKSG) soll das Thema Menschenrechte bei Firmen stärker in den Fokus rücken – das kann auch Auswirkungen auf Anlageentscheidungen haben. Anette von Ahsen hat zusammen mit Kollegen von der TU Darmstadt untersucht, wie die Dax-40-Unternehmen mit diesem Thema umgehen und worüber sie berichten. Die Ergebnisse schildert sie im Beitrag.
Die europäische Lieferkettenrichtlinie wird möglicherweise nie verabschiedet. Dennoch haben die Diskussionen in den Medien hierüber sowie das Inkrafttreten des deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtgesetzes (LKSG) das Thema Menschenrechte noch stärker in den Fokus von Anlageentscheidungen gerückt.
Unternehmen mit mindestens 1.000 Beschäftigten fallen unter das Gesetz. Sie sind verpflichtet, in ihren Lieferketten menschenrechtliche und bestimmte umweltbezogene Sorgfaltspflichten in angemessener Weise zu beachten. Dabei sind diese Pflichten entsprechend der bestehenden Einflussmöglichkeiten abgestuft und richten sich danach, ob es sich um den eigenen Geschäftsbereich, einen direkten Vertragspartner oder einen mittelbareren Zulieferer handelt. Eine gesetzliche Pflicht besteht unter anderem darin, dass Unternehmen Risikoanalysen in ihren Wertschöpfungsketten durchführen und hierüber – und auch über die Ergebnisse – öffentlich berichten.
Vor diesem Hintergrund haben wir am Fachgebiet Rechnungswesen, Controlling und Wirtschaftsprüfung der Technischen Universität Darmstadt einerseits die Geschäftsberichte für das Geschäftsjahr 2022 sowie andererseits sämtliche Informationen, die auf den Websites der Dax-40-Unternehmen bis zum 31. Dezember 2023 veröffentlicht wurden, analysiert.
Bei den Ergebnissen ist zu berücksichtigen, dass die Berichtspflicht gemäß LKSG erst ab dem Jahr 2024 besteht. Im vorliegenden Beitrag wird der inhaltliche Fokus auf Informationen zu den durchgeführten Risikoanalysen, den erkannten (potenziellen) Menschenrechtsverletzungen sowie Präventions- und Kontrollmaßnahmen gelegt.
Risikoanalysen und deren Ergebnisse
Sämtliche Dax-40-Unternehmen veröffentlichen Informationen zu ihren Risikoanalysen für den eigenen Geschäftsbereich. Dagegen finden sich nur in 24 Fällen Informationen zu durchgeführten Risikoanalysen bei direkten Zulieferern beziehungsweise (anlassbezogen) bei mittelbaren Zulieferern.
Die meisten Unternehmen haben Länderrisiken (29) sowie Branchen- beziehungsweise Industrierisiken (25) untersucht. Sieben Unternehmen nennen konkrete Indizes, die sie hierfür genutzt haben, zum Beispiel den Corruption Perceptions Index (CPI) von Transparency International, den Global Slavery Index der Walk Free Foundation, oder die Länderindizes des Heidelberger Instituts für Internationale Konfliktforschung.
16 Unternehmen geben an, ein IT-Tool implementiert zu haben oder daran zu arbeiten. Beispielsweise wird ein KI-basiertes Frühwarnsystem genannt, mit dem Online-Medien und soziale Netzwerke in über 50 Sprachen analysiert werden, um Verletzungen von Menschenrechten und umweltrechtliche Verstöße bei Lieferanten zu erkennen. Mehrfach hingewiesen wird auch auf die Nutzung von Anbietern zur Bewertung (potenzieller) Zulieferer, wobei besonders häufig Bewertungen durch Ecovadis (10) genannt werden.
Welche Risiken wurden bisher festgestellt? 23 Unternehmen berichten, dass konkrete Risiken erkannt wurden, zwölf von ihnen werden konkreter und benennen diese als Risiken insbesondere im Zusammenhang mit den Themen Arbeitsschutz (13), Koalitionsfreiheit (10), Ungleichbehandlung (10), Zahlung eines angemessenen Lohns (9), Zwangsarbeit (5), Kinderarbeit (3), schädliche Umweltveränderung (2), exzessive Gewalt von Sicherheitskräften (2), Sklaverei (1) sowie Handhabung von „Persistant Organic Pollutants“ (Pops) (1) und Abfällen (3).
Präventionsmaßnahmen im eigenen Geschäftsbereich
Zentrale, auch im Gesetz vorgesehene Präventionsmaßnahmen sind die Entwicklung von Beschaffungsstrategien und Einkaufspraktiken sowie die Durchführung von Schulungen und Kontrollmaßnahmen.
Im eigenen Geschäftsbereich nutzen 27 der Unternehmen einen Code of Conduct (CoC); 23 Unternehmen adressieren die Implementierung von Beschwerdeverfahren. Über Schulungen zu LKSG-relevanten Inhalten berichten sämtliche Dax-40-Unternehmen, in 27 Fällen werden Kontrollmaßnahmen veröffentlicht. Im Vordergrund stehen dabei risikobasierte Überprüfungen von Umwelt- und Sozialstandards durch Unterlagenprüfungen, Vor-Ort-Überprüfungen und Befragungen der Mitarbeitenden.
22 Unternehmen weisen darauf hin, dass auch Überprüfungen durch externe Dienstleister realisiert werden, besonders häufig wird auf das Nachhaltigkeitsrating von Ecovadis und auf Audits gemäß Smeta verwiesen. Zusätzlich betonen alle 40 Unternehmen die Bedeutung zertifizierter Managementsysteme.
Präventionsmaßnahmen gegenüber unmittelbaren Zulieferern
34 der Dax-40-Unternehmen berücksichtigen menschenrechts- und umweltbezogene Aspekte bei der Auswahl von Zulieferern, wobei häufiger auf Selbstauskünfte als auf Vor-Ort-Besichtigungen abgestellt wird. Mehrere Unternehmen, etwa die BMW-Gruppe und Porsche, beschreiben ihre Auswahlprozesse sehr ausführlich.
Über konkrete Ergebnisse von Lieferantenbewertungen finden sich ebenfalls häufig Informationen. Adidas schreibt von der Bewertung von 58 potenziellen Zuliefern. 20 wurden aufgrund der Ergebnisse abgelehnt oder bekamen die Möglichkeit, Verstöße zu korrigieren und sich neu bewerten zu lassen. BMW gibt an, dass aufgrund mangelnder Nachhaltigkeitsbewertung 98 Lieferantenstandorte keinen Auftrag erhalten haben.
Alle Dax-40-Unternehmen verpflichten ihre Zulieferer auf die Einhaltung eines CoC. In fast allen Fällen ist hier auch die Verpflichtung zur Weitergabe der Erwartungen und Verpflichtungen an die eigenen Lieferanten verankert. Darüber hinaus sichern sich 30 Unternehmen das Recht zu, Kontrollen durchführen zu dürfen, in 24 Fällen wird der Lieferant verpflichtet, Schulungen durchzuführen, und in 18 Fällen ein Beschwerdeverfahren einzurichten und/oder das Beschwerdeverfahren des Unternehmens mit den eigenen Beschäftigten und Lieferanten zu kommunizieren.
24 Unternehmen weisen darauf hin, dass Zulieferer ein identifiziertes Risiko oder eine eingetretene Verletzung unverzüglich dem Unternehmen mitteilen müssen. Das Recht, die Geschäftsbeziehung zu beenden, falls beispielsweise eine Verletzung eingetreten und deren Behebung nicht absehbar ist, haben 26 Unternehmen in ihrem CoC verankert. 27 Unternehmen geben an, dass sie Schulungen bei ihren unmittelbaren Zulieferern anbieten beziehungsweise durchführen.
Abhilfemaßnahmen im eigenen Geschäftsbereich und bei Zulieferern
Die Abhilfemaßnahmen entsprechen überwiegend den Präventionsmaßnahmen. Acht Unternehmen machen konkrete Angaben zu der Anzahl eingeleiteter Präventions- und/oder Abhilfemaßnahmen. Siemens verweist auf 7.725 vereinbarte Verbesserungsmaßnahmen in den Bereichen Korruption und Bestechung, Achtung der Grundrechte der Mitarbeiter, Verbot von Kinderarbeit, Gesundheit und Sicherheit der Mitarbeiter, Umweltschutz in der Lieferkette. Bei 100 Lieferanten von Porsche wurden Verbesserungen aufgrund von tatsächlichen und potenziellen negativen Nachhaltigkeitsauswirkungen vereinbart.
Eine mögliche Beendigung bestehender Geschäftsbeziehungen wird von 35 Unternehmen angesprochen, tatsächlich realisierte Abbrüche von Geschäftsbeziehungen benennen BASF und Zalando.
Insgesamt wird deutlich, dass schon vor der gesetzlichen Verpflichtung hierzu der größte Teil der Dax-40-Unternehmen – wenn auch in unterschiedlich ausführlich und konkret – zum Thema Menschenrechte in der Lieferkette informiert.
Anlassbezogene Informationen müssen regelmäßige Berichterstattung ergänzen
Zukünftig wird die Berichterstattung sicher noch zunehmen: Zum einen, weil das LKSG weitergehende Anforderungen stellt. Zum anderen aber auch, weil Unternehmen insbesondere durch NGOs und Medien unter Druck geraten, wenn diese Verletzungen von Menschenrechten aufdecken und veröffentlichen – damit besteht dann eine „substantiierte Erkenntnis“ hiervon, die Unternehmen zum Handeln zwingt.
Vor kurzem berichteten zum Beispiel Journalisten unter anderem vom NDR, WDR und der SZ – und in der Folge von diversen weiteren Medien – folgenden-Fall: 2020 wechselte BMW seinen Zulieferer für Kobalt, das für die Herstellung von Elektromotoren erforderlich ist. Da die Arbeitsbedingungen im Kongo häufig zum Beispiel mit Kinderarbeit und Gewalt verbunden sind und zudem die zahlreichen Zwischenhändler Überprüfungen erschweren, schloss BMW Direktverträge mit dem marokkanischen Rohstoffkonzern Managem.
Auch Renault kündigte an, ab 2025 Kobalt bei der Managem Group zu kaufen, die durch die Zertifizierung nach den Standards der Responsible Minerals Initiative (RMI) sowie durch Bewertungen von NQC und Ecovadis als akzeptabel eingeschätzt wurde. Und dann kam die Meldung, aus der Mine „Bou Azzer“ würden große Mengen Arsen in die Umwelt gelangen. Wasser- und Urinproben in der Region wiesen darauf hin. Hinzu kommen die Aussagen von Arbeitern, nach denen der marokkanische Konzern zum Beispiel internationale Arbeitsschutzstandards nicht einhalte. Die Managem Group weist die Vorwürfe zurück.
Was können Unternehmen daraus lernen? BMW und Renault haben auf Basis ihrer Risikoanalysen entschieden, Kobalt aus Marokko zu beziehen. Wie die Entwicklung zeigte, konnten auch anerkannte Ratings und Zertifizierungen des Zulieferers nicht verhindern, dass die Unternehmen jetzt in der Kritik stehen.
Dies ist weniger den Automobilherstellern oder der Rating-Agentur anzulasten, sondern es sollte als Hinweis gesehen werden, dass die Maßnahmen immer weiter optimiert werden müssen. Und dass Unternehmen damit rechnen müssen, dass aktuelle Recherchen, zum Beispiel durch NGOs und Medien, immer wieder überraschende Probleme zutage fördern. Vor diesem Hintergrund kommt einer offenen Kommunikation solcher Themen eine immense Bedeutung zu.
Wenn es gelingt, einerseits in regelmäßigen Berichtsformaten, etwa gemäß LKSG, aber auch mittels weiterer und ständig aktualisierter Informationen, eine hohe Glaubwürdig zu erzielen, wird sich dies vermutlich auch auf die Reaktionen von Anlegern auf Skandale auswirken.
